Alle Corona-Kurven zeigen direkt in den Himmel. Impfen und Testen funktionieren in vielen Teilen des Landes nur mehr rudimentär. Die Gesundheitsversorgung steht vor einer Katastrophe. Das Personal in den Spitälern ist verzweifelt. Wirtschaft und Fremdenverkehr bangen um die Zukunft. Aber jetzt lässt man auch noch in der Regierung die Fetzen fliegen. Die Tourismusministerin kanzelt den Gesundheitsminister ab und der Bundeskanzler torpediert seine Ideen auf offener Bühne. Als wäre das Land nicht schon genug geplagt mit zögerlichen Landeshauptleuten, einer zahnlosen Opposition und einer Partei, die mit immer größerer Dreistigkeit alle Ansätze, die Pandemie in den Griff zu kriegen, hintertreibt. Da nimmt sich der Ex-Kanzler noch als das geringste Übel aus, der das Land seinerzeit von der Pandemie freisprach und immerhin noch Obmann und Chef des Parlamentsklubs der großen Regierungspartei ist, aber nichts Besseres zu tun hat, als sich um seine politische Reinwaschung zu bemühen.
Es wird Zeit, die Fragen nach den politischen Verantwortungen zu stellen. Nicht nur, um jemanden zur Rechenschaft zu ziehen oder um abzurechnen. Es geht vor allem auch darum zu verhindern, dass es so weitergeht wie in den vergangenen Wochen und Monaten, in denen viele an den politischen Schaltstellen bewiesen haben, dass ihnen die Fähigkeiten und der Wille fehlen, mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen und sie fehl am Platz sind. Wir brauchen in vielen Positionen andere Politiker. Aber mit der politischen Verantwortung, wir wissen es, ist es in Österreich nicht sonderlich weit her. Unter Österreichs Politikerinnen und Politikern ist es nicht gerade populär, politische Verantwortung zu übernehmen. Es sei denn, es geht darum, sich in Erfolgen anderer zu sonnen. Denen von Unternehmen etwa oder denen von Sportlern. Legion sind die Politiker, die sich auf Pressekonferenzen und Eröffnungen drängen und den Eindruck zu erwecken versuchen, die Erfolge hätten mit ihrer Politik zu tun. Sonst, wenn etwas nicht so läuft wie es soll, wenn etwas schief geht oder aus dem Ruder gelaufen ist, heißt es allemal lieber: Augen zu und durchtauchen.Der Niedergang politischer Verantwortung, der Rücktrittskultur gar, der seit Jahren (nicht nur in Österreich, das sei angefügt) um sich greift, ist nicht mehr zu übersehen. Da geht es nicht mehr um Lauterkeit, auch nicht um politische Fähigkeiten, um Moral gar oder um soziale Verantwortung. Da scheint nur mehr das Strafgesetz das einzige Maß zu sein. "Solange es zu keiner Verurteilung kommt, ist alles in Ordnung und stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung nicht", ist in den vergangenen Jahren zur Leitlinie geworden.
Von dem, was politische Verantwortung im eigentlichen Sinn bedeutet, ist das weit entfernt. "Politische Verantwortung gilt für das Handeln eines Politikers, das nicht durch Rechtsnormen vorgegeben ist", schrieb die Verfassungsjuristin Irmgard Griss schon lange vor den Diskussionen der letzten Monate rund um Kurz und Blümel und noch länger vor der nun nötigen Diskussion im Jahr 2015 in einem Aufsatz für die Tageszeitung "Der Standard". Politiker sollen die Konsequenzen ziehen, wenn sie sich bei kritischer Prüfung ihres Verhaltens eingestehen müssen, dass sie den Anforderungen nicht gerecht geworden seien.
Viele Politikerinnen und Politiker auf den Regierungsbänken und in den Gremien in Bund und Ländern dürften den Kommentar von Griss nicht kennen. Politische Verantwortung wird von allen Seiten lieber missbraucht als gelebt. Von denen, die sie übernehmen sollen, weil sie sie nicht achten. Und von denen, die sie einfordern, weil sie meist nur billige Punkte machen wollen damit.
Letztere stellen sich dabei mitunter freilich selbst bloß. Wie jüngst die oberösterreichische SP-Vorsitzende und Landesrätin Birgit Gerstorfer. Im ZIB2-Interview erklärte sie vollmundig, dass ein regionaler Lockdown "natürlich in der Verantwortung des Landeshauptmannes" liege, nur um wenige Minuten später ins Stottern zu geraten, als ihr vorgehalten wurde, dass sie noch vor wenigen Wochen einer Impfung noch eher distanziert gegenüberstand. Man müsse respektieren, dass Menschen ein Recht haben, über ihren Körper zu entscheiden, gehörte damals zu ihren Standardsätzen.
Unfreiwillig führt sie damit binnen weniger Minuten vor, warum das Land nun in der Situation ist, in der es ist. Und wie man politische Verantwortung versteht.
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