Donnerstag, 9. Januar 2020

Ein gutes Zeichen



Das Spektrum der Meinungen ist wie das Spektrum der Sorgen weit gestreut, seit fix ist, dass die konservative ÖVP und die Grünen nun in einer Koalition gemeinsame Regierungssache machen. Von einem "Wagnis" ist die Rede, wenn man guten Willen zeigen will, von einer "Bauchwehpartie", wenn man zum Ausdruck bringt, dass man der Sache nicht wirklich traut, die da auf das Land zukommt. Und viele fragen wie die auflagenstärkste Zeitung in diesem Land: "Geht das gut mit dieser Regierung?"

Als gutes Zeichen ist jedenfalls zu werten, dass so etwas in unserem Land überhaupt möglich ist. Wenn es sein kann, dass zwei so unterschiedliche gesellschaftspolitische Richtungen und ideologisch einander so fernstehende Gruppen sich an einen Tisch setzen, um eine Programm für eine gemeinsam Regierung auszuarbeiten und um in den nächsten Jahren an einem Strang zu ziehen, dann ist das nur positiv zu bewerten. Vor allem vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre, in denen der Riss im Land kaum mehr zu übersehen war, in denen Österreich in ein rechte und in eine linke Hälfte zu zerfallen drohte. Die sich mit oft nichts denn blankem Hass gegenüberstanden. Die ihre Energie darein setzten, sich gegenseitig schlecht zu machen, wo der Konsens verweigert wurde, jeder Kompromiss als schwach und schlecht galt.

Nun aber darf man hoffen, dass es, auch wenn die Mehrheit nur dünn ist, diese Klammer wieder gibt, die die Gesellschaft, jene, die sich nach links orientiert genauso wie jene, die sich nach rechts orientiert, zusammenhält. Das ist angesichts der Entwicklungen, die sich in den vergangenen Jahren abzeichneten, nicht hoch genug einzuschätzen.

Türkis-grün wird von vielen Beobachtern als historisch bewertet. Welche Motive auch immer dahinter stehen mögen, es ist jedenfalls die interessanteste Konstellation in der Geschichte der Zweiten Republik. Und vor dem Hintergrund, dass sich zwei einander fernstehende Lager über alle Gegensätze hinweg zur Zusammenarbeit entschlossen, sogar vergleichbar mit der Einigkeit nach dem Krieg, als es darum ging, Österreich gemeinsam wieder hochzubringen.

Die neue Koalition, die es in dieser Form auf Bundesebene zumindest in Österreich bisher noch nie gab, ist auch Übung in Demokratie und im gegenseitigen Umgang miteinander, etwas, was in den vergangenen Jahren zuweilen völlig untergangen ist.

Freilich ist das alles einstweilen nicht mehr als eine Hoffnung. Und die Zeit wird weisen, ob die sich auch erfüllen wird. Man weiß um die möglichen Spannungen, die dem türkis-grünen Regierungsprojekt innewohnen, man kennt die Minenfelder. Und man weiß, dass in jeder der beiden Parteien politische Scharfmacher auf ihre Stunde warten, um der Koalition die Arbeit und Leben so schwer wie möglich zu machen. Und doch soll man darauf hoffen, dass die Gräben in der Gesellschaft zumindest wieder kleiner werden.

Dem Land kann das nur guttun. Auch wenn es sehr fordernd nicht nur für die Politik, sondern auch für jeden von uns werden mag. Der Änderungsbedarf ist hoch, der Anpassungsbedarf auch. Es gibt genug zu arbeiten. Es ist zu hoffen, dass der Schwung der Verhandlungen möglichst lange anhält, dass sich die neue Koalition nicht gleich wieder an alten Fronten festbeißt und das Land in eine politische Lähmung verfällt.

Nach einem dreiviertel Jahr Stillstand, nach einem eher unappetitlichen Wahlkampf und nach langem Warten hoffen alle in diesem Land, dass nun wieder etwas weitergeht. Und dass es ruhig weitergeht. Ohne ständige Anpatzereien und ohne gegenseitiges Heruntermachen.

Das gilt übrigens auch für die Oppositionsparteien. Sie sollten sich einer konstruktiven Kritik verpflichten und es sich nicht zur obersten Leitlinie machen, die Regierung oder einzelne Personen, die ihr angehören, von vorneherein schlecht zu machen.

Die Politik in diesem Land hat in den vergangenen Jahren ihren Ruf arg strapaziert. Die neuen Verhältnisse sind eine Gelegenheit diesen Ruf zu korrigieren. Kurz und Kogler haben gezeigt, wie das gehen kann. Für andere sollten sie Vorbild sein. Auch, wenn es denen möglicherweise sehr schwer fällt. Viele im Land jedenfalls würden es ihnen danken.

Vielleicht ja sogar mit Stimmen bei der nächsten Wahl.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Jänner 2020

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