Mittwoch, 25. Mai 2016

Österreich lebt



Was für eine Woche. Zunächst ein neuer Bundeskanzler, der ganz anders redet und auftritt als seine Vorgänger. Dann der Wahlkrimi am vergangenen Sonntag und Montag um das Amt des Bundespräsidenten mit einem Grünen als Sieger. Wie immer man persönlich zu den Vorgängen steht, es sind klare Signale dafür, dass Österreich lebt. Dass es doch lebt. Dass die Demokratie funktioniert. Dass die Menschen politische Entwicklungen nicht teilnahmslos hinnehmen, sich frustriert abwenden und den Dingen ihren Lauf lassen, sondern dass sie sehr wohl bereit sind, mitzumischen und mitzubestimmen. In der SPÖ waren es die Proteste beim Mai-Aufmarsch in Wien, die den Wechsel an der Parteispitze und im Kanzleramt in Gang brachten. Und bei den Präsidentenwahlen war es der freiheitliche Kandidat, der viele Menschen veranlasste, sich einzumischen und ihm nicht das Feld zu überlassen, sondern mit ihrer Stimme für den Gegenkandidaten ein Zeichen zu setzen. Das gibt Zuversicht, dass in Österreich, das Jahre am Rande der politischen Agonie hinter sich hat, Veränderung doch möglich ist. Mehr freilich auch nicht. Aber immerhin. Österreich kann ganz offensichtlich auch anders.

Vorerst gibt es nur neue Töne, ob daraus eine Musik wird, muss sich freilich erst weisen. "Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall, wenige Monate, bis das Vertrauen und die Zustimmung in der Bevölkerung endgültig verbraucht sind." Was der neuen Bundeskanzler in seiner Antrittsrede sagte, spricht vielen Menschen in diesem Land aus der Seele. Dass just Kern das im Hinblick auf seinen Vorgänger, der aus der gleichen Partei kam, sagte, gibt der Aussage das besondere Gewicht, aus dem sich die Zuversicht nährt, dass mit dem ehemaligen ÖBB-Chef nun doch Bewegung in das Land kommt.

Es sind nicht wenige, und bei weiten nicht nur in seiner Partei, die hoffen, dass Kern die Erwartungen, die er mit geschliffener Rhetorik und perfektem, unaufgeregtem Auftreten erweckte, auch erfüllen wird.

Kern muss nun liefern. Denn Van der Bellen mag zwar die Bundespräsidentenwahl gewonnen haben, eindeutiger Gewinner aber ist die FPÖ. Die Freiheitlichen sind damit ungeheuer stark geworden und ein Kanzler Strache wahrscheinlicher als unter einem Präsidenten Hofer. Die Bundespräsidentenwahl machte klar wie nie zuvor, dass die FPÖ am Ballhausplatz die Türklinke schon in der Hand hat. Und viele Menschen in diesem Land machten klar, dass sie bereit sind, sie zu unterstützen, wenn es denn sein müsste, wenn sie keine Alternative mehr sehen. Die Sorgen um die Lagerbildung und um ein geteiltes Österreich sind nicht unbegründet. Diese Lagerbildung ist freilich alles andere als neu, aber sie ist mit den Wahlen sichtbar geworden, wie bisher nie. Wie Kern und Van der Bellen damit umgehen werden, wird entscheidend sein für ihre politische Zukunft und für die Zukunft unseres Landes.

Der große Verlierer der vergangenen Wochen ist die Österreichische Volkspartei. Gegen die SPÖ, ihrem Regierungspartner, schaut sie, zumindest derzeit, alt aus, grau und uninspiriert. Wie aus einer anderen Zeit. Die Parteiführung wurde von den Entwicklungen völlig überrollt. Während die SPÖ nach dem Desaster beim ersten Durchgang der Präsidentenwahlen die Konsequenzen zog und nun mit Kern glaubhaft als Träger vieler Hoffnungen dasteht, scheint die VP nach wie vor alten Mustern verhaftet. Parteiobmann Mittlerlehner wirkt an der Seite Kerns zwar wesentlich gelöster als an der Seite Faymanns, eine Neuorientierung von der Qualität, wie sie die SPÖ vormachte, ist aber in keiner Weise zu erkennen.

Die Dinge sind in Fluss geraten in diesem Land. Das ist nicht hoch genug einzuschätzen. Mehr ist es freilich nicht. Noch nicht. Nun geht es nicht nur darum, den Fluss in Gang zu halten, sondern auch darum, ihm eine Richtung zu geben, die das Land tatsächlich wieder voran und nicht endgültig in den Graben bringt. Das vor allem.

Ob jetzt aber wirklich die Zeit kommt, auf die so viele in diesem Land schon lange warten, muss sich erst weisen. Die Sehnsucht danach ist verständlich und die Wünsche, die damit verbunden sind, erst recht. Aber als Österreicher hat man gelernt, dass sich Zuversicht, große Pläne und große Worte sehr schnell in Luft auflösen können. Und die Wünsche oft Wünsche bleiben.

Raiffeisenzeitung - Meine Meinung, 25. Mai 2016

Donnerstag, 19. Mai 2016

Bitte nicht "Österreich oberpeinlich"



Einmal etwas tun, was die heimische Bevölkerung wirklich will", sagte die Passantin in die Kamera auf die Frage, was sie vom nächsten Bundespräsidenten erwarte. "Ich glaub schon, dass er etwas bewirken kann, wenn er sich bemüht."

Die Hoffnungen schießen ins Kraut, die Erwartungen auch. "Sie werden sich noch wundern, was alles geht", hat Norbert Hofer gesagt und damit das Bundespräsidentenamt inhaltlich völlig neu aufgeladen. Da soll offenbar nichts mehr sein von einem Amtsverständnis, das von freundlichem Lächeln, Repräsentieren und ein paar mahnenden Worten bestimmt ist. Da will einer den starken Mann spielen. Das ist ansteckend. Nicht nur beim Wahlvolk. Längst hat auch der zweite Kandidat den Geschmack der Macht entdeckt. Auch von Alexander Van der Bellen kommen immer öfter Signale, die die Vermutung nahelegen, dass auch er die Machtbefugnisse stärker nutzen will.

Die beiden Kandidaten machen sich das schlampige Verhältnis zum Amt des Bundespräsidenten, das Politiker wie Bürger über Jahrzehnte kultiviert haben, zu Nutze. Nie hat man dieses Amt so richtig ernst genommen, schon gar nicht hat man sich mit der Position des Bundespräsidenten ernsthaft auseinandergesetzt. Man ließ die Dinge laufen und schätzte das Amt, dessen Inhabern man zwar offiziell huldigte, in Wahrheit gering. Man hatte nichts zu befürchten und auch nichts zu erwarten. Der Bundespräsident war immer einer aus dem rot-schwarzen Establishment. Und er war immer einer, der sich den politischen und verfassungsrechtlichen Konventionen dieses Landes verpflichtet fühlte. Einer der mitspielte.

Nun aber steht das Land vor einer völlig neuen Konstellation. Es stehen zwei Kandidaten zur Wahl, die aus Oppositionsparteien kommen. Brisant macht es ihre Bereitschaft, sich um Konventionen nicht sonderlich kümmern zu wollen, sondern die Möglichkeiten des Amtes auszureizen. Seither ist Feuer am Dach. Verfassungsrechtler sind gefragte Interviewpartner. "Ja dürfen's denn das alles, was sie versprechen?" ist dabei die Frage, um die sich alles dreht. Ihre Auskünfte sind dabei oft alles andere als klar. Schulterzucken begleitet oft ihre Antworten, relativierende Worte, Unsicherheit auch.

Es ist eine Unsicherheit, die brisant werden kann. Man staunt, wie viel einem Bundespräsidenten möglich ist, wenn die Konstellation stimmt. Wie schnell der Staat aus dem Gleichgewicht gebracht werden könnte, wenn plötzlich zusammenpasst, was man bisher nie für möglich gehalten hat. Mit der sich abzeichnenden Verschiebung der Machtverhältnisse ist mit einem Mal nicht mehr undenkbar, was bisher als undenkbar galt.

Es hat etwas von einem Jahrhundert-Hochwasser, das da auf das Land zukommt, gegen das sich abzusichern man verabsäumt hat. Es passt zu Österreich und seiner ihm eigenen Schlampigkeit. Man hat nicht genau hingeschaut, man hat die Dinge, sprich die verfassungsrechtliche Position des Präsidenten der Republik, schleifen lassen -geht ja eh und wird schon nicht so schlimm werden.

Der Bundespräsident als "schlafender Riese". Das belebt die Fantasien nicht nur der beiden Kandidaten, das befeuert auch die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger.

Da nimmt nicht wunder, dass sie ihre Vorstellungen in dieses Amt hineinprojizieren wie noch nie zuvor. Gründe dafür gibt es jedenfalls viele. Voestalpine-Chef Wolfgang Eder hat sie erst jüngst in einem Interview mit den großen Bundesländerzeitungen so komprimiert, wie kaum je einer zuvor, formuliert. "Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, Rekord-Staatsschulden, eine noch nie da gewesene Steuerquote und eine überbordende Bürokratie", sagte er. Die Menschen könnten sich aber immer weniger leisten, weil der Staat immer mehr brauche. Es reiche einfach nicht, Jahr um Jahr nur zu verwalten. "Wir erleben in Österreich das Ende eines Systems, an das sich die Menschen viel zu lange geklammert haben."

Wenn es nach den Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl geht, könnte er tatsächlich recht haben. Ob es sich in der Wirkung sehr vom bisherigen unterscheiden wird, ist freilich die Frage. Das TV-Duell der beiden Kandidaten am vergangenen Sonntag legte eher die Befürchtung nahe, dass es noch schlimmer kommen könnte. Vielleicht kommt wirklich "Österreich oberpeinlich", wie die renommierte Süddeutsche Zeitung den Stil beider Kandidaten befand - und das, noch ehe die Probleme des neuen Kanzlers bekannt wurden, Personal für seine Ministerriege zu finden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Mai 2016

Donnerstag, 12. Mai 2016

Woher Fleisch und Eier kommen



Landwirte verlangen Herkunftskennzeichnung in Großküchen.

Hans Gmeiner

Linz. Im Februar sorgte die Forderung der Landwirtschaft an die Gastronomie, die Herkunft des Schnitzels auf dem Teller zu nennen, bei den Wirten für helle Aufregung. Nun haben die Bauern die Verpflegung in Spitälern, Schulen, Amtshäusern, Universitäten, Heimen und Kasernen im Visier. „Wir wollen, dass auch dort die Menschen wissen, was sie auf dem Teller haben“, sagte am Mittwoch Landwirtschaftskammerpräsident Hermann Schultes bei der Tagung „Unser Essen: Wissen wo’s herkommt“ in Linz. Der Bauernpräsident fordert für das Essen in diesen Einrichtungen, das zumeist aus Großküchen kommt, die verpflichtende Kennzeichnung der Herkunft von Fleisch und Eiern. Den Bauern geht es dabei auch um Anerkennung ihrer Arbeit. „Die hohen Standards, die von der heimischen Landwirtschaft in der Produktion und im Umwelt- und Tierschutz verlangt werden und die hohe Kosten verursachen, sollen auch Wertschätzung finden“, sagt Schultes.

„Die Kennzeichnung soll einfach und unkompliziert sein“, betonte der oberösterreichische Bauernkammerpräsident Franz Reisecker. Vorbild ist die Schweiz. Dort ist die Nennung der Herkunft der Produkte auf den Speisekarten in der Gastronomie und in allen anderen Einrichtungen, in denen Speisen verkauft werden, seit 20 Jahren Pflicht. Genannt werden müssen nicht nur die Tierart und ihre Herkunft, sondern auch die Herkunft aller anderen Rohstoffe in Zubereitungen. Zu kennzeichnen sind auch Produkte, die in der Schweiz zwar konsumiert, aber von den Bauern nicht erzeugt werden dürfen. Das gilt etwa für Eier aus Käfighaltung oder für hormonbehandeltes Importfleisch. Kontrolliert wird die Richtigkeit der Angaben von der staatlichen Lebensmittelkontrolle.

Von den heimischen Wirten hingegen haben die Bauern nach den heftigen Protesten vorerst wieder abgelassen. „Die Gastronomen wollen Lösungen auf freiwilliger Basis finden, das ist zu akzeptieren“, sagte Schultes.

In der Tat gibt es in der Gastronomie bereits Ansätze zu mehr Transparenz auf dem Teller. Einer davon ist das AMA-Gastro-Siegel in der Spitzengastronomie. Ein anderer könnte das kürzlich vorgestellte Netzwerk Kulinarik des Landwirtschaftsministeriums werden. „Das ist eine Möglichkeit“, sagte Michael Blass, Chef der AMA-Marketing, die an der neuen Einrichtung federführend beteiligt ist.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 12. Mai 2016

War da jemand?



Bundeskanzler Faymann ist zurückgetreten. Doch. Und spät. Und unerwartet auch, nach all den Jahren, in denen man ihn als Teflon-Kanzler kennengelernt hat, an dem alles abperlt. Jede Kritik, jede Wahlniederlage. Faymann ist weg, so wie er da war. Ohne Spuren zu hinterlassen. Und auch ohne eine Lücke zu hinterlassen.

Gewonnen ist mit dem Rücktritt nichts. Nicht für das Land, das mit wenigen Unterbrechungen seit Jahren an schwachen Führungspersönlichkeiten und einem alles blockierenden politischen Kleinkrieg leidet. Und schon gar nicht für die SPÖ, die in ihrer Talfahrt zu bremsen von einem Mann vom Zuschnitt Faymanns ohnehin nie zu erwarten war.

Der Rücktritt des Bundeskanzlers am vergangenen Montag ist kein Befreiungsschlag, schon gar nicht jener, den das Land bräuchte. Denn nach Faymann folgt wohl ein anderer "Faymann", und soll er Kern heißen, oder Zeiler, oder sonstwie. Das sind, ohne ihnen nahetreten zu wollen, nicht die Leute, die die Ideen leben, für die sie stehen sollen. Und es sind auch nicht die, die dieses Defizit mit ihrem Charisma ersetzen und damit etwas bewegen können. Zumal in einer sozialdemokratischen Partei.

Ganz abgesehen davon: Auch für den oder die Neue bleibt Österreich Österreich. Und damit muss man erst einmal zurechtkommen. Da muss man erst einmal etwas ändern und etwas durchsetzen. Denn es ist bei Gott nicht der Kanzler alleine, der bestimmt, es ist ein ganzes Geflecht, das die Politik in diesem Land beherrscht und in dem unzählige mehr oder weniger Wichtige und Mächtige das spielen, von dem die Menschen so genug haben. Ihr Vertrauen gewinnen die Regierungsparteien nicht so schnell zurück. Jedenfalls nicht, indem man einen Kopf austauscht. Man kennt das. Von der SPÖ auch, vor allem aber von der ÖVP. All die Wechsel an der Spitze brachten nicht die gewünschte Wende.

Warum soll das nach Faymanns Rücktritt anders sein? In der SPÖ zieht in diesen Tagen der alte Häupl die Fäden, wie in der ÖVP der alte Pröll. Die SPÖ ist abgewirtschaftet, organisatorisch und personell. Die Strukturen, einst Stolz und Stärke der selbstbewussten "Roten" der siebziger, achtziger und neunziger Jahre, sind, wenn überhaupt noch vorhanden, zerschlissen. Man kann nichts mehr bewegen. "Die SPÖ ist eine verfallende Volkspartei, die sich zu lange in großen Koalitionen verschlissen und dabei ihre Orientierung verloren hat", schreibt das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Neue Leute, zumal Leute von außen, und heißen sie Kern oder Zeiler, deren Manager-Qualitäten unstreitig sein mögen, tun sich in einem solchen Umfeld schwer. Wie oft ist bei solchen Konstellationen aus dem Beifall zum Antritt im Handumdrehen eine bittere Enttäuschung geworden.

Was für die SPÖ gilt, gilt freilich auch für die Regierungsarbeit. Auch dort ist, außer allenfalls einem Strohfeuer zu Beginn, wohl wenig durch den Austausch des Kanzlers zu erwarten. Schon jetzt ist abzusehen, dass auch der oder die Neue sich bald in den Mühen der Ebene gefangen wiederfinden wird. Zumal in der derzeitigen Konstellation.

Aktuell ist die SPÖ in den Schlagzeilen. Es ist wohl nur Zufall, dass es nicht die ÖVP ist. Denn auch für die Schwarzen gilt im Großen und Ganzen und in unterschiedlichen Tönungen, was über die Roten gesagt wird. Und sie sind gut beraten, sich nicht in Häme zu ergehen.

So sehr man sich wünscht, dass dem Land der absehbare Rechtsruck erspart bleibt, es bleibt wohl nichts denn ein Wunsch. Die beiden großen Parteien haben nicht mehr die Kraft zu reagieren und auch wohl auch nicht mehr die Kraft sich zu erneuern. Ganz sicher nicht in dem Tempo und mit dem Druck, in dem das jetzt nötig wäre.

Die Dinge sind ihnen aus den Händen geglitten. Man hat die Ziele aus den Augen verloren und die Perspektiven. Man hat die Menschen verloren und ihre Anerkennung und Wertschätzung. Die Themen werden von woanders vorgegeben, man hechelt nur mehr hinterher. Ohne Herz ohne Seele und oft auch ohne die Zeichen der Zeit verstanden zu haben.

Manche in den Parteien, in dieser und in jener, haben das erkannt. Viele aber immer noch nicht. Sie halten lieber am Vergangenen fest. An den Erfolgen von seinerzeit, am Stil von seinerzeit und an den Themen von seinerzeit. An dem, was sie für Macht halten.

Weil sie das immer noch tun und niemanden aufkommen lassen, der das nicht will, ist es einerlei, ob einer wie Faymann zurücktritt. Oder einer wie Mitterlehner.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Mai 2016

Mittwoch, 4. Mai 2016

Vollmundig in den Super-Gau



Es war das, was wohl als nichts, denn als ein agrarpolitischer Super-Gau zu bezeichnen ist. "Wir reden sicher in der Größenordnung von 100 Millionen Euro, die da notwendig sind für Österreich", tönte Österreichs Landwirtschaftsminister nach einem Gespräch mit dem EU-Agrarkommissar vor dem EU-Milchgipfel im vergangenen September. "Der Kommissar war sehr offen unseren Vorstellungen gegenüber". Zwei Wochen später war gewiss, dass es nicht einmal die Hälfte der 100 Millionen als Hilfe für die heimischen Milchbauern gibt, sondern nur sieben Millionen. Und seit Ende März ist klar, wie wenig das wirklich ist.
 
Nicht viel mehr als 100 Euro bekommt bei uns ein durchschnittlicher Milchbauer mit 18 Kühen und 100.000 Kilogramm Jahreslieferung, dem im vergangenen Jahr ein Viertel der Einnahmen, rund 10.000 Euro, wegen des Preisverfalls weggebrochen sind. 54 Euro Basisprämie je Milcherzeuger, dazu pro Kuh rund 3,30 Euro.
 
Es ist bisher die einzige Hilfsmaßnahme, die unmittelbar bei den Milchbauern angekommen ist. Dass es nicht mehr ist, ist nicht die Schuld des Landwirtschaftsministers. Die EU-Vorschriften ließen es nicht anders zu. Was freilich verwundert ist, dass just er, der wie kein heimischer Agrarpolitiker die EU von innen kennt und wissen müsste, was möglich ist und was nicht, die Möglichkeiten so falsch einschätzte. Denn möglich ist offenbar nicht viel. Es gab viele Initiativen, darunter auch welche, die von Rupprechter kamen oder bei denen er dabei war. Aber es gab kein Durchkommen. Die finanzielle Situation der Gemeinschaft ist angespannt, die agrarpolitischen Interessen der Länder driften immer weiter auseinander und an der Schaltstelle sitzt ein Kommissar, dessen Verständnis für Bedürfnisse der Bauern in Österreich sehr überschaubar ist.
 
Das alles macht eine wirksame Hilfe gegen die Krise auf den Agrarmärkten, die ja auch die Schweine- und die Ackerbauern in ähnlicher Wucht trifft, so schwierig. Rupprechter hat es schwer in diesem Umfeld, das sei konzediert. Mehr politisches Gewicht in der Europäischen Agrarpolitik hätte man ihm aber als früherem Spitzenbeamten in Brüssel freilich zugetraut.
 
Viele Beobachter sehen inzwischen die EU insgesamt bedroht. Die Lage ist angespannt wie noch nie und wohl auch die Gefahr, dass die Union auseinanderbricht, wie das von immer mehr, auch Landwirten, nachgerade herbeigesehnt wird. Davor sei freilich eindringlich gewarnt, auch wenn man mit der europäischen Agrarpolitik alles andere als zufrieden sein kann. Österreich hätte vom Ende des gemeinsamen Marktes und der gemeinsamen Agrarpolitik wohl viel mehr Nachteile zu befürchten, als es Vorteile gäbe. Ganz besonders gälte das für die Milchbauern, die derzeit so sauer sind auf die EU. Sie produzieren um rund 50 Prozent mehr, als in Österreich gebraucht wird und sind daher wie kein anderer Agrarzweig auf Exporte angewiesen.
 
Auch wenn es derzeit finster ausschaut, bei Licht betrachtet gibt es keine Alternative zur EU. Auch für die Bauern. Realitätssinn ist von ihnen genauso gefordert, wie von Agrarpolitikern mit oft großspurigen Ankündigungen und bei den Bauern bei ihrer Position auf den Märkten. Sonst droht der nächste Super-Gau.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land Mai 2016, 4. Mai 2016

Marketing-Gag Landwirtschaft



Wenn Landwirtschaftskammer oder Bauernbund vor ein paar Jahren einen Film mit solchen Bildern gemacht hätten, um für sich zu werben, wären sie der Länge und der Breite nach durch den Kakao gezogen worden. Sie wären ins rechte Eck der Ewiggestrigen gestellt worden. Nachgerade gefährlich hinterwäldlerisch, engstirnig und weltfremd. In diesen Wochen versucht einer aus jener Partei, die sich damals wohl am allermeisten alteriert hätte, just mit solchen Bildern Wählerstimmen für das Bundespräsidentenamt zu fangen. Der Herr Professor Van der Bellen schreitet in einem seiner Promotion-Videos durch Bauernland, ein alter Traktor fährt durchs Bild, Schweine sind zu sehen, und eine lange Szene von einem Gemüsefeld. Wie man sich halt in der Stadt immer noch Landwirtschaft vorstellt. Viel Land und viel Erde. Und viel Heimat. Ausgerechnet der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen. Da ist nur logisch, dass er, betroffen im Blick, jüngst in der Sonntags-Krone "rasche Hilfe" für die frost-geschädigten Bauern forderte. Da fehlten nur noch die Gummistiefel.

Van der Bellen ist nicht der einzige, der auf solche Bilder setzt. Es ist modern, mit der Landwirtschaft, der Bauernarbeit, der bäuerlichen Welt, Image zu machen. Wenn man zeigen will, dass man ehrlich ist und geerdet, und dass man die Welt versteht und für sie Verständnis hat. Zur Perfektion getrieben haben das die heimischen Handelsketten. Das sprechende Schweinchen ist längst zum Werbe-Hit geworden. Ein Trachtenanzug ist heute, so drängt sich manchmal der Eindruck auf, viele eher in den Vorstandsetagen von Handelskonzernen Dress-Code als in der Raiffeisen-Organisation, über die man sich früher deswegen lustig machte.

Manchen ist freilich selbst das noch zu wenig. Bei den Handelskonzernen hat man keinerlei Hemmungen, die heimischen Bauern und ihre Sorgen in der Werbeschlacht zu benutzen. Denn es riecht sehr streng nach einem Marketing-Gag auf Kosten einer Berufsgruppe, wenn der Chef eines dieser Konzerne wortgewaltig und schlagzeilenträchtig vorrechnet, wie vielen österreichischen Bauern TTIP die Existenz kosten würde.

Zu diesem Abkommen kann man stehen, wie man will, diesen Umgang haben sich die heimischen Bauern aber nicht verdient. Diese Doppelbödigkeit und diese Dreistigkeit.

Da stellt sich ausgerechnet der Chef jenes Konzerns hin und warnt vor einem Bauernsterben, über dessen Verhandlungsmethoden die heimischen Verarbeiter am heftigsten klagen, dessen Preispolitik in den vergangenen Jahren große Teile der heimischen Landwirtschaft in ärgste Bedrängnis brachte und der damit indirekt viele, viele Bauern ins Aus drängte. Mit Billig-Angeboten, mit 50-Prozent-Aktionen, mit Billig-Importen für die eigens aufgebaute Diskontmarke, die den Preisdruck weiter verschärfte und oft nichts denn ein Druckmittel gegenüber heimischen Erzeugern ist. "Wenn die Milchbauern tatsächlich die Produktion zurücknehmen wollen, um die Preise zu erhöhen, werden sie sich anschauen, welche Produkte dann auf einmal bei uns in den Regalen liegen werden", soll er erst kürzlich gedroht haben. Erst am vergangenen Wochenende schaltete sein Unternehmen wieder eine breit angelegte Inseratenkampagne. Titel "Ab sofort: Hunderte Milchprodukte jetzt deutlich preisgesenkt". Selbst wenn man in Rechnung stellt, was der Handel auch für die Landwirtschaft tut und man ihm nicht alles anlastet, was für Preisdruck sorgt, ist die Bilanz insgesamt wohl negativ.

Es ist verstörend, wie die ganze Gesellschaft bei diesen Spielen mitspielt. Bei solchen, wie denen von Van der Bellen oder bei denen des Handels. Da wird nichts hinterfragt. Da sind die einschlägigen Kritiker stumm. Da gibt es kein Aufregen und keine Diskussion. Da werden Themen, die in anderen Konstellationen für hellste Empörung sorgen, mit Gleichmut hingenommen -mit nachgerade unverständlichem Einverständnis. Da lässt man sich alles erzählen und glaubt alles.

In jedem Fall macht es staunen. Zumal sich durch diese Mode, die Landwirtschaft und die Bauernwelt für das Aufpolieren des Images zu nutzen, für die Landwirtschaft nichts verbessert. Im Gegenteil. Es werden falsche, oft längst überholte Bilder fixiert, die für die Landwirtschaft und die Anforderungen, denen sie sich heute gegenübersieht, zumeist oft nichts denn hinderlich sind. Für die Bauern aber, die davon leben müssen, was Stall und Felder hergeben, macht es das nur schwieriger, ihre Bedürfnisse verständlich zu machen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Mai 2016
 
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