Dieser Tage schaltete er sich ein, als Vizekanzler Strache ungeniert vom "Bevölkerungsaustausch" daherredete, der das Land bedrohe. Zuvor hatte er keine Scheu, dem Innenminister auf den Kopf zuzusagen, dass er dessen Überlegungen, die Menschenrechtskonvention abzuändern, für "nicht akzeptabel" halte. "Kickl rüttelt am Rechtsstaat." Man mag Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht mögen, und das tut auch mehr als zwei Jahre nach den Wahlen immer noch fast die Hälfte der Bevölkerung, aber es ist gut und wichtig, wenn er sich in die innenpolitische Diskussion einschaltet und nicht immer all das stehen lässt, was manche Heißsporne in Regierungsfunktion und in den Parteien äußern. Auch wenn sich vor allem die Parteigänger der Regierungsparteien daran stoßen mögen.
Österreich braucht, das zeigt die Entwicklung des politischen Klimas in den vergangenen Monaten, Leute, die nicht in die partei-und alltagspolitischen Ränkespiele verwickelt sind und auch nicht in Wahlkämpfe, die sich trauen etwas zu sagen. Angesichts der immer deutlicheren Lagerbildung und immer tieferer Gräben braucht es ihre Autorität, die Orientierung bieten und hilfreich sein kann, die Dinge richtig einzuschätzen, wenn manchen Politikern mitunter im wahrsten Sinn des Wortes die Gäule durchgehen. Es braucht Mahner, es braucht die Stimmen von Menschen, die über die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse des politischen Betriebes verfügen und auch über das nötige Gehör über die Parteigrenzen hinaus, ohne Gefahr zu laufen, vereinnahmt zu werden. Die Regierungsparteien, zumal dann, wenn sie so stark und so konsequent einer Linie folgen, bei der sich viele sorgen, dass vieles unter die Räder kommt, wie das derzeit der Fall ist, brauchen eine Gegengewicht.
Van der Bellen ist einer davon. Immerhin ist er, hinter Bundeskanzler Kurz, der Politiker in Österreich, zu dem die Menschen das meiste Vertrauen haben. Dass man im Land in der Beurteilung seiner Arbeit geteilter Meinung ist, tut dem keinen Abbruch. Kritik und Unzufriedenheit seien ihnen unbenommen. Und ja, man kann ihm vorhalten, dass er auf dem linken Auge eine Sehschwäche hat. Aber das ändert nichts daran, dass seine Arbeit wichtig ist und dass er sie alles in allem passabel macht. Und wichtig ist dabei auch, dass er nicht einer der Regierungsparteien angehört. Man mag sich ja nicht wirklich vorstellen, was wäre, wenn Norbert Hofer heute in der Hofburg sitzen würde.
Es gibt nicht viele in diesem Land, die eine ähnliche Autorität haben, die sich ohne Rücksichten nehmen zu müssen, es sich leisten können, einen geraden Blick auf die Dinge zu bewahren. Und, das muss man hinzufügen, die sich das auch in der Öffentlichkeit zu sagen getrauen. Die aber sollten viel öfter die Courage aufbringen, sich einzumischen in den politischen Diskurs. Das fehlt.
Man neigt da allemal lieber dazu, sich zurückzuziehen, sich wegzudrehen und lieber nichts zu sagen, als sich auch nur der geringsten Möglichkeit einer Diskussion auszusetzen. Vor allem in der Wissenschaft, an den Universitäten und auch in der Kunst, wo diese Autorität vorhanden wäre, ist diese Haltung, von einigen Ausnahmen abgesehen, viel zu weit verbreitet. Aber auch von den Wirtschaftsbossen und den Kirchen-Oberen halten viele still. Viel zu oft. Aus Bequemlichkeit? Aus Feigheit? Aus Angst? Man weiß es nicht.
Dagegen sind viele der ehemaligen Politiker, die gerne als Muppets diskreditiert werden, die von den Rängen die Politik ihrer Nachfolger kommentieren, nachgerade eine Wohltat. Zumal dann, wenn sie immer noch über eine große Portion Autorität verfügen, die ihnen in manchen Dingen durchaus doch Gewicht verleiht. Franz Fischler ist so einer und auch Hannes Androsch. Und Reinhold Mitterlehner ist dabei, einer zu werden. Das ist gut so. Sie rühren in den eigenen Parteien und oft auch darüber hinaus auf und werden immer noch gehört. Nicht ohne Grund reagierte etwa die türkise Parteispitze angesichts des Mitterlehner-Buches so schroff und versuchte ihn abzukanzeln und schlecht zu machen. Freilich mag vieles mit gekränkter Eitelkeit zu tun haben und einem allzu aufgeblasenen Ego, an der Substanz ihrer Aussagen ist dennoch oft nicht zu rütteln.
Aber - wenn es dem Gleichgewicht im Land dient, ist wohl nichts dagegen einzuwenden.
Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 16. Mai 2019
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