Mittwoch, 13. Mai 2015
Sprung - vorwärts - ducken
Norbert Lammert, der Präsident des deutschen Bundestages, zeichnete jüngst ein Bild von einem Verhaltensmuster der österreichischen Politik, respektive ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten, das zur Warnung nicht groß genug affichiert werden kann. Angesprochen auf die auch vom offiziellen Österreich gerne vorgeführte Kritik an der Griechenland-Politik der EU und Deutschlands sagte er offen, wie es selten zu hören ist: "Den vertraglichen Vereinbarungen der europäischen Partnerländer mit Griechenland hat Österreich genauso zugestimmt wie Deutschland." Und weil ihn da wohl eine Portion Verärgerung antrieb, scheute er sich auch nicht, noch eins draufzusetzen. "So wie alle europäischen Mitgliedstaaten an europäischen Entscheidungen beteiligt sind, neigen sie dazu, sich hinter dem einen oder anderen wegzuducken, wenn es ungemütlich wird."
Da ist ihm nur recht zu geben. Rückgrat ist nicht das, was die heimische Politik auszeichnet. Gerne spielt man auf unschuldig, viel zu gerne duckt man sich weg, wie der deutsche Bundestagspräsident das nennt, wenn es ungemütlich zu werden droht. Da erzählt man denen daheim etwas ganz anders, als, das, was man in Brüssel gesagt hat. Da mag man oft nur sehr ungern an das erinnert werden, was man beschlossen hat.
Der Bundeskanzler höchstselbst ist einer der vordersten Vertreter dieser Politiker-Spezies. In peinlicher Erinnerung ist seine vor heimischen Mikrofonen und Kameras gepflegte EU-Ablehnung in den Anfängen seiner Kanzlerschaft, um der Kronenzeitung zu gefallen. Als Mitglied des Europäischen Rates hingegen gab er ganz den europäischen Staatsmann, freilich an der Kittelfalte Merkels, wie Kritiker lästerten, und stimmte überall zu, wo es gefordert war. Dass der Kanzler immer noch diesen Versuchungen erliegt und sein Rückgrat nicht von dem gekennzeichnet ist, was man gemeinhin Festigkeit hält, zeigt er in diesen Monaten mit seinem Verhalten rund um das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Aus Brüssel ist von ihm nichts überliefert, dass er sich dort quer legte gegen TTIP. Daheim hingegen hat der gleiche Faymann keine Scheu, sich von der Krone in die Kampagne gegen das Abkommen an vorderster Front einspannen zu lassen. Das Kleinformat holte ihm dafür sogar "Schützenhilfe aus Kanada", wie der Titel der doppelseitigen Geschichte lautete, und er ließ sich dafür publikumswirksam ablichten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Aber man zeige nicht alleine auf den Bundeskanzler. Auf das Doppelspiel, auf das er sich so gut versteht, verstehen sich auch praktisch alle anderen heimischen Politikerinnen und Politiker -ob sie nun Mikl-Leitner, Rupprechter oder sonstwie heißen. Man neigt allerorten dazu sich das, was man in Brüssel beschlossen hat, so zurechtzubiegen, wie es für daheim brauchbar erscheint. Und wenn man dann noch besonders keck ist, zeigt man dann auch noch mit dem Finger "auf die in Brüssel".
Aber das passt zu Österreich. Was auf internationaler Ebene als feiges Wegducken empfunden wird, gilt nicht nur für Brüssel, das gilt auch in Österreich selbst und wie hier Politik gemacht wird. Man kennt das Muster. Man scheut sich viel zu oft, Verantwortung zu übernehmen, man scheut sich zu dem zu stehen, was man gesagt hat und man scheut sich erst recht zu dem zu stehen, was man versprochen hat. In der Gemeinde sind dann "die am Land" verantwortlich, wenn es brenzelig wird, im Land sind es "die in Wien". So als ob die alle miteinander nichts zu tun hätten, so als ob sie nicht den gleichen Parteien angehörten und so als ob sie nicht aus den gleichen Bundesländern kämen.
Von dieser Kultur des Wegduckens und Abschiebens der Verantwortung führt der direkte Weg zur Entwicklung, die dieses Land seit geraumer Zeit nimmt. Nicht ohne Grund wachsen die Sorgen um Österreich. Im eitlen und ständigen Bemühen vor allem um eine gute Nachrede hat man längst den Blick für die Realität verloren. In vielen Bereichen macht man daheim immer noch auf Weltmeister, obwohl man längst weiß, dass die internationalen Fakten etwas anderes nahelegen. In vielen Bereichen tut man so, als gäbe es keinerlei Problem, obwohl längst alle Alarmzeichen auf Rot stehen. Die Pensionen gehören dazu, das Sozialsystem, die Bildung, die Migration und immer öfter auch die Wirtschaft.
"Österreich wird zum Problemfall", heißt es spätestens seit der Veröffentlichung der jüngsten EU-Prognose für 2015. Völlig zu Recht.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Mai 2015
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