Donnerstag, 18. September 2014

Häuptlinge und Indianer



Lehrling? Die Begeisterung ist offenbar enden wollend. Bei den Jugendlichen, bei den Betrieben, bei den Eltern. Eine Lehre zu machen gilt nicht mehr viel in diesem Land. Während die Universitäten übergehen, mögen offenbar immer weniger einen Beruf lernen, schon gar nicht einen, bei dem man sich die Hände schmutzig macht.

Das könnte sich für alle Beteiligten bald bitter rächen. Die jüngsten Zahlen, Berichte und Analysen sind alarmierend. Alles scheint darauf hin zu deuten, dass Österreich auf einen Lehrlings- und in der Folge auf einen Facharbeiter-Notstand zusteuert, während die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen. Ein Land voller Häuptlinge und ohne Indianer, ein Land in dem alle nur anschaffen, aber niemand mehr arbeiten will. In den 1980er Jahren gab es in Österreich noch 190.000 Lehrlinge, heuer werden es aktuellen Schätzungen zufolge nur mehr 120.000 sein. Kein Wunder. Möglichst lange in Schulen zu gehen und dann möglicherweise zu studieren gilt vielen allemal als attraktiver und zukunftsträchtiger, als mit 15 von sieben bis 16 Uhr in einem Frisiersalon zu stehen, in einer Metzgerei Würste zu füllen oder in einer Werkstatt unter einem Auto zu liegen. Schon 60 Prozent eines Jahrgangs wählen nach Vollendung der Pflichtschulzeit weiterführende Schulen.

Aber auch die, die eine Lehre machen möchten, haben es nicht leicht. Rund 15.000 Jugendliche fanden im Vorjahr keine Lehrstelle. Denn auch bei den Unternehmen geht die Lust Lehrlinge auszubilden dramatisch zurück. Laut einer im Auftrag des AMS von der Synthesa Forschung durchgeführten Analyse wird die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, bis 2018 auf 13 Prozent schrumpfen. Dabei ist die Zahl der Lehrbetriebe schon in den vergangenen sechs Jahren um fast 6000 zurückgegangen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Man hadert mit dem Arbeitsplatz-Schutz für Lehrlinge, der zuweilen als allzu heftige Beschränkung empfunden wird, man klagt über den wachsenden Aufwand, der den Unternehmen aufgebürdet wird, und man hat immer weniger Lust, für Dinge Zeit und Geld einzusetzen, die den jungen Leuten eigentlich vom Elternhaus und in der Schule hätten vermittelt werden sollen.

Gerade bei letzterem tun sich immer größere Lücken auf. Viele junge Leute haben heutzutage mit den einfachsten sozialen Grundfertigkeiten größte Probleme. Freundlich zu grüßen, eine Betriebsanleitung zu lesen oder zumindest kleine Beträge im Kopf zu rechnen, sind heute eher selten anzutreffende Fertigkeiten. Dazu kommen fehlende Sozialkompetenzen und Sprachprobleme. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsministeriums klagen 85 Prozent der Firmen, die Lehrlinge aufnehmen wollen, dass viele dieser Interessenten Bildungslücken haben, die sie für die angebotene Lehrstelle unbrauchbar machten.

Wo da Österreich hinein gerät, könnte bald dramatische Folgen haben. Weil auf der einen Seite die Berufseinsteiger fehlen und auf der anderen Seite des Arbeitsmarktes mit einem Anstieg der Berufs-Aussteiger durch Pensionierungen zu rechnen ist, kann es schon ab 2016 zu einem deutlich spürbaren Fachkräftemangel kommen, wird in Studien wie jener des Institutes für Bildungs-und Wirtschaftsforschung vorgerechnet.

Noch hat die Politik keine rechten Antworten drauf, was da auf das Land zukommt. Viel mehr, als man müsse das "Erfolgsmodell Lehre gemeinsam weiterentwickeln, um es zukunftsfit zu halten", fiel den Verantwortlichen, wie etwa dem Wirtschaftsminister, bisher noch nicht ein. Auch dass die Gewerkschaft für eine Ausbildungspflicht für Betriebe eintritt, ist nicht wirklich eine Idee, die geeignet erscheint, das Problem zu lösen.

Gefordert ist die gesamte Gesellschaft - inklusive der Eltern der Jungen. Das gilt für die Vermittlung sozialer Kompetenzen, das gilt aber auch für den Umgang mit dem Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt, wo man die Jungen man allzu oft als billige Arbeitskraft missversteht. Denn Probleme gibt es nicht nur mit den Lehrlingen, sondern auch mit den Studenten, die als "Generation Praktikum" verheizt werden.

Ein Schlüssel ist vielleicht das, was die Personalchefin von McDonalds Österreich in einem Interview so formulierte. "Diese jungen Menschen sind eine der spannendsten Gruppen in unserer Gesellschaft. Sie brauchen maximale Flexibilität in ihrer Arbeit und direktes Feedback ihrer Vorgesetzten." Dann seien sie ein "extrem wichtiger Bestandteil jedes Teams".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. September 2014

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