Donnerstag, 21. März 2024

Österreich - ein einziger, riesiger Bankomat

In Österreich ist der Sozialstaat ausgebaut wie in kaum einem anderen Land. Mehr als 130 Milliarden brauchen wir Jahr für Jahr dafür, fast ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung. Unumstritten ist das nicht. Den einen ist es, man denke nur an den neuen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, offenbar immer noch zu wenig. Den anderen, man denke an die Vertreter der Wirtschaft, und vielen anderen, vornehmlich aus dem Milieu derer, die sich zu den Leistungsträgern zählen, ist das viel zu viel. Der Unterschied scheint groß. Bloß, er ist es nicht. Wenn es darum geht, den Sozialstaat zu nutzen, ist nämlich kaum ein Unterschied zu merken. Darauf versteht man sich da wie dort gleichermaßen. Und man tut es da wie dort ohne Argwohn und mit der Überzeugung, einen Anspruch darauf zu haben.

In den vergangenen Tagen gerieten just zwei solcher Bereiche in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, die zeigen, dass man auch dort gerne nutzt, was der Sozialstaat und alles, was dazugehört, hergibt, wo man ebendiesen vornehmlich als viel zu großzügig kritisiert, wo man unnötige Geldverschwendung vermutet, wo man Kürzungsbedarf sieht, und wo man mehr Eigenverantwortung verlangt. Vor allem dann, wenn es um Hilfe für soziale Randgruppen, Geringverdiener oder Ähnliches geht.

Da sorgte zunächst einmal die Kritik der Arbeiterkammer für Aufsehen, dass viele Unternehmen nicht nur je nach Saison, sondern auch je nach Auftragslage Mitarbeiter vorübergehend in die Arbeitslose schicken und deren Versorgung auf diese Weise für eine gewisse Zeit an die Allgemeinheit auslagern, weil man sich Lohn-und Gehaltszahlungen ersparen will. In der Baubranche und im Tourismus ist das seit jeher gängige Praxis, ohne dass sich irgendjemand dabei etwas denkt. Zwischen den Saisonen schickt man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum AMS, und wenn man sie dann wieder braucht, stellt man sie wieder ein. Das gilt weitum als verständlich und nachvollziehbar. In diesem Spiel können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinander verlassen. In Diskussion geriet das Thema, weil in den vergangenen Monaten immer mehr Unternehmen auch außerhalb der beiden genannten Branchen die Attraktivität dieses Modells entdeckt haben.

Im Kern aber ist es da wie dort nichts anderes, als dass sich ganze Branchen der Segnungen des Sozialstaates bedienen, ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen. Man ist daran gewohnt, man braucht es und man verlässt sich drauf. Die Generalabsolution, die man sich gerne selbst spendet, lautet, man mache nichts Unrechtes, weil es ja angeboten werde.

Daran, dass das alles andere als normal ist und dass es wohl auch andere Lösungen geben könnte, verschwendet man längst keinen Gedanken mehr. Schon gar nicht daran, dass das in der Qualität kaum etwas anderes ist, als das, was man anderen oft so gerne vorwirft, wenn man meint, sie profitieren über die Maßen vom Sozialstaat oder nutzen ihn gar aus.

In die nämliche Richtung geht das zweite Thema, das Schlagzeilen machte. "Bildungskarenz sollte keine verlängerte Babypause sein", titelten die Zeitungen. Auch da wird ein Angebot, das dem Sozialstaat zuzurechnen ist, zweckentfremdet und zum eigenen Vorteil genutzt. Aus der eigentlich für Fortbildung zur Verfügung gestellten Zeit wird Zeit für Kinderbetreuung gemacht. Auch da denkt sich niemand etwas dabei, schon gar nicht etwas Schlechtes. Auch da heißt es, man mache ja nichts Unrechtes, weil es ja angeboten werde.

Rund eine halbe Milliarde Euro kostet das Jahr für Jahr -da wie dort. Eine ganze Milliarde insgesamt. Und da staunt man darüber, dass der Sozialstaat so viel Geld verschlingt und dass nur 20 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher im Durchschnitt mehr ins System einzahlen, als sie herausbekommen.

Verwundern tut das freilich nicht. Die politischen Parteien verstehen sich zunehmend als Sozialberater und Vermittler von Förderungen und nicht als Anbieter politischer Lösungen. Alle. Neuerdings sind auch die Neos dazuzuzählen. Ihre Chefin ventilierte allen Ernstes in der Öffentlichkeit ein mit 25.000 Euro dotiertes "Chancenkonto", das jede und jeder mit 18 Jahren für Ausbildung, Unternehmensgründung oder Wohnen bekommen soll.

Diese liberale Großzügigkeit mag dem bevorstehenden Wahlkampf geschuldet sein -es ist aber auch eine weitere Bestätigung dafür, dass hierzulande inzwischen alle Österreich als einen einzigen großen Bankomaten sehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. März 2024

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