Mittwoch, 30. April 2014
Herren im besten Alter
Die Männer auf dem Bild im Motorteil einer großen österreichischen Tageszeitung wirken frisch und gut gelaunt. "Sechs Herren im besten Alter geben sich abenteuerlustig, erfüllen sich einen Traum und werden im Ziel zu Helfern", steht darunter im Bildtext. "Austrian Orient Rookies" nennen sie sich und nehmen ab 2. Mai die Allgäu-Orient-Rallye unter die Räder. "Der Begriff Rallye stimmt ja im motorsportlichen Sinn gar nicht", wird einer der Teilnehmer zitiert. "Das ist eher eine Schnitzeljagd mit Spaß, Abenteuer und sozialem Engagement." Eine feine Sache also, werden doch am Ende der Fahrt die Fahrzeuge für einen guten Zweck in Jordanien versteigert. Und wer will den Herren dieses Art von Hilfe verargen.
Ein Traum vieler Männer. Mit dem Auto von Oberstaufen über das Burgenland, Temesvar, Sofia und Istanbul nach Ankara, Diyarbarkir, Iskenderun, Haifa und durch Israel nach Jordanien. Das würde viele reizen - hätten sie die Zeit.
Über letzteres können zumindest drei der sechs Abenteurer nicht klagen. Sie sind in Pension. In ÖBB-Pension, wie im Text vermerkt ist. 55 ist der jüngste der abenteuernden Pensionisten laut Zeitung, 59 der zweite und 62 der dritte. In der Tat "Herren im besten Alter", wie es ganz zu Recht im Bildtext heißt. Und sie wirken auch so. Aber sie arbeiten nicht mehr. Sind im Ruhestand. Mit 55 und mit 59. Der Herr mit den 62 Jahren am Buckel nimmt sich da nachgerade als wirklich alt aus, obwohl auch er eigentlich noch drei Jahre vom Regelpensionsalter entfernt ist.
Das Bild der "Austrian Orient Rookies" ist nichts anderes als ein Sittenbild des österreichischen Sozialstaates. Dass es just in der Woche erschien, als der Gesetzesentwurf zur Entschärfung der Luxuspensionen von Experten in der Luft zerrissen wurde, ist wohl nichts als Zufall. Stimmig ist es dennoch. Wiewohl im Gesetzesentwurf nicht gemeint, sind viele Pensionen, wie jene der wackeren Abenteurer von der Eisenbahn, nichts anderes als Luxuspensionen. Für die, die im Luxus stehen, sie zu genießen und im Alter von gut 50 sich Hobbies wie Abenteuerfahrten widmen zu können, sowieso. Sie sind aber auch ein Luxus für die, die sie zahlen müssen. Für all die vor allem, die nicht mit 55 ihre Pension mit Freizeitaktivitäten verplanen können, sondern die in diesem Alter noch auf einen weit entfernten Pensionstermin hinarbeiten und fest einzahlen müssen. Die fragen immer lauter und mit wachsender Wut, warum müssen wir uns diesen Luxus leisten?
Sie fragen völlig zu Recht. Und sie ärgern sich völlig zu Recht. Erst jüngst warnte die OECD, dass Österreich die Krise des Sozialsystems noch bevorstehe. Als besonders problematisch sieht man, was zwar auch in Österreich mittlerweile jeder weiß, was aber niemand zu Kenntnis nehmen will, das Pensionssystem. Dass schon in dreißig Jahren statt derzeit drei Erwerbstätige nur mehr zwei Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten müssen, wird seit Jahren ohne große Folgen diskutiert. Mehr als kosmetische Maßnahmen hat man sich bisher nicht abgerungen. Nicht bei der Neuordnung des Systems insgesamt, und schon gar nicht bei den Frühpensionen, die in Österreich eine besondere Last sind.
"Andere mögen Weltmeister in Wissenschaft und Forschung sein, wir sind Weltmeister bei den Frühpensionen", ätzte erst dieser Tage ein renommierter Kommentator der heimischen Innenpolitik-Szene. Dass nur 0,5 Prozent der Postbediensteten und nur 3,9 Prozent der Eisenbahner bis zum gesetzlichen Pensionsalter arbeiten, wird als normal angesehen. Nicht anders ist es damit, dass in der Stadt Wien das Durchschnittsalter der in Frühpension gehenden Männer bei 53 Jahren (die Zahlen sind aus 2012) liegt.
Diese Beispiele, die in den vergangenen Wochen bekannt wurden, wären wohl in jedem anderen Land politischer Sprengstoff. In Österreich sind sie es nicht. Der Grund dafür ist einfach. In die Frühpension wollen alle und gehen fast alle. Nicht so früh, wie bei den ÖBB und bei der Post vielleicht, aber vor der Zeit jedenfalls. Ganz gleich, ob das die Bauern sind oder andere Berufsgruppen. Frühpension gilt vielen Österreicherinnen und Österreichern als Lebensziel.
Und das nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil man nicht zu den Draufzahlern zählen möchte, wenn man in der Zeitung blättert und ein Bild von "Herren im besten Alter" sieht, die auf Abenteuer gehen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. April 2014
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