Samstag, 30. Juli 2022

„Ukraine ist erst seit zehn Jahren ein großer Player“

Turbulente Agrarmärkte, explodierende Kosten: Viele Bauern sind verunsichert. „Es war schon schlimmer“, sagt Franz Sinabell vom Wifo.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Auf den Bauernhöfen haben sich in den vergangenen Monaten Sorgen breitgemacht. Die Märkte spielen verrückt. Auch wenn die Preise für ihre Produkte steigen, fragen sich die Bauern, ob sie mit den Preisen für Futter, Diesel, Dünger zurechtkommen können, die oft noch viel stärker steigen. Und sie machen sich Sorgen, dass die geplanten Beschränkungen bei Pflanzenschutz und Düngung und Flächenstilllegungen, mit denen die EU im Rahmen des Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie das Klima retten will, die Lage noch schwieriger machen könnten. Längst ist eine breite Diskussion in Gang, ob Bauern nach Russlands Überfall auf die Ukraine ihre Betriebe neu aufstellen müssen, weil sich die betriebswirtschaftlichen Anforderungen geändert haben.

„Eigentlich nicht“, sagt Franz Sinabell, Agrarexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts. „Was jetzt extrem turbulent ausschaut, hat es vor nicht allzu langer Zeit schon gegeben.“ Schon der EU-Beitritt Mitte der 1990er-Jahre sei für die Landwirtschaft eine größere Herausforderung gewesen als die derzeitigen Verhältnisse. „Damals wurde für die Bauern nicht nur das System, in dem sie produzierten, völlig neu aufgestellt, sondern es hat sich auch das gesamte agrarpolitische Umfeld verändert.“ Und was wir jetzt erleben, sei „dramatisch, aber nicht so dramatisch wie das, was wir 2009 erlebt haben“, sagt Sinabell. Auch damals gerieten die Relationen völlig aus dem Lot. „Waren bis dahin drei bis fünf Kilogramm Mahlweizen oder Körnermais nötig, um ein Kilo Dünger kaufen zu können, so waren dann mit einem Mal mehr als 12 Kilo Weizen oder gar mehr als 16 Kilo Körnermais nötig.“ Heute bekommt der Bauer ein Kilogramm Dünger trotz der extrem gestiegenen Preise um den Preis von acht Kilo Weizen oder Körnermais. Der Grund: Anders als seinerzeit haben diesmal die Preise, die die Bauern für ihre Produkte bekommen, deutlich angezogen.

Sinabell will die aktuelle Krise auf den Märkten nicht überbewerten. „Die Ukraine ist erst seit gut zehn Jahren ein großer Player und wichtiger Exporteur auf den internationalen Getreidemärkten“, sagt er. Jetzt seien die Irritation und die Störung auf den Märkten wegen des Wegfalls eines großen Versorgers verständlicherweise groß, aber davor habe man es im Großen und Ganzen auch geschafft, eine weltweit wachsende Bevölkerung ernähren zu können. „Ich gehe davon aus, dass das auch jetzt möglich ist“, sagt Sinabell, zumal Putin mit seiner Politik alles dazu tue, die Preise für Agrarprodukte hoch zu halten.

Vor diesem Hintergrund beurteilt Sinabell auch die Forderungen nach einer Lockerung der Farm-to-Fork-Pläne zurückhaltend. Er sieht die Folgen für die Bauern durchaus „dramatisch“ und hält die Ziele nur für erreichbar, „wenn die Verbraucher aufhören, Fleisch zu essen“. Alternativen sieht er nicht. „Was sollen wir machen, wir müssen die Treibhausgase reduzieren, da haben wir keinen anderen Weg.“

Den Bauern empfiehlt er, Ruhe zu bewahren, die Trends in der Gesellschaft, wie etwa den sinkenden Fleischverbrauch, genau zu beobachten und allenfalls die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit ihrer Betriebe durch neue Einkommensstandbeine zu stärken. „Wir werden auch in Zukunft sehr viele Kalorien und sehr viel Protein auch von der traditionellen Landwirtschaft brauchen.“ Dass es keinen Dünger mehr geben wird, glaubt er nicht. „Da verzichten wir vorher auf viele andere Sachen.“ Den Green Deal der EU sieht er auch als Chance. „Was da kommen wird, muss für die Bauern nicht unbedingt ein Einkommensnachteil sein, wenn sie die Flächen anderweitig, etwa mit PV- oder Windkraftanlagen, nutzen können.“

Die Unsicherheit auf den Bauernhöfen versteht der Wissenschafter dennoch. Aber die vergangenen Monate hätten den Bauern auch bewusst gemacht, dass ihre Produkte wertvoll sind und neuerdings auch gute Preise erzielen. Sein Fazit: „Ich würde in die Landwirtschaft investieren.“ Nachsatz: „Aber ich würde mir zwei Mal überlegen, ob ich in die Schweinemast einsteigen würde.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 30.  Juli 2022


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