Donnerstag, 2. Juni 2016
Die "G'scheiten" und die "Dummen"
Der Herr Bürgermeister Häupl wusste genau, warum der Stimmenanteil von Alexander Van der Bellen in der Stichwahl um das Bundespräsidentenamt just in Wien so hoch war. "Naja", sagt er im Radio, "ich denke, das hat natürlich schon viel mit, wenn man so will, der gesellschaftlichen Zusammensetzung in der Stadt zu tun. Es ist ja das Bildungsniveau höher". Im Klartext: Die g'scheiten Städter wählten Van der Bellen und das dumme Landvolk Hofer.
Häupl war nicht der Einzige, der den knappen Wahlsieg des Professors so erklärte. Seit dem ersten Wahlgang kursierten Grafiken, die den Nachweis zu führen suchten, dass der Stimmenanteil Van der Bellens mit der Höhe des Schulabschlusses korrelierte. Das dröhnte nach "Wir sind die G'scheiten" und nach "Wir wissen, was richtig ist. Und das nimmt man ernsthaft für sich in Anspruch, nur, weil man auf eine Matura oder einen Hochschulabschluss verweisen kann, fragt man sich da unwillkürlich.
In irgendeinem der vielen Kommentare in diesen Tagen fand sich der Begriff "moralisches Herrenmenschentum". Der ist nicht schön, aber er ist wohl ziemlich treffend. Viele in diesem Land fühlen sich aufgrund ihrer Bildung aber auch ihres finanziellen Hintergrundes überlegen. Viele schauen ohne jeden Respekt auf die anderen, die es in ihren Augen nicht so weit gebracht oder die weniger haben, herab. So, wie sie oft nicht viel von denen halten, die auf dem Land leben.
Wenn es in der österreichischen Gesellschaft den Graben, von dem in den vergangenen Tagen so viel geredet wurde, wirklich gibt, dann an dieser Linie. Der Linie, die gezogen wird von den formal Gebildeten zu den formal weniger Gebildeten, von den Intellektuellen zu den einfachen Leuten, von den den G'scheiten und angeblich Wissenden zu den Einfältigen und Dummen und von denen in der Stadt zu denen auf dem Land.
Man hat aus den Augen verloren, dass sich ein Rad ins andere fügen muss, damit das ganze Land funktioniert. Da ist es nicht gut, dass weite Teile der Bevölkerung mit fragwürdigen Statistiken diskreditiert werden, dass ein Lehrabschluss weniger angesehen ist als eine Matura und dass Handwerk und Handarbeit gering geschätzt werden. Man braucht alle Menschen. Man sollte nicht vergessen, dass der Mann mit dem Bierbauch an der Supermarktkassa, über den man sich vielleicht gerade belustigt, der sein könnte, der einen bei einem Unfall aus dem Auto schneidet. Oder der junge Bursche, der die Kappe verkehrt herum trägt, der Installateur sein könnte, der beim nächsten Wasserrohrbruch zu Hilfe kommt, weil man selbst völlig überfordert ist. Und dass es ohne das Muskelpaket da drüben vielleicht keine Wohnhäuser, keine funktionierende Kanalisation oder keine Straßenbeleuchtung geben würde.
Leute wie sie braucht das Land. Leute, die etwas können. Leute die hingreifen, wo all jene mit Matura und Hochschuldiplom hilflos danebenstehen. Denn das ist zumindest genauso viel wert, wie ein Maturazeugnis oder gar eine Promotionsurkunde. Zumindest.
Es ist nicht gut, dass der Graben zwischen diesen Gruppen immer tiefer geworden ist. Man kann oft nicht mehr miteinander reden und man erreicht einander nicht mehr. Vorurteile sind an die Stelle von gegenseitiger Wertschätzung getreten. Die einen sind schnell mit der Nazi-Keule da, mit Vorwürfen wie "Tachinierer","Leistungsverweigerer" und "Sozialschmarotzer". Die anderen schimpfen auf die "G'stopften" und die "Oberg'scheiten", halten jeden Manager für einen Gauner und wittern hinter allem und jedem dunkle Mächte, die nichts im Sinn haben, als sich auf ihre Kosten ein schönes Leben zu machen. Genützt hat diese Entfremdung der Gesellschaftsgruppen, die von Geringschätzung, Unverständnis und Unwissen getrieben ist, bisher niemanden außer Strache und seinerzeit Haider.
Die neue politische Führung des Landes sollte daher sehr schnell daran gehen, diese Kluft zu überwinden, den Schulterschluss wieder zu schaffen. Es geht darum, die Achtung und Wertschätzung wieder herzustellen, die verloren gegangenen ist. Und den Respekt.
Gefordert sind vor allem jene, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben. Jene, die zum Begriff "moralisches Herrenmenschentum" inspirierten. Sie sollten die Menschen nicht so gering schätzen, wie sie es tun, sondern ernst nehmen. Ernsthaft ernst nehmen. Dann bräuchte man sich vor Strache und Hofer nicht fürchten.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Juni 2016
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