Donnerstag, 16. Januar 2020

Alte Themen, neue Töne



"Atomkraft könnte unser Klimaproblem sofort lösen", "Es sterben jedes Jahr Millionen Menschen wegen Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe und die Leute fürchten sich vor den Atomkraftwerken, wo oben nur Wasserdampf herauskommt." Ungewohnt klingen diese Sätze. Zumal für österreichische Ohren.

In letzter Zeit sind solche Sätze, wie diese von einem jungen österreichischen Wissenschafter, immer öfter zu hören. Und das ist gut so. Nicht, weil Atomkraft gut ist, aber weil es gut ist endlich wieder über etwas zu reden, worüber in diesem Land zu reden oder sogar darüber nachzudenken seit Jahrzehnten verpönt ist.

Nun scheint sich aber das Klima zu ändern und der Widerstand aufzuweichen. Paradoxerweise vor allem wegen des Klimawandels. "Atomstrom könnte ein wichtiges Puzzlestück im Kampf gegen den Klimawandel sein", ist mit einem Mal zu lesen, man beschäftigt sich mit der Frage "Klimaretter Atomstrom?", schreibt davon, dass es "eine beachtliche Pro-Atom-Fraktion der amerikanischen Ökobewegung" gebe und versucht sich sogar auf Greta Thunberg zu berufen, der das Zitat zugeschrieben wird: "Persönlich bin ich gegen Atomenergie. Allerdings kann sie ein kleiner Teil einer großen CO2-freien Energie-Lösung sein." Beim Thema Gentechnik ist die Haltung nicht anders seit Jahrzehnten. Auch dort sind, da und dort zumindest, andere Töne, selbst von grüner Seite zu vernehmen.

Während man auf internationaler Ebene damit umzugehen versteht und keine Scheu hat, diese Technologien auch einzusetzen, weigert man sich hierzulande freilich immer noch mit Bestemm gegen diese Technologien. Das Meinungsklima in diesem Land ist in Ablehnung erstarrt. Jede Diskussion wird seit Jahrzehnten abgewürgt, jede Auseinandersetzung mit solchen Themen erst recht. Man weigert sich Möglichkeiten zu sehen und ist ausschließlich auf mögliche Gefahren fixiert. Niemand will sich mehr antun, darüber zu reden. Nicht nur wegen der Aussichtslosigkeit, sondern auch wegen der einhelligen Verachtung, die jedem entgegenschlägt.

Die Ablehnung solcher Technologien und selbst der Diskussion darüber ist zur Kultur geworden in diesem Land. Die Ablehnung kommt reflexartig und ungeprüft. Und immer mit größtmöglicher Wucht. Die einhellige Ablehnung ist so sehr einbetoniert, dass jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema als vergeudete Zeit erscheint. Ganz abgesehen davon, dass es immer noch einem politischen Selbstmord gliche, mit einem dieser Themen anzustreifen. Und das nicht nur bei den großen Themen, sondern auch bei vielen kleineren wie etwa dem Pflanzenschutz, bei neuen Informationstechnologien oder anderen. Das ist schade. Und es ist auch fahrlässig. Denkverboten, zumal wenn sie auch wissenschaftliche Themen betreffen, sollte man sich nicht unterwerfen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Das Vertrauen in Fortschritt und Lösungen ist nicht nur bei Technologien wie Atomkraft oder Gentechnik schwer beschädigt. Das freilich ist angesichts der zahllosen Sünden, Fehlentwicklungen und falschen Versprechungen aus der Vergangenheit nicht unverständlich. Aber damit blockiert man sich selbst, wenn man nach hinten denkt und nicht nach vorne.

Die Herausforderung ist es, die Blockaden zu lösen und wieder Vertrauen zu erzeugen. Vertrauen in die Fakten, um nicht nur die Gefahren, sondern auch die Möglichkeiten beurteilen zu können. "Die moderne Technologiefeindlichkeit speist sich aus dem mangelnden Wissen über Zusammenhänge" wird gerne ins Treffen geführt. Das scheint ein Ansatzpunkt zu sein.

Dazu braucht es freilich die Bereitschaft, sich überhaupt einmal auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Und dazu braucht es auch das nötige Wissen. Vor allem, was die Naturwissenschaften betrifft. Dort gibt es, wie es der deutschösterreichische Journalist Timo Küntzle einmal nannte, einen regelrechten "Bildungsnotstand". "Politiker, Journalisten, Lehrer usw. versagen beim Unterschied zwischen Heu &Stroh, Medizin &Esoterik, Dünger &Pflanzenschutzmitteln".

Diesen Bildungsnotstand zu beheben, wäre wohl der erste Schritt zu einer offenen Diskussion und einer Auflösung der alles lähmenden Erstarrung bei vielen der Themen, bei denen hierzulande so etwas wie ein Denkverbot herrscht. Scheuklappen und Tunnelblick waren noch nie eine Lösung. Und sich davon zu lösen heißt ja nicht, auch alle Vernunft fahren zu lassen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Jänner 2020

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