"Hören Sie auf mit dieser augenzwinkernden Wurschtigkeit." Es ist nicht überliefert, ob der Gesundheitsminister damit speziell Oberösterreich und die dort für das Corona-Desaster Verantwortlichen gemeint hat. Reagiert hat man dort jedenfalls wie ein ertapptes Kind, als von allen Seiten Häme über die blauäugigen Politiker im Land ob der Enns ausgeschüttet wurde, das sich so gerne in allen möglichen und unmöglichen Lebensbereichen für die Nummer eins hält und nun mit einem Mal als das neue Ischgl dasteht. "Der Anstieg war nicht vorhersehbar", schwurbelte Oberösterreichs Landeshauptmann wie seinerzeit sein Tiroler Amtskollege. Aber jetzt werde man das Testangebot und die FFP2-Maskenpflicht ausweiten und stärker in Richtung Motivation zum Impfen gehen.
Die Liste der Verschärfungen, die man vorige Woche, einen Tag bevor die Regierung den neuen Plan verkündete, präsentierte, liest sich wie eine Liste der Versäumnisse. Die Oberösterreicher und nicht nur sie fragen sich, warum all das erst jetzt und warum sich der Landeshauptmann von seinem FP-Stellvertreter und dessen Getreuen Tag für Tag in Sachen Corona vorführen lässt. Und sie ärgern sich, dass wegen des Wahlkampfes und zur Stimmenmaximierung nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch der Fremdenverkehr und die Wirtschaft aufs Spiel gesetzt wurden. Leadership jedenfalls schaut ganz anders aus.
In anderen Bundesländern ist das freilich nicht wirklich viel anders gewesen. Und so steht derzeit der Wiener Bürgermeister als Corona-Star da, weil er tut, was zu tun ist, ohne Hinsichtl und Rücksichtl. Ludwig gibt mit einem Mal der SPÖ ein Macher-Profil und eine Perspektive, wieder mehr Einfluss zu bekommen in diesem Land. Die schwarzen Landeshauptleute hingegen erwiesen sich in ihrer Mehrheit alles andere als Macher und entscheidungsfreudig, sondern als Zauderer und Zögerer, als Lavierer und Drückeberger. Nicht nur Stelzer und Platter, selbst solche VP-Kapazunder wie Haslauer sind dazuzuzählen.
Da war meist nichts vom selbstbewussten Föderalismus, sondern sehr viel mehr von verantwortungsloser Kleinkrämerei im Umgang mit der Pandemie zu spüren. Da war kaum wo eine Linie zu erkennen und schon gar nicht ein Konzept. Und wenn gar nichts mehr ging und strenge Maßnahmen unvermeidbar wurden, suchte man Unterschlupf beim Bund in Wien. Das Scheitern vieler Landeshauptleute an der Pandemie ist so gesehen durchaus auch als Scheitern des Föderalismus zu sehen.
Und das nicht nur auf Landes-Ebene, sondern auch noch auf den Ebenen darunter. Die Bezirke fielen in den vergangenen eineinhalb Jahren meist allenfalls als Corona-Tracer und als Zählstellen für die Corona-Fälle auf. Und nachgerade kläglich ist bisher die Rolle der Gemeinden und vieler Bürgermeister, die es bis auf wenige Ausnahmen durch die Bank nicht als ihre Aufgabe sahen, sich im Kampf gegen die Pandemie zu engagieren. Aufrufe in den vierteljährlich erscheinenden Gemeindezeitungen waren meist alles, was sie zusammenbrachten. Veranstaltungen, Aktionen gar? Meist Fehlanzeige. Als wollte man es sich mit niemandem vertun, schon gar nicht mit Corona-Leugnern.
Welch klägliche Rolle die Gemeinden spielen, als öffentliche Körperschaft eigentlich am nächsten an den Bürgerinnen und Bürgern des Landes, zeigte sich dieser Tage besonders eindrücklich, als es um eine breite Basis für PCR-Gurgeltests ging. Da zweifelte man allen Ernstes am Erfolg eines solchen Konzeptes, weil es nicht in allen Gemeinden Spar-oder Billa-Märkte, die diese Tests abwickeln, gebe. Darauf, dass es durchaus auch Gemeindeämter als ihre Aufgabe sehen könnten, was die beiden Handelskonzerne machen, ist man bisher nicht gekommen.
Es ist die mangelnde Entscheidungsfähigkeit in der Politik, die dafür sorgt, dass uns Corona noch lange im Griff haben wird. Wenn diese Verantwortungsverweigerung und diese "augenzwinkernde Wurschtigkeit" nicht aufhören, sich niemand traut, Leute wie Kickl in die Schranken zu weisen, weil er, respektive sie, sich das nicht antun will, wird sich das nicht ändern. Und auch nicht, wenn man es nicht wagt, das Thema Impfpflicht in die Diskussion zu bringen, weil man Angst davor hat, unter die Räder zu kommen.
"Die Politik ist gefährlicher als das Virus", schrieb profil-Herausgeber Christian Rainer jüngst. "Ohne Not schlittert Österreich in den vierten Lockdown. Die Feigheit unseres Spitzenpersonals ist erbärmlich."
"Erbärmlich." Das ist es.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. November 2021
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