Montag, 10. Januar 2022

Bauern und Verarbeiter haben das Nachsehen

Bauernbrot, Bauerngeselchtes, Bauernbuffet. Mit den Produkten der Bauern werden gute Geschäfte gemacht. Die Bauern haben nur wenig davon. In der Wertschöpfung sind sie Schlusslichter.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Wenn die Preise für Getreide, Milch oder Fleisch steigen, kommen die Bauern schnell unter Druck. Vor Weihnachten forderten Bäcker bei Weizen gar einen Exportstopp, weil sich die Preise binnen Jahresfrist verdoppelt haben. Solch heftige Reaktionen überraschen in der Landwirtschaft immer wieder. Zum einen sind die Anteile der Kosten für Agrarprodukte an den Gesamtkosten der Verarbeiter sehr gering. Zum anderen kommt nur wenig von dem bei den Bauern an, was die Konsumenten für Lebensmittel bezahlen müssen.

Der Anteil der Bauern an der Wertschöpfungskette in der Lebensmittelproduktion sank seit der Jahrtausendwende kontinuierlich und stabilisierte sich in den vergangenen Jahren, während die Anteile vor allem von Handel, Lebensmittelverarbeitern und Gastronomie beständig anstiegen. Daran änderte auch kaum etwas, dass im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen der Statistik Austria die Wertschöpfung in der Landwirtschaft wegen der guten Preise für die meisten Agrarprodukte um fast neun Prozent zulegte.

Von einer Wende mag Franz Sinabell, Agrarexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), mangels genauer Zahlen noch nicht sprechen, sagt aber: „Die Wertschöpfungssituation der Landwirtschaft, die sich schon in den vergangenen Jahren stabilisierte, hat sich 2021 deutlich verbessert.“

Weil aber auch die Kosten kräftig anzogen, ging sich trotz der guten Preissituation und des Zuwachses bei der Wertschöpfung wieder nur ein geringfügiger Einkommenszuwachs aus. Nominell geht die Statistik Austria in einer ersten Schätzung für 2021 von einem Plus bei den Bauerneinkommen von 3,2 Prozent aus, um die Inflation bereinigt betrage der Zuwachs im Vorjahr freilich lediglich 1,1 Prozent.

In den vergangenen 20 Jahren rutschten die Bauern in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette kontinuierlich nach unten. „Betrug der Anteil der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette Agrargüter, Lebensmittel und Getränke im Jahr 2005 noch 20,2 Prozent, so verringerte sich dieser Anteil in den darauffolgenden 14 Jahren bis 2019 auf 17,5 Prozent“, sagt Sinabell. Der reale Zuwachs der Wertschöpfung in der Landwirtschaft betrug in diesem Zeitraum nur gut zehn Prozent, während Lebensmittelindustrie und Gewerbe um 34, der Einzelhandel mit Nahrungsmitteln und Getränken um 44 und die Gastronomie gar um fast 50 Prozent zulegten.

Nur gut vier bis sechs Prozent mache der Kostenanteil von Getreide an den Gesamtkosten für eine Semmel oder einen Laib Schwarzbrot aus, rechnet etwa die Landwirtschaftskammer Niederösterreich vor. Das entspreche bei einer Semmel nicht mehr als einem Cent und bei einem Kilogramm Schwarzbrot gerade einmal gut 20 Cent.

Wirtschaftsforscher Sinabell hat aber durchaus Verständnis für den Aufschrei der Bäcker und anderer Verarbeiter, wie etwa der Molkereien, die zuweilen beim Handel nachgerade um höhere Preise betteln, um nicht von den steigenden Kosten erdrückt zu werden. „Die Lebensmittelpreise für Konsumenten wurden bisher kaum erhöht“, beobachtet Sinabell. „Das heißt, dass die Verarbeiter derzeit die Preissteigerungen für die Agrargüter schlucken und leiden müssen.“

Aber auch für die Bauern ist die Situation nicht einfach. Allein mit der Erzeugung von Agrargütern sei eine Stärkung der Landwirtschaft in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette nur schwer möglich, meint Sinabell. Weiterverarbeitung auf den Höfen, Kooperationen mit der Gastronomie und Serviceangebote hält er für Möglichkeiten, die Wertschöpfung zu erhöhen. Mit dem Nachsatz freilich: „Falls die Voraussetzungen passen.“

In der Landwirtschaftskammer leuchten alle Alarmlichter. „Es besteht massiver Handlungsbedarf“, richtet Kammerpräsident Josef Moosbrugger wiederholt einen Appell an Handel und Verarbeiter. „Ein Bekenntnis zu regionaler Qualität in der gesamten Wertschöpfungskette ist von größter Bedeutung.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. Jänner 2022

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1