Donnerstag, 13. Juli 2017

Ein verfahrener Karren



In einem kleinen Dorf in Oberösterreich wollte der Bäcker nicht mehr länger zuschauen. Zuerst gab der Kaufmann auf. Dann macht der von Bewohnern selbst organisierte "Dorfladen" pleite. Nun will er sich um die Nahversorgung nicht nur mit Brot kümmern, sondern auch das kleine Geschäft übernehmen. "Es war keine leichte Entscheidung", wird er in der lokalen Wochenzeitung zitiert. "Aber es ist einfach zu traurig, ich kann es nicht mit ansehen, wenn sich nichts tut."

Man kann dem Mann nur das Beste wünschen. Denn leicht wird es, so viel kann man schon jetzt sagen, nicht werden. Das Leben am Land am Leben zu halten und den Menschen auch abseits von Städten und Ballungsgebieten ein attraktives Umfeld zu bieten, ist Bohren in harten Brettern.

Kern des Problems ist wohl, dass das Angebot für die Menschen und deren Bedürfnisse heute schlicht allzu oft nicht mehr zusammenpassen.

Dass die Menschen auf dem Land nicht auf das verzichten wollen, was die Leute in den Städten haben. Vom Angebot beim Greißler und beim Fleischhauer, bei den Handwerkern, bei den Schulen, den Ärzten, den Banken und natürlich bei den Arbeitsplätzen. Man will zumindest ein ähnliches Angebot haben und ähnliche Preise. Und dafür nimmt man, anders als früher, viel in Kauf, auch die Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Längst ist das für das gesamte Land, vor allem aber für jene, die auf dem Land bleiben, zum Problem geworden.

Man ist in vielen Dörfern nicht mit den Veränderungen zurande gekommen, hat sie übersehen oder falsch verstanden. Die Attraktivität des Lebens auf dem Land ist verloren gegangen. Die Dorfgemeinschaft, von vielen einer Monstranz gleich hochgehalten, ist dabei oft zerborsten. Aus Mangel an richtigen Antworten.

Längst ist der Karren verfahren. Umso größer ist die Aufgabe, möglichst rasch tragfähige Lösungen zu finden, die den heutigen Anforderungen und Wünschen entsprechen. An Bemühungen fehlt es nicht. Jeder Bürgermeister kämpft für sein Dorf, in den Ländern ist die Landflucht längst ein wichtiges Thema geworden und seit Monaten hat sich selbst die Bundesregierung das Thema auf die Fahnen geheftet. Landwirtschaftsminister Rupprechter zieht mit einem Masterplan durchs Land, "Gegen die Verödung der Dörfer" wird allerorten geschrieben, man dürfe "nicht hinnehmen, dass über tausend Jahre gewachsene ländliche Strukturen in einer Generation, nämlich der unsrigen, zugrunde gerichtet werden", heißt es.

Oft freilich hakt es daran, dass die eigentlichen Probleme nicht angegriffen werden. Viel zu oft noch orientieren sich viele Bemühungen daran, alte Strukturen aufrechtzuerhalten. In neuem Kleid allenfalls, aber selten mit neuen Inhalten, die den heutigen Anforderungen gerecht werden. Viele Bemühungen sind darauf ausgerichtet, Vergangenes und von der Wirklichkeit Überholtes ohne Rücksicht auf den Aufwand zu erhalten. Dass die Bedürfnisse andere geworden sind, dass die jungen Leute von heute anders einkaufen und auf andere Dinge Wert legen als noch ihre Elterngeneration, will man allzu oft nicht zur Kenntnis nehmen. Zumeist versucht man, Vertrautem neues Leben einzuhauchen und tut nichts anderes, als zu wiederholen, womit man schon einmal gescheitert ist.

Das Thema ist äußerst vielschichtig. Es ist nicht alleine die Politik, die verantwortlich ist, es ist die gesamte Gesellschaft, inklusive und oft auch vor allem jener, die jetzt unter dieser Entwicklung zu leiden haben. Gastwirte, Greißler, Fleischer, Ärzte, Schulen, Ämter, Banken. Es sind aber auch die Landbewohner selbst, die lieber jedem Cent in die nächste Stadt nachfahren, als dem örtlichen Fleischer ein paar Euro mehr zu gönnen. Denen das Bildungsangebot vor Ort zu minder ist, und der Job zu gering. Und die lieber im Internet einkaufen oder durch die nächste Shopping-Mall flanieren, als dem örtlichen Händler eine Chance zu geben. Zu stark war die Anziehungskraft, zu groß die Versuchung, zu gering das Gefühl für Verantwortung und zu gering die Geduld, all denen, deren Fehlen heute man beklagt, die Möglichkeit zu geben, sich anzupassen.

Nicht nur Engagement, sondern auch Kreativität sind gefordert, wenn man diese Entwicklung stoppen will. Denn da ist Luft nach oben.

Dem Bäcker, der auch Greißler wird, ist das zuzutrauen. Glück ist ihm dennoch zu wünschen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juli 2017

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