Donnerstag, 21. Juli 2022

Pudelnackt auf der Titanic

Einmal Griechenland geht noch. Kärnten auch. Und daheim sind die Bäder voll. Ferien wie immer, wenn man sich umschaut und umhört. Und die will sich niemand vermiesen lassen. Und dennoch fühlen sie sich anders an. Sie haben so etwas wie einen Titanic-Touch -einmal noch, bevor wirklich alles anders ist, während die warnenden Stimmen schon lauter werden und die Töne schriller.

Von gewaltigem "sozialem Konfliktpotenzial" ist inzwischen zu lesen, davon, dass wir "unkoordiniert in einen Notfall laufen" und sogar von drohenden "kriegswirtschaftlichen Zuständen" ist die Rede. Von ersten Panikkäufen wird berichtet. Gas und Diesel werden bereits knapp, Strom wird teurer und teurer und das Essen sowieso. Und die Inflationsprognosen werden immer abenteuerlicher - nicht die Prognosen freilich, sondern die Höhen, die wir zu erwarten haben.

Antworten darauf hat man immer noch keine, lieber tut man immer noch das, was man am liebsten tut. Zuwarten und Kopf in den Sand stecken. Die Umweltministerin empfiehlt nach langem Drängen jetzt zumindest schon einmal vorsorglich "Fenster und Türen abdichten", wie der Kurier auf Seite eins vermeldete und rät Unternehmen auf Öl umzurüsten.

Ansonsten aber steht Österreich ziemlich pudelnackt da. Noch immer. Weit und breit ist nichts von dem in Sicht, was Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und auch viele andere, vor allem aus der Wirtschaft, fordern -ein Masterplan für die Herausforderung, die auf das Land zukommt. Auch wenn man den Wirtschaftskammerpräsidenten Mahrer nicht mögen mag und seiner Körperschaft vor allem im Zusammenhang mit Russland und Putin allerlei vorhalten kann, sein Sager, dass sich schuldig mache, wer in der Pendeluhr schlafe und sich nicht rechtzeitig um die Infrastruktur kümmere, trifft ziemlich genau das Problem, mit dem Österreich vor diesem Winter, der, wie inzwischen immer mehr meinen, "fürchterlich" werden könnte, ziemlich genau.

Sind wir unverbesserliche Optimisten, nur bequem und träge oder schlicht Realitätsverweigerer? Oder glaubt man immer noch, dass Karl Schranz, Christoph Leitl oder Siegfried Wolf, die immer hierhielten, wenn es um die Freundschaft zu Putin ging, den Karren aus dem Dreck ziehen werden. Sozusagen im letzten Moment in der Schranz-Hocke aus der Krise?

Indes braut sich im Land etwas zusammen, das in seiner sozialen und politischen Sprengkraft noch kaum abzuschätzen ist. Angesichts der drohenden Szenarien, der steigenden Mieten, Energie-und Lebensmittelkosten und der möglicherweise kalten Wohnzimmer schwindet die Solidarität mit der Ukraine und das Verständnis für die Sanktionen schon jetzt rapide. Nur mehr 43 Prozent der Bürger sagten Anfang Juli, dass Österreich die Russland-Sanktionen weiter mittragen soll. Im Februar, zu Beginn des Angriffskrieges, waren es noch 56 Prozent. Je näher der Herbst und der Winter kommen und je länger auf eine Strategie der Politik gewartet werden muss, desto rascher wird das Verständnis weiter zurückgehen. Und desto rascher werden die Populisten dieses Landes wieder den Ton in der Politik und in der Öffentlichkeit bestimmen. FPÖ-Chef-Kickl brachte schon eine Volksbefragung ins Spiel. Und dass nun doch ein Kandidat dieser Partei zur Bundespräsidentenwahl antreten wird, heißt wohl just in dieser heiklen Situation nichts anderes, als dass da bald richtig Öl ins Feuer kommt.

Aber es ist nicht nur die Politik in Österreich, die in diesen Wochen und Monaten überfordert ist bis an die Grenze des Versagens. In der Europäischen Union ist es kaum anders und auch nicht darüberhinaus. Man weiß nicht mit Putin umzugehen und man will es auch gar nicht. Es ist wohl etwas dran an der Meinung, dass die Sanktionen nicht wirklich zu Ende gedacht sind. Und es ist vor allem nichts von diplomatischen Bemühungen oder Ideen zu erkennen, mit Putin ins Gespräch zu kommen und diesen Krieg Russlands gegen die Ukraine zu einem Ende zu bringen. Immer lauter werden die Stimmen, die mehr Realismus einfordern und die davon reden, dass es eine Illusion sei zu glauben, dass die Ukraine diesen Krieg vollständig gewinnen kann.

Auch wenn vielen solche Gedanken als unstatthaft gelten und einem zuwider sind, sind sie doch zu verstehen. Irgendwie muss die Welt, und in erster Linie Europa, schauen, dass dieser Krieg zu einem Ende kommt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Juli 2022

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