Donnerstag, 17. Juli 2025

Bauernsterben ist kein Schicksal

Die Zahl der bäuerlichen Betriebe hat sich in 25 Jahren halbiert. „Krisenmodus“ sei dennoch nicht angesagt, sagt Wifo-Agrarexperte Franz Sinabell.

HANS GMEINER

Österreichs Landwirtschaft sei zwar kleinstrukturiert, aber erstaunlich leistungsfähig. Gut 101.000 rein landwirtschaftliche Betriebe gibt es noch in Österreich. Zu Beginn dieses Jahrzehnts waren es noch um knapp 10.000 mehr.

SN: Wenn Zahlen veröffentlicht werden, die einen Rückgang der Zahl der Bauern zeigen, gibt es regelmäßig Aufregung. Vom „Bauernsterben“ ist die Rede, dabei sinkt die Produktion seit Jahren alles in allem nicht. Ist diese Aufregung gerechtfertigt? 

Franz Sinabell: Man muss sich schon Sorgen um die Struktur machen, aber nicht in einen Krisenmodus verfallen. Wir haben in der Lebensmittelindustrie das gleiche Thema wie in der Industrie in Österreich insgesamt – die preisliche Wettbewerbsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren abgenommen, wenn sie möglicherweise nicht überhaupt verloren gegangen ist. In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurden mehr als 200.000 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben. Den Strukturwandel gibt es in der Landwirtschaft seit über hundert Jahren, und zwar ausgelöst von der Technologie. Die menschliche Arbeitskraft wurde durch Maschinen, durch Chemikalien, durch Roboter, jetzt zunehmend auch durch künstliche Intelligenz, ersetzt. Eine Folge davon ist, dass die Landwirtschaft immer weniger Ressourcen, Arbeit und Boden braucht, um Agrargüter zu erzeugen. Dadurch sinken die Preise und Konsumenten haben einen Vorteil davon, weil sie relativ weniger für das Essen ausgeben.

Das ist schlecht, oder nicht?

Das ist nicht schlecht, weil die Leute selbst entscheiden, ob sie in der Landwirtschaft bleiben oder nicht. Es ist nicht der Staat, der sagt, der Betrieb hat keine Zukunft, mach was anders. Betriebe werden aufgegeben, weil es andere Möglichkeiten gibt. Man kann außerhalb der Landwirtschaft oft ein besseres Einkommen haben, und das bequemer. 

Aber gefährdet der Strukturwandel nicht die Versorgung? 

In der Vergangenheit wurde jede Randfläche, jeder Straßengraben beweidet. Heute wird dieser Aufwuchs im besten Fall in einer Biogasanlage verwertet. Das gefährdet unsere Versorgung bisher nicht. In größeren Strukturen können auch die Felder größer werden, weil Elemente wie Raine und Zufahrtswege wegfallen. Das sieht man, wenn man aus der Luft die Felder in der Slowakei und im Weinviertel vergleicht. Immer weniger hochspezialisierte Menschen in der Landwirtschaft versorgen mehr Menschen, die damit gar nichts mehr zu tun haben. Das gefährdet die Versorgung nicht. Aber es verringert die Resilienz, die Widerstandskraft in schwierigen Situationen.

Muss man sich Sorgen wegen der Entsiedelung von Regionen machen?

Ich sehe das eher entspannt, die Alternative ist, zu sagen: Okay, der Lebensraum eignet sich nicht mehr für die Besiedelung und daher ziehen wir uns daraus zurück. Das ist vor allem im alpinen Bereich zu beobachten. Für diejenigen, die dort leben und wirtschaftliches Vermögen haben, entsteht natürlich ein wirtschaftlicher Schaden. Sie müssen Nachteile hinnehmen. Es kann aber auch Sinn ergeben, weil sich Unternehmen, auch landwirtschaftliche, dann an günstigeren Standorten ansiedeln und dort auch produktiver sein können. Und es kann der Umwelt nutzen, denn es hat ja auch Vorteile, wenn Kohlenstoff in Wäldern gespeichert wird.

Wann gibt ein Landwirt den Betrieb auf? 

Es gibt kaum je den einen Grund. Stellen wir uns umgekehrt die Frage: Warum wird jemand Bauer oder Bäuerin? Es spielen viele Gründe zusammen und so ist es auch bei der Aufgabe eines Betriebs. In der Landwirtschaft in Österreich sind die Eigentümer in den meisten Fällen auch die Bewirtschafter und es gibt kaum Betriebe, die, wie in anderen Branchen üblich, in Konkurs gehen. Meistens ist es so, dass die Betriebe zunächst einmal verpachtet werden. Irgendwann werden die Felder und Wiesen und auch die Gebäude dann vielleicht veräußert.

Welche Rolle spielen die Preise für Agrargüter, die häufig ins Treffen geführt werden? 

Produktive Betriebe sind in der Lage, zum aktuellen Preisverhältnis von Agrargütern und Vorleistungen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, ohne dass die Substanz des Betriebs abnimmt. Schafft man es nicht, unter den gegebenen Preisverhältnissen Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren, dann muss man beginnen, sich über eine Umstrukturierung des Betriebs Gedanken zu machen. Geht man etwa in die Direktvermarktung, die Verarbeitung eigener Produkte, dann kann es gelingen, sich vom starken Preisdruck etwas abzuheben. Dafür ist man anderen Zwängen ausgesetzt. Die Frage ist, mit welchen man am besten zurechtkommt.

Welche Bedeutung hat die Betriebsgröße beim Strukturwandel? 

Österreichs Landwirtschaft gilt ja als sehr kleinstrukturiert. Im EU-Vergleich ist Österreich gar nicht so besonders kleinstrukturiert. Nur wenn man sich die unmittelbaren Nachbarländer im Norden und Osten ansieht, wundert man sich, dass unsere Betriebe überhaupt konkurrenzfähig sind. Faktoren wie die hohe Eigenflächenausstattung, die Beschäftigung von Familienarbeitskräften und die Möglichkeit zu Erwerbskombinationen zählen zu den Stärken der heimischen Landwirtschaft. Die Agrarförderungen darf man dabei auch nicht vergessen. Bei uns dominieren Familienbetriebe, die jeweils einen Betrieb bewirtschaften. International sieht man aber zunehmend Unternehmen, die im Besitz von mehreren verschiedenen Betrieben sind, die zwar groß, aber nicht beliebig groß sein können. In Europa und besonders in Österreich sehe ich derzeit noch keinen großen Trend, dass Familien von Kapitalgesellschaften abgelöst werden.

Gibt es auch regionale Unterschiede? 

Ja. Der Strukturwandel ist sehr viel größer in Gegenden, in denen man es gar nicht erwartet. Zum Beispiel in Niederösterreich in Ackerbau-Gunstlagen. Im Berggebiet mit den ungünstigen Produktionsbedingungen hingegen ist er oft deutlich langsamer. Der Grund ist, dass in diesen Regionen die Möglichkeit für Erwerbskombinationen etwa durch Urlaub am Bauernhof oft günstig ist und man oft weniger Alternativen hat, Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft zu finden. In zentraleren Regionen, in der Nähe von Städten wie eben in Niederösterreich, ist es daher oft viel leichter, aus dem Agrarsektor auszusteigen, weil man bessere Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Branchen hat.

Welche Rolle spielt die unternehmerische Leistung der Bauern? 

Verlassen sie sich zu sehr auf die Förderungen und ist die Forderung nach besseren Preisen die einzige Idee? Jeder Betrieb entwickelt heute nach Möglichkeit seine eigenen Strategien. Das sind in Österreich oft Erwerbskombinationen oder die Spezialisierung auf einen Betriebszweig oder Produktspezialitäten. Es gibt sehr viele gut ausgebildete Bäuerinnen und Bauern mit sehr klaren Vorstellungen, wie sie die Ressourcen, die sie haben, nutzen können. Das können auch sehr kleine Betriebe sein, wenn es gelingt, eine Marke aufzubauen, wenn man Spezialitäten erzeugt und wenn man Arbeitskräfte verfügbar hat. Betriebe, die immer das Gleiche machen, sind jene, die durch die hohen Kapitalkosten gezwungen sind, eine einmal getroffene Entscheidung zur Spezialisierung auf einen speziellen Betriebszweig aufrechtzuerhalten.

Von der Politik wird verlangt, dass man den Strukturwandel möglichst bremst, wenn nicht sogar stoppt. Geht das? 

In Österreich wird keine aktive Strukturpolitik gemacht. Weder mit dem Ziel, zu selektieren und Betriebe größer zu machen, noch, wie etwa in den Niederlanden üblich, Anreize zu schaffen, dass Betriebe aussteigen, noch, wie in Frankreich, Nebenerwerbsbetriebe bei Investitionsförderungen nicht mehr zu berücksichtigen. Bei uns wird jeder Betrieb im Wesentlichen gleich behandelt und Investitionsförderungen bekommen auch Betriebe in Berggebieten, um kleine Ställe erweitern zu können.

Was sind eigentlich starke Strukturen? 

Es gibt immer diese Vergleiche der Tierbestände und Hektar pro Betrieb. Österreich liegt da immer ganz weit hinten. Das allein macht keine starken Strukturen aus. Dazu gehören Landtechnikbetriebe und Mechaniker, die die Maschinen am Laufen halten und da sind, wenn irgendwas kaputt ist. Es muss Landesproduktenhändler geben, die Dünger und Saatgut bereitstellen. Und es muss Abnehmer für die Agrargüter geben, starke Verarbeiter. Und da hat Österreich große Vorteile.

Wie ist die Struktur der österreichischen Landwirtschaft im europäischen Vergleich zu beurteilen? 

In Österreich ist es so, dass von der Umweltgesetzgebung viel weniger Druck auf die Landwirtschaft ausgeht als in anderen Ländern, wenn man etwa an die Niederlande, Dänemark oder auch Deutschland denkt. Österreich hat weniger Anpassungsdruck, weil man es gar nicht so weit kommen ließ wie dort. Also haben wir in diesem Bereich grundsätzlich gute Voraussetzungen.


Franz Sinabell ist Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und Lektor an der Universität für Bodenkultur.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Juli 2025

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