Donnerstag, 15. Dezember 2022

Ein Windei namens Pflegebonus

Erinnern Sie sich noch, als die Leute klatschten und manche sogar die Nationalflagge hissten, um, wie es hieß, "allen SystemerhalterInnen eine kleine Freude zu machen und ihnen auf dem Weg in die Arbeit oder am Heimweg Danke zu sagen"? An all die Versprechungen, dass abgegolten werden müsse, was die Corona-Pandemie den Leuten in den Spitälern, Heimen und all den andere Einrichtungen, in denen man sich um Menschen kümmert, abverlangt. Sogar der Papst höchstselbst redete damals von "Heiligen von nebenan". Und unser Toni Innauer, hierzulande auch so etwas wie ein Papst, wenn es um solche Themen geht, sagte damals in einem Zeitungsinterview: "Jetzt merken wir, dass Krankenschwestern, Ärzte und Verkäuferinnen im Supermarkt wichtiger sind als die Topscorer und die großartigen Kicker, die das Tausendfache verdienen."

Keine drei Jahre ist das her -und von der damaligen Betroffenheit, den damaligen Versprechungen, dem damaligen Verständnis ist kaum mehr etwas zu spüren. Vielmehr scheinen jene Recht bekommen zu haben, die schon damals nichts mit dem Gesang, dem Applaus, der allerorts zur Schau gestellten Betroffenheit und dem Mitgefühl anfangen konnten und sagten, "Euren Applaus könnt ihr euch sonst wo hinschieben".

Vor allem unter dem Pflegepersonal in Spitälern und in Behinderten-und anderen Sozialeinrichtungen hat sich bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Enttäuschung breit gemacht. "Es muss rascheln im Börserl, ned klingeln", forderte damals der Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian. Ersteres tut es heute immer noch kaum für wen, und Letzteres auch nicht für alle.

Prämien und Boni, wie der groß angekündigte Pflegebonus, der in diesen Wochen von der Regierung ausgezahlt wird, erweisen sich oft als nichts denn als ein hohles Windei. "Die Pfleger bekommen nur 800 statt der versprochenen 2.000 Euro Bonus für das Jahr 2022, andere gehen komplett leer aus", schreibt die Kronen-Zeitung etwa über den Pflegebonus, der in diesen Tagen vor Weihnachten für besondere Aufregung sorgt. Rund 160.000 Pflegekräfte und zigtausende weitere Beschäftigte im Gesundheitsbereich seien von der Regierung bitter enttäuscht und fühlten sich "mies" behandelt. "Die Pfleger sind zornig", schreiben die Zeitungen, und "Die Pfleger sind sauer"."Manche, die seit Jahren im Büro säßen, erhielten die Prämie -andere, die direkt mit den Klienten arbeiteten, schauten durch die Finger", zitiert "Der Standard" die Mitarbeiterin einer Behinderten-WG.

Ein Grund dafür: Die 2.000 Euro Bonus gibt es nicht brutto für netto, also ohne Abzüge auf die Hand, weil der Staat nicht auf Steuern und Abgaben verzichten mag und sich so einen Gutteil des Geldes wieder zurückholt. Lediglich in Niederösterreich sorgte die wahlkämpfende Landeshauptfrau mit einer 500-Euro-Extra-Prämie für einen Ausgleich.

Der zweite Grund: Der Bonus stellt, schwer verständlich, auf die Ausbildung und nicht auf die Tätigkeit ab. Der Kreis derer, denen er zugutekommen soll, ist eng gefasst -diplomierte Pflegekräfte, Assistenzpersonal und Angehörige der Sozialbetreuungsberufe. So als ob die Helfer, die für Krankentransporte in den Spitälern oder andere Tätigkeiten, die keine spezielle Ausbildung verlangen, weniger geleistet hätten und weniger leisten. Nur weil sie keine Ausbildung mit Diplom abgeschlossen haben. Hebammen, Labor-Mitarbeiter, Röntgenologen, Physiotherapeuten, Personal des medizinisch-technischen Dienstes, OP-Assistenten, die Tätigkeiten wie Pflegekräfte ausüben.

Der Ärger ist nachvollziehbar. Was all die Pflegekräfte erleben, denen seinerzeit applaudiert und so viel versprochen wurde, ist typisch für unsere Gesellschaft. Den VerkäuferInnen in den Supermärkten und all den anderen Berufen, denen seinerzeit applaudiert wurde, geht es kaum anders. Nichts an der Wertschätzung für sie hat sich geändert und nichts an der Anerkennung. Und nichts geändert hat sich, das zeigt sich drei Jahre nachdem die ersten Corona-Meldungen aus China und bald auch aus Italien kamen, am Wertekanon unserer Gesellschaft. Da ist nichts mehr von der Stimmung von damals, und längst läuft alles wieder in den eingefahrenen Geleisen, aus denen herauszukommen damals nicht wenige gehofft haben. Und nicht nur das -es ist auch eine vertane Chance, Dinge zurechtzurücken und sich für die Zukunft neu aufzustellen. Für eine Zukunft, in der es allen Prognosen nach sehr viel gerade auf diese Berufe ankommt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Dezember 2022

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