Mittwoch, 24. Mai 2017

Gelebte Selbstbeschädigung



Zuerst der entnervte Reinhold Mitterlehner und wenige Tage später die Grünen-Chefin Eva Glawischnig. "Zum Selbstschutz, aber auch zum Schutz der eigenen Familie, möchte ich jetzt einen Schlussstrich ziehen", sagte der eine. "Ich habe eine Familie und ich habe zwei wunderbare Kinder, und es hat körperliche Warnsignale gegeben, die ich ernst nehmen muss", die andere.

Jede bessere Zeitung analysierte nach diesen beiden Rücktritten in den vergangenen Tagen nicht nur die politischen Hintergründe, sondern auch die persönlichen. Mit einem Mal wurden der Druck, dem Politikerinnen und Politiker ausgesetzt sind, und die Belastung zum Thema. "Politik als Risikoberuf" lautete da ein Titel und man sinnierte darüber, ob Politik krank macht und ob sie denn Qual sei. Er habe sich "für die Gesundheit entschieden" wurde der ehemalige VP-Chef Josef Pröll zitiert, der Burnout des oberösterreichischen Landesrates Rudi Anschober von den Grünen fehlte nicht und auch nicht der Verweis auf den Kollaps von Hillary Clinton im US-Wahlkampf.

Dabei braucht es gar nicht bescheinigte Krankheiten, um den Druck zu erahnen, dem die Politikerinnen und Politiker ausgesetzt sind. Es reicht oft, Fotos, die bei der Übernahme eines Amtes gemacht wurden, mit aktuellen Aufnahmen zu vergleichen. Sie zeigen, wie sehr und wie schnell die Belastung die Gesichter verändert und wie schnell man in den Ämtern altert und man erahnt den Druck. Gleich, ob es Landesräte sind, Minister oder internationale Spitzenpolitiker. Barack Obama ist so ein Beispiel, Angela Merkel auch, Österreichs Kanzler Kern sieht man das eine Jahr am Ballhausplatz an und selbst in Sebastian Kurz' Gesichtszügen macht sich die Belastung erkennbar.

Das alles kann man als bedrückend empfinden. Aber dennoch sollte auch über die Verantwortung der Politikerinnen und Politiker geredet werden für die Situation, in die sie geraten sind, die viele als unerträglich empfinden und die viele abhält, sich mit der Politik einzulassen - und nicht nur über jene der Medien oder der sozialen Netzwerke. Denn viel von dem Druck, unter dem sie leiden, machen sie sich selbst und gegenseitig.

Das beginnt damit, dass man sich an Ratschläge und Vorhaben nicht hält, die die Belastung in Grenzen halten sollen. Legionen von Politikerinnen und Politikern sind gescheitert mit dem Vorhaben, die Wochenenden für die Familien frei zu halten oder einen Abend während der Woche für die Partnerin oder den Partner. Man lässt sich einteilen und man will nichts falsch machen - und schnell hat man es übersehen, dass man in der Mühle mit einem Mal drin steckt.

In Österreich kommt das mitunter doch sehr eigentümliche Verständnis von Politik dazu, das die Akteure an den Tag legen. Viele verstehen politische Arbeit als Teilnahme an möglichst vielen Veranstaltungen - vom Geburtstagskränzchen im Altenheim bis zur Eröffnung eines Güterweges. Doch es ist nicht allein das. Die schlimmsten Feinde und damit Stressfaktoren sitzen in den eigenen Reihen. Gerade in Österreich, wo Politik zunehmend so verstanden wird, dem politischen Gegner das Leben möglichst schwer zu machen. Da geht es selten um Sachfragen, wie man das eigentlich erwarten würde, sondern da betrachtet man vor allem das Platzieren von wirksamen Seitenhieben und Bosheiten als vordringlichste politische Aufgabe und das Heruntermachen des politischen Gegenübers. Und nicht nur des politischen Gegenübers. Noch viel mehr an den Nerven und der Gesundheit zehren und zerren - frag nach bei Mitterlehner - mitunter die Querschüsse aus den eigenen Reihen.

Eins gibt auch in der Politik das andere. Dabei wäre allen geholfen, wenn schlicht das getan würde, was die Bürgerinnen und Bürger erwarten. Die wollen, dass die Politik arbeitet und sich nicht überall einmischt. Man will ja gar nicht, dass Politikerinnen und Politiker überall dabei sind, dass sie überall ihre Meinungen und Statements absondern und dass sie aus jedem Fernsehkanal und aus jeder Zeitung herausschauen.

Das würde da viel Verärgerung ersparen und dort viel Stress. Und das würde wohl auch die Gesichter weniger schnell altern lassen.

Aber davon scheint man weit entfernt zu sein. Zumal in Vorwahlzeiten, die so stürmisch sind wie diesmal. Das Ausbuhen von Kurz im Parlament in der Vorwoche war wohl nur ein Vorgeschmack.

Das kam nicht von den Medien und über Facebook und Twitter. Das kam von Politikern selbst. Gegen einen aus der eigenen Zunft.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Mai 2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1