Donnerstag, 19. Dezember 2013

Das Schauspiel namens Weihnachten



Es war unwirklich. Gerade war Allerheiligen und eine Woche später waren schon die Weihnachtshütten aus den Skigebieten in den Bergen in die Stadt gekommen. Hütte an Hütte standen sie in der Fußgängerzone. Geschmückt mit Tannenreisig. Eine Gruppe Musiker füllte den Straßenzug mit weihnachtlichen Klängen. Aus der Zeit gefallen, zumal an einem warmen Tag ohne Sonne, wirkte die Szenerie seltsam und trist und allem grünen Anstrich zum Trotz grau.

Die Maschinerie beginnt immer früher zu laufen. Und sie läuft mit immer größerer Wucht. Weihnachten sei der "Turbo für Einzelhandel und Tourismus" heißt es. Weihnachtskataloge ab September, Weihnachtsdekoration in vielen Geschäften ab Oktober. Und wer erst Anfang November Angebote auslobt, hat schon verloren.

Weihnachten, das war doch gerade. Dieser Sehnsuchtspunkt im Jahr, an dem sich schier alle anders geben wollen, als sie sind. An dem sie all ihre guten Vorsätze zusammenzuraffen und wirklich werden zu lassen versuchen. Aufgeputztes Heim, festlich gedeckter Tisch, schönes Gewand. Und freundlich, freundlich, freundlich, wie man das ganze Jahr nicht ist. Der Kirchgang gehört für viele dazu und die gute Miene. Man neigt allerorten dazu, sich zu zelebrieren. Es wird ja Süßes erwartet, Zuckersüßes. Man watet nachgerade im Kitsch.

Nicht nur Waren werden feilgeboten, auch Schicksale von Menschen werden ausgestellt, um die Möglichkeit zu geben, gut zu sein. Alles soll das Herz treffen, auf dass man sich ein gutes Gefühl kaufe. Sei es durch ein Geschenk, sei es durch eine Spende.

Zu Weihnachten soll alles anders sein. Zumindest zu Weihnachten. Und wenn zu Weihnachten sonst nichts stimmt, so soll doch zumindest der Schein stimmen.

Selten entblößt sich die Gesellschaft so wie zur Weihnachtszeit. Nichts anderes führt so vor Augen, dass wir auf einem doppelten Boden leben. Der cholerische Chef wird freundlich, als bettle er um Entschuldigung für sein Verhalten im restlichen Jahr. Die gestrenge Chefin zeigt auf einmal ihre sanfte Seite. Der missmutige Ehegatte will mit einem Geschenk all seine Mühsamkeit vergessen machen. Die Frau kämpft indes mit Kerzen, Tannenreisig und Selbstgebackenem im Heim, das traut sein soll, um ein Gefühl, das sie während des Jahres so sehr vermisst. Und die Kinder lassen sich herab, zuweilen gnädig, um ihren Eltern nicht vollends die Illusion der heilen Familienwelt zu zerstören.

Kein Wunder, dass es für immer mehr Menschen immer schwerer wird, damit zurechtzukommen und das zu akzeptieren. Ersticken könnte man direkt unter all dem Guten, was in diesen Wochen der Weihnachtszeit über einen hereinbricht. Die Weihnachtszyniker haben starken Zulauf. Die Lust an Unkorrektem wächst angesichts der zuckersüßen Töne, die aus dem Radio quellen und die einem die Kaufhäuser unerträglich machen. Weihnachten verweigern, Weihnachten schlechtreden, Weihnachten ignorieren gilt immer mehr als schick.

Die Ernsthaftigkeit des Weihnachtsfestes und seinen eigentlichen Sinn haben wohl längst die einen wie die anderen aus den Augen verloren. Dabei stünden die der Zeit gut an. Ohne all die Zuckerglasur wäre das, was viele Menschen leidglich zu Weihnachten zusammenzubringen versuchen, im ganzen Jahr gefragt. Freundlichkeit, Zuvorkommenheit, Festlichkeit auch, aufeinander zugehen und Rücksichtnahme, Einkehr, Gelassenheit, Ruhe und Besinnung. Und durchaus hie und da ein Geschenk, als Zeichen der Wertschätzung. Es braucht nicht alles so zu sein, wie es zu Weihnachten sein sollte, ein bisschen etwas davon wäre schon gut. Vieles wäre dann wohl besser und leichter.

Es spricht nichts dagegen, das ganze Jahr zur Weihnachtszeit zu machen - freilich ohne sich permanent Frohe Weinachten zu wünschen, ohne Weihnachtsmusik und ohne Weihnachtsschleim. Man sollte es probieren. Viele sollten es probieren. Man kann nur wünschen, dass allen nur ein bisschen etwas davon gelingt und vor allem, dass zumindest ein bisschen etwas davon die Weihnachtsfeiertage überdauert - auf dass die frohen Weihnachten keine hohlen Weihnachten werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. 12. 2013

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