„Die Telefone läuten bei uns tatsächlich den ganzen Tag. Abgehoben wird eigentlich so gut wie nie", sagte der Mitarbeiter der Wiener Magistratsabteilung 35, zuständig für Zuwanderung und Staatsbürgerschaft, freimütig ins ORF-Radiomikrofon und lieferte dazu gleich auch die Begründung, die österreichischer nicht sein könnte. "In dem Moment, wo einer unserer Referenten einmal vom Telefon abhebt und eine Frage beantwortet, spricht sich das herum." Und das führe dann dazu, dass viele Antragsteller "dann den Eindruck haben, sie könnten jetzt bei uns Antworten bekommen und Anliegen bearbeitet und die kommen dann direkt persönlich am nächsten Tag und dann ist quasi das ganze Amt voll."
Im ganzen Land schüttelte man den Kopf über die Zustände in der MA 35, schimpfte, wunderte sich oder ätzte, wie ZiB2-Moderator Armin Wolf: "Im Vergleich zur Wiener Magistratsabteilung 35 dürfte die berühmte MA 2412 aus dem Fernsehen ein serviceorientiertes Hochleistungszentrum sein."
Was in der MA 35 geschah respektive nicht geschah, ist typischer für Österreich, als man annehmen möchte. Und da muss man gar kein Ausländer sein mit dem Wunsch nach einer Aufenthaltsberechtigung oder gar einer Staatsbürgerschaft.
In diesem Land etwas zu wollen, ist heute schwieriger denn je. Allen Versprechungen von Bürgerservice und Transparenz, allen flockigen PR-Strategien und allen Servicenummern zum Trotz -wer etwas will in diesem Land hat schlechte Karten. Vorne glänzen die Plakate, versprechen eingängige Slogans das Blaue vom Himmel und feiert man sich als serviceorientiert. Will man dann aber wirklich etwas, Unterstützung von der Gemeinde etwa, eine Serviceleistung eines öffentlichen Dienstleisters oder auch nur, dass jemand die Straße vorm Haus ausbessert, ist sehr schnell Schluss mit lustig in unserem angeblich so serviceorientierten, freundlichen und kundenorientierten Land. Dann ist man schnell verloren. Im Nu wird man zum Bittsteller. Hilflos oft mit seinem Begehr, chancenlos mit seinem Anliegen. Da gehen die Telefonnummern mit einem Mal ins Leere. Versprechen sind schon vergessen, noch ehe der Satz fertig ist und Ansprechpartner unauffindbar. Da herrscht Schulterzucken und Kopfschütteln. Gläserne Wände gehen hoch -schon gar wenn etwas nicht ins Konzept passt oder Arbeit machen könnte.
Und das nicht nur in der MA 35 in Wien, in Ämtern und bei Behörden. In vielen anderen Einrichtungen und Unternehmen des Landes ist es um nichts anders. Oft eher noch sehr viel ausgefeilter. Nicht vorgelassen oder abgewimmelt zu werden, zählt da noch zu den schlichteren Methoden. Das kann jeder. Jedes Amt, jedes Unternehmen, jeder Politiker respektive jede Politikerin. Telefongesellschaften und andere Großunternehmen dieses Zuschnitts etwa können das, jeder hat schon dutzende Mal diese Erfahrung gemacht, noch sehr viel perfider. Stundenlang hängt man oft in den Warteschleifen der Service-Hotlines oder sieht sich unfein aus der Leitung geworfen vom sich besonders freundlich gebenden Mitarbeiter, der verspricht einen zum zuständigen Experten weiterzuverbinden. Bei der MA 35 weiß man wenigstens, wo die sitzt, bei vielen der Servicehotlines weiß man nicht einmal das.
Vor allem große und internationale Unternehmen zu erreichen, wird immer schwieriger. Telefonnummern abseits von Hotlines werden auf den Homepages meist nicht angeführt. Bei E-Mail-Adressen ist es kaum anders. Stattdessen versteckt man sich hinter Chatbots, Service-Apps und vielem anderen, das die Kommunikationstechnologie heute zu bieten hat. Mit echten Menschen, gar solchen mit Expertise, soll man tunlichst nichts zu tun kriegen.
Die MA 35 ist überall, was uns als Servicefreundlichkeit vorgegaukelt wird hingegen viel zu oft nirgends. In vielen Bereichen, auch in vielen Ämtern, das sei ausdrücklich hervorgehoben, hat sich in den vergangenen Jahren vieles zum Besseren gewendet. Das muss man anerkennen. Amtstermine können auch Freude machen. Servicethemen mit Unternehmen auch.
Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich jenseits davon das Verhältnis zu den Kunden und ihre Position verschlechtert hat. Aller Technik und allen Unternehmensstrategien zum Trotz. Der Kunde ist sehr oft viel weniger Kunde, als er einfach ein "Fall" ist -ein Fall, der nichts mehr als lästig ist, wenn er etwas will.
So wie die Antragsteller bei der MA 35.
Meiner Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. September 2021
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