Österreich liegt seit bald zwei Wochen im Goldrausch. Die Zeitungen tun sich zuweilen schwer, all die Medaillen auf den Titelseiten entsprechend zu würdigen, die "unsere", wie es jetzt natürlich wieder allerorten heißt, Wintersportler gewinnen. Dem Präsidenten des Österreichischen Olympischen Komitees "lacht das Herz", ist zu lesen. Und mittlerweile wird sogar erwogen, dass sich das Land nach etlichen Blamagen und finanziellen Bruchlandungen sogar wieder um die Ausrichtung Olympischer Winterspiele bewirbt.
Kurzum - dank Matthias Mayer, Manuel Fettner, Miriam Puchner, Anna Gasser, Alessandro Hämmerle, Benjamin Karl und all den anderen sind wir wieder wer. Die Nation kann es brauchen in einer Zeit, in der es im Land drunter und drüber geht. Im Umgang mit der Corona-Krise und in der Politik erst recht. Und die Erfolge der Wintersportler sind auch ein probates Sedativum angesichts der internationalen Krisen und der Kriegsgefahr, die praktisch bis vor die Haustür reicht, denkt man nur daran, dass die Ukraine gleich hinter der Slowakei beginnt.Dabei sind diese Winterspiele, die da tagtäglich über den Bildschirm flimmern, nüchtern und ganz ohne Medaillenrausch betrachtet, eine reichlich trostlose Geschichte. Wie von einem anderen Stern kommen sie über den Bildschirm, wie aus der Retorte. Wer immer dort sporteln oder arbeiten muss, mit dem will man nicht eine Minute tauschen. Diese skurill anmutenden Bilder von Wettkampfschauplätzen in Industriegebieten, die sterilen Schneebänder der Skipisten in kahlen Berglandschaften, die zumeist herz- wie lieblose Architektur, der man ankennt, in welchem Tempo sie in die Landschaft betoniert wurde.
Dass ausgerechnet in China Olympische Spiele in Corona-Zeiten über die Bühne gehen, tut sein Übriges und potenziert die Trostlosigkeit. All die Gesichter in Masken, und Sportler, die nicht einmal bei Interviews den Mundschutz abnehmen dürfen. Und gar nicht zu reden vom Olympiapersonal, das in seinen weißen Schutzanzügen und blauen Kittteln, den Masken und Schutzhauben überall zu sehen ist, wie es die Athleten und die wenigen Zuschauer kontrolliert und abscannt und mit riesigen Sprühflaschen offenbar rund um die Uhr Desinfektionsmittel versprüht. Beklemmung macht sich da selbst über den Fernsehschirm breit. Wenn Hans Knaus via Facebook wortreich über die permanente Überwachung berichtet und klagt, "Wir essen Kinbao Chicken und die gehen vorbei und sprühen, mir graust schon davor und die Nase brennt auch schon wie wild", kann man erahnen, was man dort mitmacht.
In den zwei Wochen war bisher kaum etwas von Freude zu sehen, von Lockerheit, von Weltoffenheit gar und von spontaner Herzlichkeit. Viel eher war überall der Drill zu spüren, den man oft mit China verbindet, der herzlose Umgang mit Menschen, den man der chinesischen Regierung oft nachsagt.
Die Spiele in China scheinen eine neue Eskalation im internationalen Sport zu sein, den längst viele als Irrweg sehen. Sportler sind Spielfiguren und Sportveranstaltungen die Spielbretter, auf denen die Interessen der Politik und Wirtschaft ausgespielt werden. Die Staaten nutzen den Sport als Bühne, die Wirtschaft die Spiele, um den Gewinn zu optimieren. Den Kontakt zur Wirklichkeit, zu den Menschen, hat man längst verloren.
Man nimmt das bewusst in Kauf. Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, aber auch Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft oder die Formel 1 nehmen auf nichts mehr Rücksicht denn auf eigene Interessen und die der Wirtschaft. Jetzt sind es die Winterspiele in Peking, die der ganzen Welt das zeigen. In wenigen Monaten wird es die Fußballweltmeisterschaft in Katar sein. Platz hat daneben nichts mehr. Keine Diskussionen, keine Kritik. Und schon gar kein Blick über den Zaun und die Mauern, innerhalb derer sich solche Ereignisse mittlerweile wie in einer Kapsel, die aus Zeit und Raum gefallen scheint, abspielen.
"Alles ist Kalkül, alles ist berechnend, Kritik wird im Keim erstickt", schrieb sich dieser Tage ein Sportredakteur seinen Ärger von der Seele. "Es geht um Gewinnmaximierung um jeden Preis und Befriedigung aller Interessen -der eigenen und jener der Sponsoren und Ausrichter."
Um die Sportlerinnen und Sportler geht es jedenfalls kaum mehr. Und schon gar nicht um die Zuschauer. Und das lässt noch viel Übleres befürchten, als das, mit dem sie derzeit zurechtkommen müssen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Februar 2022
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