Spät aber doch schickte man die Meinungsforscher aus, um sich ein Bild von der Corona-Welt in den Köpfen der Bewohner des Landes zu machen. In Oberösterreich zumindest. Was dabei herauskam, konnte man dann nicht anders als "niederschmetternd" nennen. "340.000 Oberösterreicher wollen sich nicht impfen lassen", hieß es Ende August und die Aufregung war dementsprechend groß. 340.000 von 430.000 Oberösterreichern über 16, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geimpft waren. Also nur mehr gut 90.000, die Hoffnung geben, dass die Impfquote zumindest doch noch höher wird.
Von den Ungeimpften ohne Impfinteresse seien 60 Prozent Frauen und die vor allem unter 50 Jahre alt. Als Gründe für die Ablehnung wurden von rund 90 Prozent der Befragten genannt, dass das Virus trotz Impfung weitergegeben werden und dass man trotzdem erkranken könnte. Man hält die Impfstoffe für zu wenig getestet und fürchtet sich vor Langzeitfolgen. Dass man diese Zahlen erst jetzt erhob, fügt sich nahtlos in die holprige und oft inkonsistente Politik, mit der man die Pandemie zu bekämpfen sucht, aber nicht und nicht in den Griff kriegt. So wie die Dinge liegen, scheinen wir nicht zuletzt deswegen wieder vor einer nämlichen Situation wie vor einem Jahr zu stehen, ausgeliefert der nunmehr bereits vierten Welle -Maskenpflicht, Zutrittsbeschränkungen und vielleicht sogar Home-Schooling und Lockdown inklusive. Auf den Straßen formieren sich wieder die Demonstranten, die Töne werden wieder schriller, das Auseinanderdriften der Gesellschaft nimmt wieder an Tempo zu und die Politik balgt sich wie eh und je. Der Kanzler und der Gesundheitsminister, der Wiener Bürgermeister und sein Gesundheitsstadtrat, die Landeshauptmänner, die rote Parteichefin, ihre pinke Kollegin und erst recht der neue Chef der Blauen. 100 Politiker und 1.000 Meinungen, aber immer noch keine Richtung. Jeder und jede ergeht sich in Empfehlungen und Vorwürfen, jeder drängt ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und allen scheint es nachgerade Spaß zu machen, Sand ins Getriebe zu streuen.Warum aber nimmt man die Verantwortung nicht wahr, die man als Politiker hat, gleich in welcher Funktion? Warum hält man sich die Pandemie lieber als politische Spielwiese offen, statt das zu tun, was unter Politik zu verstehen ist? Nämlich Weichen stellen, Entscheidungen treffen, Probleme bewältigen.
Längst ist dabei aus dem Fokus geraten, was das Land -und nicht nur dieses Land -wirklich bräuchte -eine nationale Kraftanstrengung, einen gemeinsamen Kraftakt, um möglichst viele der Zweifler, die es in diesem Land gibt, zur Impfung zu bewegen. Bei dem alle an einem Strick ziehen, um Corona endlich zu einem Ende zu bringen. "Wo sind die fetten Impfkampagnen im TV, Print, wo Plakate?" fragte dieser Tage ein frustrierter Twitter-User. "Wo sind die Testimonials, die im TV zur Impfung aufrufen? Wo sind die 20.15-ORF-Sondersendungen mit Aufklärung?"
Dem guten Mann ist nur recht zu geben. Wo ist das alles? Stattdessen allerorten eitle Diskussionen, laue Ansagen und weiche Maßnahmen. Das Thema Impfpflicht wird wie ein heißer Brei durchs Land geschoben, man beliebt, sich über die ständig sinkenden Impfzahlen zu mokieren und nimmt die steigenden Infektionszahlen und die Meldungen aus den Intensivstationen achselzuckend zur Kenntnis.
Diese nationale Kraftanstrengung, dieser Kraftakt, dieser Schulterschluss, ist nicht alleine von der Politik irgendwo weit oben zu fordern, sondern von allen, die Möglichkeiten und Einfluss haben, Menschen zu überzeugen und zu bewegen. Dazu gehören die Gemeinden und die zahllosen Vereine in diesem Lande genauso wie die Pfarren, die Bildungseinrichtungen und viele andere. Für alle, die dort Verantwortung tragen, muss es eine Selbstverständlichkeit werden, sich für die Bekämpfung der Pandemie einzusetzen, vor allem für die Impfung. Das Land braucht den Befreiungsschlag und nicht kleinliches Hickhack.
"Meine Solidarität ist weitgehend ausgereizt, ich will nicht mehr", sagen inzwischen viele. "Und ich möchte im Fall des Falles im Spital nicht warten müssen, nur weil die Intensivstation vor lauter Ungeimpften übergeht und auch keinen Lockdown mehr, kein Homeschooling, kein Zusperren von Kultur und Sport."
Auch sie haben ein Recht auf ihre Rechte.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. September 2021
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