Donnerstag, 28. Mai 2015

Aus dem Gruselkabinett



In Österreich blickt man gerne mit dem diesem Land eigenen Hochmut auf Griechenland hinab. Und auf seine Bevölkerung. Man hat schnell Erklärungen bei der Hand, wenn es darum geht, die Gründe für das dortige Desaster zu erklären. Man habe das Geld beim Fenster hinausgeworfen, man habe es mit den Steuern nicht genau genommen, man habe zu wenig gearbeitet, habe eine überbordende Verwaltung und man gehe lächerlich früh in Pension. Wenn sie endlich etwas täten, um das in Ordnung zu bringen, dann werde es schon wieder, gibt man sich gerne gönnerhaft. Nicht nur an den Stammtischen unserer Republik, sondern gerne auch in den politischen Salons, in denen hierzulande die Dinge verhandelt werden.

Etwas mehr Zurückhaltung und etwas weniger Hochmut wäre durchaus angebracht. Denn manche der Erklärungen, die in diesen Tagen rund um das Abgleiten Österreichs in internationalen Rankings geliefert werden, haben durchaus Ähnlichkeiten mit jenen, die für das Drama Griechenlands geliefert werden. Der einzige Unterschied - Österreich ist Gott sei Dank noch nicht ganz so weit.

Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür lieferte dieser Tage eine Analyse des griechischen Pensionssystems. "Die Griechen gehen viel zu früh in Pension" stand da. "13 Prozent der Neu-Pensionisten sind zwischen 61 und 65 Jahre alt, sieben Prozent zwischen 55 und 60, drei Prozent zwischen 51 und 55". Der Unterschied zu Österreich ist gering. So wie in Griechenland liegen auch bei uns die Pensionsausgaben bei knapp 15 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes. Laut einer von der Industriellenvereinigung veröffentlichten Eurostat-Grafik liegen wir im europäischen Vergleich damit auf dem drittletzten Rang.

Und das nicht ohne Grund. Auch wenn Hauptverantwortliche wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer sich abzeichnende Probleme gerne kleinreden oder, wie der Wiener Bürgermeister Häupl, sich Einmischungen in Pensionsfragen wie jene des Finanzministers, gleich von vorneherein verbieten - das Zahlenwerk macht das heimische Pensionssystem längst zu einem Gruselkabinett.

Herr und Frau Österreicher, die so gerne mit den Fingern auf die Griechen zeigen, haben es sich unter tätiger Beihilfe einer willfährigen Politik so fein gerichtet, dass das System längst an den Grenzen seiner Finanzierung angelangt ist. Viele Experten machen sich inzwischen ernsthafte Sorgen um die Zukunftsfähigkeit des Landes. Nicht ohne Grund. Jeder dritte Euro, den der Staat einnimmt, muss inzwischen für das Pensionssystem aufgewendet werden. Nur gut 57 Prozent der Pensionen sind durch Beiträge gedeckt, bei Beamten sind es gar nur 22 Prozent.

Das kostet den Staat mittlerweile mehr als 20 Mrd. Euro und ist dennoch zu wenig. Jedes Jahr steigen die Kosten für die Pensionen um eine Milliarde Euro und machen, wie in den vergangenen Wochen immer wieder moniert wurde, jede Steuerreform binnen weniger Jahre wieder zur Makulatur.

Einer der Gründe dafür ist, dass die Lebenserwartung von Herrn und Frau Österreicher nach wie vor deutlich schneller steigt als das Alter, in dem an hierzulande in Pension geht. So schön das für die Menschen ist, so fatal ist das freilich für das Pensionssystem. Denn seit 1970 hat sich die Pensionsbezugsdauer der Frauen verdoppelt, jene der Männer sogar vervierfacht. Dass mittlerweile allgemein anerkannt ist, dass das Pensionssystem mit dem bisherigen Pensionsantrittsalter angesichts der immer längeren Lebenserwartung nicht ausgeht, ist das eine. Dass man sich davon für eine persönliche Lebensplanung in keinster Weise beeindrucken lässt, ist das andere. Möglichst früh in Pension zu gehen gilt hierzulande den meisten als Lebensziel. Die Chancen, das zu erreichen, sind ungebrochen hoch. Denn angesichts des breiten Wunsches sind die Bemühungen der Politik, so rasch und wirksam einzugreifen, wie das angesichts der Zahlen nötig wäre, gering.

So bleibt Österreich im europäischen Vergleich nach wie vor ein Pensions-Paradies, das seinesgleichen sucht. Das effektive Pensions-Antrittsalter liegt immer noch um rund viereinhalb Jahre unter dem OECD-Schnitt. Beamte der Stadt Wien gehen bis zu zehn Jahre früher in Pension als ihre Kollegen in Rotterdam, Stockholm oder Helsinki und nehmen im öffentlichen Bereich nach wie vor nur rund ein Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer die tatsächliche Alterspension in Anspruch.

So ähnlich wie in Griechenland halt, auf das man so gerne mit den Fingern zeigt.
Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 28. Mai 2015

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