Donnerstag, 9. Oktober 2014

Störfaktor Kunde



Der deutsche Onlinehändler Zalando sorgte in der vergangenen Woche mit seinem Börsengang für dicke Schlagzeilen. Amazon eilt trotz wachsender Kritik an den Methoden vor allem in Deutschland seit Jahren von einem Erfolg zum anderen.

Wunder nimmt das nicht. Man versteht es gut. Vor allem dann, wenn man als kleines Kunden-Würstchen im Handy-Shop steht, wie beim Arbeitsamt eine Nummer ziehen muss und dann wartet und wartet. Oder wenn man an der Supermarktkasse noch Wechselgeld kriegen sollte, aber die Kassierin mit dem Telefonieren nicht fertig wird. Oder wenn einem im Reisebüro die Beraterin auf die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, googelt und dann den Bildschirm zum Kunden dreht, um ihm zu zeigen, was sie gefunden hat. Ohne auch nur eine einzige zusätzliche Information. Gar nicht zu reden von den allerorten als Negativ-Beispiele bekannten Mitarbeitern in Baumärkten, die ihre Tätigkeit oft als Versteckspiel mit den ratsuchend umherirrenden Kunden zu verstehen scheinen.

Beispiele wie diese kennt jeder zur Genüge. Tag für Tag erlebt man sie. Und sie scheinen immer mehr zu werden. Man versteht den Siegeszug des Onlinehandels. Zumal dann, wenn man oft - und gefühlt immer öfter - Opfer des Handels oder anderer Unternehmen, die etwas verkaufen wollen, wird, und der Misshandlungen überdrüssig ist, die man einem dort dafür, dass man Geld ausgibt, zuweilen angedeihen lässt.

Da nimmt die Lust rasch ab, sich den ganzen Wahnsinn anzutun. Mitunter scheint es, als wolle man mit Gewalt die Kundenscharen ins Internet und zu den Onlinehändlern drängen. Selbst hartgesottene Gegner des Internetkaufes werden auf diese Weise weich gemacht und Amazon und Konsorten in die Arme getrieben.

Denn dort findet man, was man sucht. Schneller, leichter und oft auch günstiger. Die Auswahl ist riesig, es ist alles von allen Seiten fotografiert und beschrieben. Dazu gibt es Kundenbewertungen. Und es gibt kein Anstellen bei den Kassen, keinen Ärger über unwissende Berater oder hochnäsige Kassiererinnen. Und es gibt auch keine nervigen Frauen und Männer vor einem, die in aller Ruhe das Kleingeld zusammenkratzen oder die mit hochrotem Kopf erkennen müssen, dass die Bankomatkarte überzogen ist. Gar nicht zu reden davon, dass die Onlineshops 24 Stunden pro Tag und sieben Tage pro Woche offen haben.

Für den Handel ist das freilich eine enorme Herausforderung. Man weiß es. Die Umstellung ist eine große und sie ist zu einem guten Teil selbst verursacht. Man hat zu lange nicht reagiert, man hat zu lange nicht an Strategien gearbeitet und man hat zu lange geglaubt, man kann mit dem Verkaufen heißer Luft, die als Kundenfreundlichkeit daherkommen sollte, über die Runden kommen. Man steht einem Angebot gegenüber, das man nie und nimmer bieten kann. Und das wird noch dazu zu Bedingungen direkt ins Haus geliefert, von denen man nicht einmal zu träumen wagt.

Hilflos steht man oft der immer vielfältigeren Kundenschicht und ihren Erwartungen gegenüber. Zuweilen scheint man komplett überfordert. Man scheint aber auch nicht bereit zu sein, zu investieren. Vor allem nicht in die Mitarbeiter. Sie sind zumeist schlecht bezahlt. Und auf ihre Ausbildung scheint man in vielen Sparten gar keinen Wert mehr zu legen.

Das Mitleid hält sich daher in engen Grenzen. Auch das für die Mitarbeiter, die, so der Eindruck, zuweilen mit Hochdruck an der Wegrationalisierung ihres Arbeitsplatzes arbeiten. Wenn etwa die Kassendamen beim Zahlen nicht einmal aufschauen, geschweige denn grüßen, sondern weiter mit ihrer Kolleginnen schwätzen, wünschen sich auch die geduldigsten und verständigsten Menschen nichts anders, als einen raschen Durchbruch der Selbstbedienungskassen oder nehmen sich vor, beim nächsten Mal im Internet zu bestellen. Da schwindet die Lust rasch, sie zu verteidigen. "Das hat man nicht nötig," denkt man.

Der König Kunde, das war einmal. Das ist lange her. Man darf gespannt sein, wie sich die Dinge entwickeln. Dabei wäre zu wünschen, dass die vielen Geschäfte endlich reagieren und sich bei der Nase nehmen und Kundenfreundlichkeit ernst nehmen. Nicht nur als Worthülse, sondern als gelebtes Modell und als Garantie fürs eigene Überleben. Die Zeit drängt. Für die Handelsbetriebe, für ihre Mitarbeiter, aber auch, die Greißler von seinerzeit sind das schlechte Vorbild, für ganze Städte, Gemeinden und Regionen, deren Gedeih und Verderb mit ihnen aufs Engste verbunden ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Oktober 20114

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