Donnerstag, 13. Januar 2022

Pippi Langstrumpf am Regiepult

"Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt und drei macht neune -ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt", trällerte Pippi Langstrumpf weiland fröhlich vergnügt vor sich hin. Dieser Tage kommen einem immer wieder diese Zeilen in den Sinn -sei es, wenn aus Brüssel zu hören ist, dass man dort die Atomkraft vor allem auf Drängen Frankreichs zu einer nachhaltigen Energieform erklären will, um sie weiter fördern zu können, und im deutschen Koalitionsvertrag just eine Anti-Atompassage spurlos aus dem Koalitionspapier verschwunden ist. Oder sei es, wenn aus Wien zu vernehmen ist, dass man den Kampf gegen Corona praktisch aufgegeben hat und Omikron, die jüngste Virus-Variante, offenbar ohne viel Gegenwehr durchrauschen lassen will.

Beides kann durchaus als Scheitern von politischen Vorhaben und Plänen -wie im Fall der Atomkraft -oder als Scheitern an der Realität - wie im Fall von Omikron -interpretiert werden. Aber ist es das wirklich? Oder ist es nicht schlicht eine Art von Vernunft, die da dabei ist, sich durchzusetzen? Ist es nicht möglicherweise auch ein Zeichen dafür, dass Politik im Kleinen wie im Großen durchaus lernfähig ist und bereit, starre Schranken, die man sich einmal gegeben hat, aufzuheben? Oder ist ihr doch fehlendes Rückgrat, mangelnde Verlässlichkeit, Schwäche oder gar Verantwortungslosigkeit vorzuhalten? In allem steckt jedenfalls ein gutes Stück Pippi Langstrumpf -"ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt". Wenn es politisch etwas bringt. Oder wenn es schlicht nicht mehr anders geht.

Nur schlecht ist das in keinem Fall, was da in den vergangenen Tagen geboten wurde. Man mag zur Atomkraft stehen, wie man will. Diese Energieform rundweg abzulehnen und keinerlei Diskussion zuzulassen, wie in den vergangenen Jahrzehnten, wird den Anforderungen gerade in Sachen Klimaschutz und CO2-Haushalt nicht gerecht.

"Egal, ob man Kernkraftwerke gut oder schlecht findet", schrieb der Physiker und Wissenschaftspublizist Florian Aigner von der TU Wien, "dass der Atomausstieg mitten in der Klimakatastrophe vor dem Kohleausstieg kam, wird in den Geschichtsbüchern als großer unverständlicher Fehler stehen -gleich neben der Impfverweigerung mitten in einer Pandemie." Gerade Österreich, wo die Ablehnung der Atomkraft ideologisch aufgeladen und längst Staatsdoktrin ist, schadet ein Schuss Realitätssinn nicht, brüstet man sich doch damit, kein AKWs zu haben, hat aber gleichzeitig keine Scheu, immer noch mehr als zehn Prozent des Strombedarfs aus Atomkraftwerken im Ausland zu importieren. Jetzt aber wird auf einmal wieder diskutiert und das ist gut so.

Das wäre auch anderen Bereichen zu wünschen. Aber "Ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt" hat auch eine andere Seite. Die Seite, auf der blockiert wird, auf der man sich Dinge zurechtbiegt, wie man sie braucht, um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Der Umgang mit Gentechnik etwa ist so etwas. Rote Gentechnik, also der Einsatz von gentechnischen Verfahren in der Medizin, ist akzeptiert. Dort ist Wissenschaft alles, bei grüner Gentechnik hingegen ist sie nichts. Bei Themen wie dem Pflanzenschutz ist es nicht anders. Erkenntnisse aus vielen Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung werden einfach geleugnet.

Kritiker, die sich daran stoßen, sind zu verstehen, wenn sie meinen, dass manche Position von grün angehauchten Politikern und NGOs zu Gentechnik oder Pflanzenschutz von der Wissenschaft so weit weg ist wie die radikalen Impfgegner beim Thema Corona.

Zur anderen Seite des Pippi-Langstrumpf-Lebensmottos gehört wohl auch, was sich rund um Corona abspielt. Dass nun selbst die oberste Gesundheitsbeamtin des Landes eine Durchseuchung für unumgänglich hält, ist Wasser auf den Mühlen der Impfgegner und wird den FP-Obmann ganz besonders freuen.

Aber nicht nur das. Dort haben sich viele ihre eigene Welt längst zurechtgezimmert. Dass sie dabei mitunter benutzt und von fremden Interessen gesteuert werden, denen sie bislang wohl ferngestanden sind, will ihnen wohl nicht auffallen.

Wutentbrannt postete Ende vergangener Woche ein Biobauer, der sich seit Monaten am Umgang mit Corona abarbeitet, einen Aufruf einer Gruppe namens die "Freie Linke Österreich" zur Teilnahme an einer Kundgebung in Wien. Dass die angegebene Internet-Adresse mit ".ru" (für Russland) endete, sollte freilich nicht nur ihm zu denken geben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Jänner 2022

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