Mittwoch, 22. Januar 2020

Man will es blitzen sehen



"Die schwarz-grünen Flitterwochen sind vorbei!" schrieb Norbert Hofer schon am 15. Jänner, gerade einmal eine Woche nach dem Amtsantritt der neuen Regierung ganz aufgeplustert. "Nur wenige Tage nach der Angelobung der schwarz-grünen Linksregierung" sei bereits das pure Chaos ausgebrochen, von Einigkeit, Gleichklang und Fortschritt fehle jede Spur. Schon jetzt erinnere alles an die seinerzeitige rot-schwarze Regierung, "wo es nur Stillstand und Dauerstreit" gegeben habe.

Eh klar, Norbert Hofer könnte man das leicht abtun. Wenn es denn wirklich nur er wäre. Es scheinen aber weite Teile des Landes mit nichts anderem beschäftigt, als (sieht man von des neuen Vizekanzlers Krawattengepflogenheiten, seinen Essgewohnheiten, bei denen es offenbar schon auch einmal ein Burger sein darf, ab) fliegende Fetzen und Streit zwischen Türkis und Grün auszumachen.

Als der frisch bestellte Sozialminister Rudi Anschober unmittelbar nach seiner Angelobung davon sprach, dass es zwischen Türkis und Schwarz Unterschiede gebe und es schwieriger werden werde als seinerzeit in Oberösterreich, rieben sich manche der professionellen Politzündler in diesem Land gleich die Hände. Und als der Nämliche signalisierte, dass er sich das geplante Ende der Hacklerregelung genau anschauen wolle, war gleich "vom ersten Zwist" die Rede.

"In der Woche nach der Angelobung der neuen Regierung treten die Differenzen zwischen Türkis und Grün vermehrt zu Tag" versuchte man selbst auf orf.at Zwist zu streuen. Man verbreiterte sich über die Kopftuchverbot-Aussagen der Integrationsministerin, "bei denen die Positionen der Regierungspartner offensichtlich auseinandergehen" und brachte im Handumdrehen die Absage des VP-Außenministers an das UNO-Migrationspaket als weiteres Signal in diese Richtung ins Spiel.

Dieses Sticheln, dieses Andeuten, dieses mit zwielichtiger Absicht Hinschreiben von Mutmaßungen ist so bezeichnend dafür, wie dieses Land tickt respektive wie viele in diesem Land ticken. Gibt es keinen Streit, fliegen nicht irgendwo die Hackeln, wird nicht irgendwer schlecht geredet, scheint man sich nicht wohlzufühlen und keine Ruhe zu finden. So als könne man es nicht aushalten, wenn zwei in diesem Falle Parteien, in Ruhe eine ohnehin schon sehr schwierige Übung versuchen, tut man alles, um Unruhe hineinzubringen. Kurz und Kogler sind jetzt seit etwas mehr als zwei Wochen am Ruder und streiten immer noch nicht, das kann doch wohl nicht sein. "Ganze Heerscharen von Journalisten und Politikberatern suchen mit Akribie und Verbissenheit nach den Haaren in der türkis-grünen Koalitionssuppe", schrieb eine Zeitung. Sie hat wohl recht damit.

Das ist so österreichisch. Die Haare in der Suppe zu suchen, die Fehler, die Schwächen.

Nicht die Chancen will man sehen, sondern sich an dem Streit ergötzen. Man will es krachen hören und blitzen sehen, um sich wohl zu fühlen. Erst dann ist die Welt wieder in Ordnung, kann man dann doch wieder über die Polit-Streithanseln und darüber, dass sie nur streiten und nichts zusammenbringen, schimpfen.

Das ist wohl auch Ausdruck dafür, dass man sich schwer tut, sich mit diesen neuen Verhältnissen zurechtzufinden. Die Oppositionsparteien suchen ihre Rolle, die Presse und die Kommentatoren, die gesamte interessierte österreichische Öffentlichkeit. Zu einem Ergebnis ist man noch nicht gekommen. Allenfalls zu einem Zwischenergebnis. "Die Regierung blinkt links-mitterechts" lautete das in einem Leitartikel der Salzburger Nachrichten zusammengefasste Ergebnis für viele. Es spiegelt die allgemeine Ratlosigkeit.

Dass man nicht willens ist, der ÖVP eine 100-Tages-Frist einzuräumen, die normalerweise einer neuen Regierung eingeräumt wird, mag noch nachvollziehbar sein. Dass man aber auch nicht willens ist, sie den Grünen zuzugestehen erstaunt doch. Zuweilen hat man den Eindruck, als sei man eher willens von ihnen zu verlangen, dass diese Regierung nicht länger als 100 Tage hält.

Am besten scheinen derzeit die beiden Parteien selbst mit dem "Ritt auf der Rasierklinge", wie es Werner Kogler nannte, zurechtzukommen. Ihnen scheint, das jedenfalls ist der Eindruck der ersten guten zwei Wochen, sehr bewusst zu sein, wie heikel der Weg ist, den sie gemeinsam gehen wollen und wie viel er ihnen abverlangt. Man weiß, was geht. Und man weiß, was nicht geht. Und man nimmt das, derzeit jedenfalls und trotz aller Zurufe, sehr ernst.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 22. Jänner 2020

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