Donnerstag, 10. Februar 2022

Mit dem Land spielt man nicht

Die Bilanz der Politik der vergangenen Jahre, Monate und Wochen kann nur trist ausfallen. Erst recht nach dem, was mit den Sideletters bekannt wurde. Da bleibt nur mehr zu sagen, Politik funktioniert offenbar wirklich genauso, wie es sich der sprichwörtliche kleine Maxi vorstellt und wie es an den Stammtischen dieses Landes so gerne kolportiert wird. Ein paar schnapsen sich alles im stillen Kämmerlein aus, ganz egal, was sie draußen jemals gesagt haben. Da ist nichts von all den Sonntagsreden und all den Versprechungen, da gehören doppelte Böden zur Grundausstattung und Unehrlichkeit zum Programm. Man mag noch Verständnis aufbringen dafür, dass nicht alles in die Öffentlichkeit muss und soll in der Politik, um manche Dinge weiterzubringen. Aber diese Detailversessenheit, diese Dreistigkeit und diese Falschheit, wie selbst auch die Grünen einfach gelogen haben, schwarz auf weiß festgehalten zu finden, überraschte dann doch selbst hartgesottene Beobachter des heimische Politikbetriebs.

Über Strache und Gudenus wunderte man sich seinerzeit noch und zeigte sich empört. Nach der Veröffentlichung der Chatprotokolle aus dem Handy von Thomas Schmid verstand man ja noch manche Beteuerung, jetzt ist es damit wohl selbst bei den wohlwollendsten Politik-Verstehern und -Verteidigern vorbei. Postenbesetzungen und Pfründeverteilungen auf allen Ebenen, haarklein festgeschrieben in einem Papier, das unterschrieben wurde von Politikern, die, wie Kurz, angetreten sind, eine neue Politik zu machen, und die, wie Kogler, der auf die Nachfrage, ob es einen Sideletter zur Bestellung des ORF-Generals gebe, ohne mit der Wimper zu zucken "Nein" sagte.

Der Bundespräsident hatte nicht recht, als er damals nach Auffliegen der Ibiza-Geschichte sagte, "So sind wir nicht". Selbst die größten Politik-Versteher und die engagiertesten Verteidiger des Systems tun sich heute schwer, noch irgendetwas zu glauben.

Das Land ist längst blockiert und nimmt Schaden. Seit Jahren mittlerweile. Wichtige Projekte bleiben liegen, für Weichenstellungen hat man nicht Zeit. Wichtige Themen werden ohne viel Fortschritt durch die Jahre geschoben, weil die Kapazitäten anderweitig gebunden sind. "Statt um Gesundheit, Wohnen, Inflation, Gleichbehandlung vor dem Gesetz, Persönlichkeitsschutz geht es um Parteien, Intrigen, Geheimes", schrieb dieser Tage Anneliese Rohrer. So ist es. Und alle spielen das Spiel bereitwillig mit. Von früh bis spät, von Montag bis Sonntag, von Jänner bis Dezember lässt sich ein ganzes Land davon zum Narren machen.

All diese Unverträglichkeiten sind das eine. Wie sie an die Öffentlichkeit gebracht werden, ist das andere. Über das zu reden ist genauso dringlich. Es ist keine Frage, dass all die Ungeheuerlichkeiten, Ungereimtheiten und Dreistigkeiten aufgeklärt und im Fall des Falles auch sanktioniert werden müssen. Es muss aber auch endlich aufgeklärt werden, wer da aller seit Jahren mit der Politik und damit mit dem Land spielt. Wer im Wochentakt Gift tröpfeln lässt. Da ein Protokoll aus Chats, dort eines aus Vernehmungen, da ein Auslieferungsantrag, dort ein Jahre zurückliegendes Zitat.

Es muss Schluss sein damit, dass sie mit dem Land spielen. Ohne jede Legitimation, schon gar ohne jede, die demokratisch wäre, sondern viel mehr getrieben von Hass und davon, offene Rechnungen zu begleichen. Es ist offensichtlich, dass es nicht wirklich darum geht, Missstände aufzudecken, wenn Dokumente oder Chats in die Öffentlichkeit gespielt werden, sondern darum, Wirbel zu machen und zu destabilisieren.

Zeitliche Zusammenhänge mit Entdeckungen in den schmutzigen Ecken des heimischen Politikbetriebes sind ja nur selten zu erkennen. Viel eher scheinen die Vermutungen zu stimmen, dass überall Giftschränke stehen, gefüllt mit Material, das bei Bedarf an die Öffentlichkeit gebracht wird.

Es ist schick geworden in den politischen Couloirs, mit dem Ton des Wissenden zu flüstern, "da kommt noch einiges". Bis jetzt ist wirklich immer noch etwas gekommen. Das sollte ein Ende haben. Es gehört alles auf den Tisch gelegt, was da in den Giftschränken aus den vergangenen Jahren herumliegt und was jetzt schon bekannt ist. Das Spiel muss ein Ende haben. Das Land kann es nicht mehr ertragen und nimmt immer größeren Schaden, je länger dieses Spiel von allen so bereitwillig mitgespielt wird.

Nur dann kann das Land wieder frei werden und auch die Politik.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Februar 2022

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