Donnerstag, 1. Februar 2018

Hurra, wir leben noch!



Es sind nur ein paar Schlagzeilen aus den vergangenen Wochen. "EZB-Beobachter erhöhen BIP-Prognose" hieß es da. Oder "Rekord bei österreichischen Exporten", "Deutsches BIP legt 2017 das achte Jahr in Folge zu" und "Umkehr auf dem Arbeitsmarkt -erstmals sank Arbeitslosigkeit auch bei den Älteren". Die Konjunktur brummt, von den Börsen wird seit mehr als einem Jahr ein Rekord nach dem anderen gemeldet, die Wirtschaftsforscher sind durch die Bank optimistisch. Und "täglich schaffen 100.000 Menschen den Weg aus der Armut", heißt es.

Eigentlich dürfte das alles gar nicht sein, ginge es nach dem Grundton, in dem die öffentliche Diskussion nicht nur in Österreich gefärbt ist. Denn die ist seit Jahren geprägt, als gäbe es nichts anderes als Aufgregtheit, Angst, Furcht, Sorge, Panik und Warnungen sonder Zahl. In dicken Lettern, in martialischen Worten und unterfüttert von düsteren Prognosen. Wäre es danach gegangen, müsste allerorten längst Chaos, Not und Untergang herrschen.

Tut es aber nicht. Und nach dem, was alles prognostiziert und befürchtet wurde, kann man nur staunen -hurra, wir leben noch. Und das sogar sehr gut. Wir haben immer noch den Euro und auch der Dollar hält, Griechenland ist dabei, sich wieder zu erfangen, in Spanien sinkt die Jugendarbeitslosigkeit, Osteuropa ist nicht untergegangen und kein europäischer Staat hat Pleite gemacht. Die Arbeitsmärkte haben sich erholt und die Konjunkturprognosen sind zuversichtlich wie schon lange nicht. Statt der Horrorjahre, die man vor zehn Jahren nach der Lehman-Krise düster prophezeite, wundert man sich jetzt auf einmal über eine "inzwischen fast zehnjährige Aufschwungphase".

Es ist, als ob sich die Wirtschaft nicht unterkriegen lassen und gegen alle negativen Prognosen sträuben würde. Als ob sie müde ist vom ewigen Krisengerede und als ob sie sich wehren würde dagegen, dass alles schlecht gemacht wird. Als ob ihr nicht einmal schlechte Politik und fehlende Weichenstellungen etwas anhaben könnten.

Das System, das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gestrickt wurde, ist ganz offensichtlich stabil und belastbar. Es hat ganz offensichtlich genug Kraft, um Krisen einzelner Länder zu schlucken, es hält schlechte Politiker aus, Irrlichter wie den US-Präsidenten Trump und eine schwache EU-Kommission. Und es verträgt auch, wenn eine Wirtschaftslokomotive wie Deutschland über ein halbes Jahr de facto führungslos und nur mit sich selbst beschäftigt ist.

Man wundert sich. Und man fragt sich, was von all den Experten und Wissenschaftlern zu halten ist, die in den vergangenen Jahren den baldigen Untergang voraussagten. Die sich nicht einkriegten mit ihren Warnungen, die die Stimmung drückten und die damit die vergangenen Jahre für viele zu verlorenen Jahren machten. Wie konnte es dazu kommen, ist zu fragen. War die Expertise tatsächlich so schlecht? Oder hat sie sich in der immer schnelleren Umgebung von neuen Medien und Kommunikation aus der Spur bringen lassen?

Statt einen kühlen Kopf und einen klaren Blick zu bewahren und der Wahrheit verpflichtet zu bleiben, hat man sich wohl in einem Maß, wie es zuvor nie der Fall war, von Interessen leiten lassen. Wenn es nicht die eines Staates oder von Unternehmen waren, dann waren es so oft wie nie zuvor eigene. Heute geht es in einem Maß wie nie zuvor darum, Interessen zu bedienen und durchzusetzen. Es geht darum, Fakten einen erwünschten Spin zu geben, Stimmungen zu erzeugen und sich Gehör zu verschaffen. Mit überdrehten Formulierungen, mit zugespitzten Daten, mit pointierten Statements.

Die Folgen sind fatal. Immer öfter zeigt sich, dass man sich auf Prognosen und Einschätzungen nicht verlassen kann, dass Themen falsch diskutiert werden, dass an den falschen Ecken und auf dem falschen Niveau diskutiert wird. Der Sache selbst tut das selten gut. Es werden falsche Maßnahmen gesetzt, es werden Weichenstellungen verhindert, es wird Geld verbrannt und Energie.

Aber, das System hält es aus. Gottseidank. Das heißt freilich nicht, dass man sorglos sein kann. Aber es zeigt, dass oft mehr Gelassenheit angebracht ist in der Beurteilung von Entwicklungen und von Zahlen. Das gilt für den gemeinen Bürger, der in diesem Klima immer öfter glaubt, grundsätzlich zu den Verlierern zu gehören. Das gilt für die Medien und oft auch für die Politik, der es durchaus anstehen würde, sich mehr zurückzunehmen und ein Land zu steuern - statt es hyperventilierend zu hysterisieren.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Februar 2018

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1