Zuletzt wurde darüber geklagt, dass die Medikamente ausgehen. Die Abhängigkeit vom russischen Gas führte uns der Überfall auf die Ukraine drastisch vor Augen. Und die Corona-Krise und die dann folgende rigide Anti-Covid-Politik Chinas zeigte, wie sensibel die internationalen Lieferketten aufgebaut sind, auf die wir uns in den vergangenen Jahren gedankenlos verlassen und gewöhnt haben. Nun müssen wir seit Monaten lernen und erfahren, wie dünn das Eis ist, auf dem wir leben. Vor allem wir in Europa. Dass wir unsere Selbstständigkeit vielleicht allzu leicht verkauft haben, zu treuherzig auch und viel zu oft freilich auch verantwortungslos. Verantwortungslos, was die Zukunft und die Position Europas im Konzert der internationalen Wirtschaft und der Politik betrifft.
Monat für Monat wird uns vor Augen geführt, wie abhängig wir sind und wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen und in unserem Wohlstand leben. Gelernt scheint man wenig zu haben. Jetzt holt man das Gas aus den USA und hofiert die Scheichs im Nahen Osten. Man freut sich dankbar, dass die USA unverrückbar zur Ukraine zu halten scheinen, während man selbst, Deutschland vor allem, herumzaudert. Gnädig wird darüber geschwiegen, wenn China auf dem alten Kontinent einen Hafen nach dem anderen übernimmt und sich am Balkan ausbreitet. Gar nicht zu reden davon, dass man kaum Gedanken daran verschwendet, woher all die Rohstoffe wie Feine Erden oder Edelmetalle für die Umstellung auf E-Mobilität kommen.Da und dort flammen Diskussionen auf, da und dort, das ist anzuerkennen, versucht man, Weichen neu zu stellen. Aber alles in allem sitzt, so scheint es, Europa weiterhin auf dem hohen Ross und lässt die Welt für sich arbeiten. Militärisch, wirtschaftlich, menschlich auch. Für sich selbst hingegen hält man daran fest, es möglichst bequem zu haben, möglichst ungestört und möglichst fein und sauber. Europa lässt lieber machen, als dass es selbst macht. Und Europa redet lieber von der Verantwortung anderswo als von der eigenen.
Das beginnt bei den hohen Arbeits-und Sozialstandards und Löhnen, die geboten werden können, weil man sich in aller Welt billig und zu Bedingungen bedient, die man selbst nie akzeptieren würde. Dass man auf fremde Kosten lebt, ist in der politischen Diskussion kaum ein Thema, und schon gar nicht sind es die Bedingungen, die da denen oft abverlangt werden, die man euphemistisch gerne als "Partner" bezeichnet.
In der Landwirtschaft etwa sorgt seit Monaten für Unruhe, dass die EU nicht von ihren Plänen abrücken will, die Produktion im Rahmen von strikten Umweltprogrammen zu beschränken. Der Verbrauch von Dünge-und Pflanzenschutzmitteln soll rigoros beschränkt werden und auch die Nutzung von Wald und Holz. Die Fronten sind hart. Dass die Welt und die internationale Versorgung mit Lebemsmitteln mit dem Überfall auf die Ukraine eine völlig andere ist, will man nicht zur Kenntnis nehmen. Und dass man mit der Beschränkung der Produktion den Ast absägt, auf dem man sitzt, schon gar nicht. Es scheint so, als wolle man sich mit Anlauf in eine neue Abhängigkeit hineinbegeben. Woher die Nahrungsmittel dann kommen, scheint egal zu sein, und auch zu welchen Bedingungen sie erzeugt werden. Hauptsache in Europa ist alles sauber.
Europa ist lasch geworden und welk in den vergangenen Jahrzehnten. Nicht selten drängt sich der Eindruck auf, dass es sich Europa nicht mehr richten kann, sondern bald überrollt wird von den internationalen Kräften, die sich in den vergangenen Jahrzehnten neu geordnet haben. Politisch ist Europa längst nicht mehr die Kraft, die es einmal war. Und wirtschaftlich schaut es kaum anders aus. Die gut 450 Millionen Europäer haben gegen die restlichen 7,5 Milliarden in aller Welt einen immer schwereren Stand. Europa ist dabei, zu einer Insel zu werden. Abgekoppelt von den großen Entwicklungen und Herausforderungen, die die Welt umtreiben. Und mit einer zumeist nur sehr geringen Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Europa muss nicht alles neu erfinden und selbst machen, wie nun so oft verlangt wird, seit sich die militärischen Gefahren und die der Globalisierung zeigen. Europa muss aber ein neues Gleichgewicht finden. Ein Gleichgewicht, das nicht zu Lasten der vielen anderen auf dieser Welt geht. Aber dafür muss Europa endlich einmal heraus aus dem Lehnstuhl, in dem man es sich in den vergangenen Jahrzehnten so bequem gemacht hat.
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