Mittwoch, 25. Oktober 2017

Die Grünen sind auch nur Menschen - ganz gewöhnliche



"Wir haben 's vernudelt", twitterte der neue Grünen-Chef Werner Kogler zerknirscht. Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou musste in den sozialen Medien wahre Schimpfkanonaden über sich ergehen lassen. Manche Zeitungen berichteten von Schreiduellen in der Grünen-Zentrale. Und Peter Pilz richtete via Zeitungsinterviews aus, dass ihm die grüne Partei "mittlerweile wurscht" ist.

Die Grünen sind also doch auch nur Menschen. Ganz gewöhnliche sogar, wie sich in den vergangenen Tagen zeigte. Da ist nichts von den hehren Werten in Umgang und Diskussion miteinander, die sie von anderen immer ohne Abstriche verlangten. Auch sie und ihre Parteigänger ticken nach den gleichen Mustern, wie all die anderen, die sie in besseren Tagen immer meinten kritisieren zu müssen. Bosheit ist ihnen nicht fremd. Auch nicht List und Tücke, Hinterhältigkeit und all das andere, was sie immer so gerne kritisierten. Mit der Solidarität ist das auch so eine Sache. Und auch mit dem Verhalten, das ansonsten nur die stets und so gerne an den Pranger gestellten Wirtschaftsbosse und andere Vertreter des immer so heftig kritisierten Establishments an den Tag legten. Man traute seinen Ohren nicht, als man hörte, dass Peter Pilz, über Jahrzehnte Mastermind der Grünen, nonchalant in übelster neoliberaler Boss-Manier in die Mikrofone sagte, dass er nicht daran denke, jemanden von den gekündigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Grünen Klub zu übernehmen, sondern alle Posten, die er zu vergeben hat, ausschreiben und "nur die besten aussuchen will".

Solidarität, wie sie so oft auch von ihm eingefordert wurde, schaut wohl in den Vorstellungen der meisten Menschen anders aus. Man stelle sich nur vor, wie die Grünen über ein Unternehmen geschimpft hätten, das es so gemacht hätte wie Pilz. Und wie er selbst noch vor gar nicht langer Zeit auf die Barrikaden gegangen wäre.

Die Grünen sind nicht die Ersten, bei denen das zu beobachten ist. Man kennt das auch von vielen anderen -gleich ob es einzelne Menschen sind, Organisationen oder Einrichtungen, die gerne besondere hohe moralische und ethische Ansprüche bemühen und gerne mit dem Finger auf andere zeigen. Wenn diese Ansprüche auf die Wirklichkeit treffen, tun sich schnell Abgründe auf, zumal dann, wenn die Dinge nicht rund laufen. Da sind die Prinzipien und die Grundsätze oft im Nu über Bord geworfen, da wird alles ganz schnell ganz gewöhnlich, da unterscheidet man sich mit einem Mal um keinen Deut von denen, auf die man mit dem Finger zeigte. Und da bleiben oft auch viele staunend und enttäuscht, die ihnen geglaubt und versucht haben, deren Grundsätze zu leben und dafür sogar kämpften.

Die Grünen haben nicht nur die Wahlen verloren, sie haben sich auch selbst entzaubert. Zerschellt an der Wirklichkeit, müssen sie sich von allen Seiten vorhalten lassen, "persönliche Befindlichkeiten über die Befindlichkeit ihrer Wählerschaft gestellt zu haben, "wichtige Wertekonflikte nicht aufgelöst und "um Antworten herumgedruckst" zu haben, wie in den vielen Analysen des Desasters zu lesen ist. "Irgendwann hat es sich durchgesetzt, mit anderen nicht mehr respektvoll zu streiten, sondern sie als moralisch minder zurechtzuweisen."

"Die haben irgendwie den erhobenen Zeigefinger eingebaut", ätzte etwa der zum grünen Urgestein gehörende Christoph Chorherr.

Im Land freuen sich viele über die Kalamitäten, in denen die Grünen jetzt stecken. Schenkelklopfend zuweilen. Der "eingebaute Zeigefinger" nervte viele. Oft bis aufs Blut. Da ist die Häme verständlich. Dennoch sollte man den Stab über die Grünen nicht brechen. Sie werden fehlen. Auch wenn man oft Schwierigkeiten mit ihnen hatte und ihre Ansichten sperrig waren. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie sich wieder finden. Nicht als die Partei, die sie zuletzt waren, als Partei, die sich nicht einmal mehr richtig als Umweltpartei, sondern meistens sehr viel mehr als Kontrollpartei verstand, sondern als Partei, die den gesellschaftlichen Diskurs belebt, die neue Sichtweisen in die öffentliche Diskussion bringt und die versteht, sie auch umzusetzen. Und die auch das nötige Augenmaß hat und Verständnis für andere Ansichten und Bedürfnisse.

Gerade in einer Zeit, wie wir sie derzeit in der Politik und in der Gesellschaft erleben, ist das von ganz besonders großer Wichtigkeit.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Oktober 2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1