Donnerstag, 10. Juni 2021

Vom Polit-Schmuddelkind zum neuen Star?

In der österreichischen Politik gibt es in diesen Tagen so etwas wie ein Deja-vu. Die Freiheitliche Partei schickt sich - wieder einmal - zu einem Neustart an. Nach Haider und Strache ist es nun Kickl, dem je nach Blickwinkel von allen Seiten viel Guten oder viel Schlechtes zugetraut wird und der, je nach dem, was man glauben mag von dem, was zu lesen ist, von den Türkisen als "Albtraum" empfunden wird, den Kanzler in die "Bredouille" bringt oder "Folgen für alle Parteien" haben wird.

Die Aufregung ist nicht unbeträchtlich und es steht in der Tat zu befürchten, dass wir wieder sehen, was schon bei Haider und Strache zu sehen war. Da scheint wieder einer, wie schon damals, mit einer Mischung aus Bewunderung, Verachtung und Abscheu gar zu einer Bedeutung hochgeschrieben zu werden, die man ihm eigentlich gar nicht zugestehen will, nur um sich dann darüber zu wundern.

Dabei sollte man aus der Vergangenheit gelernt haben. Nicht zuletzt die überbordende Berichterstattung und just die breit publizierte Verachtung für sein Denken und Tun können sich als Nährboden erweisen dafür, dass er genau jene Bedeutung erlangt, die man verhindern, ihm aber jedenfalls nicht zugestehen will.

Bei Haider war es nicht anders und auch nicht bei Strache. Letzterem widmen auch zwei Jahre nach Ibiza manche Zeitungen noch rührselige Homestorys und halten ihn damit als politischen Geist am Leben, statt endlich über ihn zu schweigen und ausschließlich die Gerichte sprechen zu lassen.

Nun also Kickl. Auch da wird inzwischen thematisiert, dass man im Ausland von ihm und der FPÖ Notiz nimmt und erreicht wieder nichts anderes, als dass man ihn damit gleichsam adelt und ihm eine Bedeutung gibt, die man ihm eigentlich gar nicht geben will. Die Medien sind voll mit Porträts, Einschätzungen und Analysen des Schmuddelkindes der österreichischen Innenpolitik und bereiten so nolens volens den Boden für einen Höhenflug auf.

Der freilich hat schon unter dem Parteiobmann Hofer, angeleitet von Kickl, begonnen. Ibiza hat heute nicht mehr die FPÖ am Hals, wie man meinen könnte, sondern die ÖVP. Und während jüngste Umfragen die FPÖ gar schon wieder bei 20 Prozent sehen, müssen sich die Türkisen von Kurz mit Umfragerückgängen, Vertrauensverlust und unappetitlichen Chats herumschlagen und gegen das Image wehren, Säulen des Rechtsstaates mit politischer Spielmasse zu verwechseln.

Dass wir das alles in Österreich jetzt wieder sehen und erleben müssen und dass einer wie Kickl in der Tat wieder in die Position kommt, das politische Gefüge in diesem Land aufmischen zu können, ist die Krux freilich nicht nur dieses Landes. Auch in anderen Staaten gelingt es nicht, Populisten in die Schranken zu weisen und sich noch von ihnen treiben zu lassen, sondern sich freizuspielen.

Und dennoch müssen sich auch die Parteien Versäumnisse vorhalten lassen. Nicht nur die Türkisen, die gerne an den Pranger gestellt werden wegen des harten Kurses, den sie in der Migrationsfrage und anderen Themen, die der FPÖ die politische Luft nehmen sollten. Sie haben den Freiheitlichen bei den letzten Nationalratswahlen 250.000 Wählerinnen und Wählern abspenstig gemacht. Nun scheint es so, dass sie zumindest einen Teil davon wieder verlieren könnten. Vor allem jene, die von Kurz enttäuscht sind, Wutbürger und all die zahllosen Frustrierten, die sich von der Corona-Politik gegängelt, verachtet und missachtet fühlen, und die mit Freude und Genugtuung sahen, wie Herbert Kickl sein "Kurz muss weg"-Trommelfeuer startete.

Das ist aber nur ein Teil. Versäumnisse müssen sich auch die anderen Parteien vorhalten lassen, allen voran die SPÖ. Sie gewann von den Freiheitlichen bei den letzten Wahlen zwar nicht so viel wie die Türkisen, aber die 141.000 Wählerinnen und Wähler, die laut Sora-Analyse von Blau zu Rot wechselten, sind auch nicht ohne Bedeutung. Auch dort muss sich erst zeigen, ob es gelungen ist, die Wähler nachhaltig für sich zu gewinnen, oder ob die nicht doch, wenn es Kickl nur geschickt genug anstellt, wieder zur FPÖ wechseln.

Aber vielleicht kommt ja doch alles ganz anders. Denn anders als Haider und auch Strache fehlen Kickl Ausstrahlung und Charisma, die in der Politik gemeinhin als die halbe Miete für den durchschlagenden Erfolg gelten.

Aber vielleicht wird ihm auch das noch auf den Leib geschrieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Juni 2021

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