"Barfuß, mit einer Chino und einem dunkelblauen T-Shirt bekleidet" habe er ihr die Tür zu seinem renovierten Winzerhaus am Rande des Wienerwaldes geöffnet, schreibt Krone Star-Interviewerin Conny Bischofberger, die den ehemaligen Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern für ein großes mehrseitiges Interview für die "Krone bunt" Anfang Juli vors Mikrophon bat. Deutlich schlanker sei er geworden, streut sie Komplimente. Mag sein, jedenfalls ist Christian Kern in den vergangenen Wochen und Monaten wieder sehr viel präsenter geworden in der Öffentlichkeit. So präsent, dass er ins Zentrum von politischen Spekulationen geriet in diesem Land, das mehr denn je Orientierung sucht und in dem die Partei Christian Kerns, die SPÖ, die zahllosen von der Regierung aufgelegten politischen Elfmeter nicht zu einem Treffer zu verwandeln mag.
Da verwundert nicht, dass das politische Sommerloch einen Kern hat. Denn für einen klassischen Polit-Muppet, der es nicht lassen kann, nach dem Karriere-Ende von der Tribüne gefragt oder ungefragt seine Kommentare abzugeben, ist Kern zu jung. Darum verwundert nicht, dass die Gerüchte von der Gründung einer neuen Partei bis zu einer tragenden Rolle in der SPÖ blühen, zumal ihnen Kern eher halbherzig entgegentritt. Seine Beteuerungen, nichts mehr mit der Politik zu tun haben und schon gar eine Funktion anstreben zu wollen, kommen einen Tick zu oft in einem koketten Unterton daher.Bereitwillig wird er von manchen Medien hofiert, weiß man doch, dass er kaum einem Mikrofon aus dem Weg geht, breitet auf Twitter fast täglich seine Sorgen aus, die er sich um Politik und Land macht, und berät den burgenländischen Landeshauptmann Doskozil, den Gottseibeiuns der SPÖ.
An die 20 Prozent würde Kern mit einer eigenen Partei bei Wahlen schaffen, zeigte Anfang Juli eine Umfrage, als die Spekulationen einen ersten Höhepunkt erreichten. Vergessen scheinen die eher maue Performance und das zwielichtige Ende seiner nur eineinhalbjährigen Amtszeit. Und erst recht der holprige Abgang aus der Politik, der kein Abtritt in Würde und Anerkennung war, sondern vielen als tolpatschig galt.
Die politischen Nachrufe, die Kern, der einst als "Messias aus dem Musterknabenkatalog" für das Kanzleramt galt, damals hinterhergeschrieben wurden, waren jedenfalls durchwachsen. Von der "Prinzessin Kern" war da zu lesen, die gerne die Schuld bei anderen sucht, und eigene Fehler nicht zugeben wollte. Von "eitel" und "dünnhäutig" wurde geschrieben, wenn es um die Charakterisierung seiner Persönlichkeit geht, und von der Silberstein-Affäre, der Verpflichtung des israelischen Beraters Tal Silberstein und die damit verbundene Dirty-Campaigning-Affäre, die am Beginn des Endes seiner politischen Karriere stand.
Als Oppositionsführer galt er gegen Kurz als glücklos. "Manchmal trat Kern geradezu stümperhaft auf, vor allem in taktischen Fragen war er alles andere als sattelfest", hieß es damals in einer Analyse, wiewohl ihm sein Plan A, mit dem er Österreich in die Zukunft führen wollte, aber auch manch andere Ideen, wie die Beschränkung des freien Uni-Zugangs oder die Europapolitik, durchaus gute Zensuren bescherten.
Vergessen scheint im Kern-Hype der letzten Wochen auch, wie unzufrieden und unglücklich die SPÖ damals mit ihrem Chef war, wie er seine Nachfolgerin Rendi-Wagner und die Partei düpierte, als er sich nach dem Rücktritt in Österreich zum Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten bei den damaligen Europawahlen machen wollte. "Seltsam unprofessionell", hieß es damals.
In neuem Licht steht inzwischen auch Kerns Verhältnis zu Russland. Auch wenn er sich sofort nach dem Angriff auf die Ukraine aus dem Aufsichtsrat der Russischen Staatsbahnen verabschiedete, haftet der Geruch an ihm, ein ehemaliger Putin-Freund zu sein, der sogar einmal beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg als, wie es in Wikipedia heißt, "Stargast von Präsident Wladimir Putin" gegen die internationalen Sanktionen gegen Russland, damals im Gefolge der Besetzung der Krim, aufgetreten sein soll. Aber auch heuer meinte er, noch unmittelbar vor dem Überfall auf die Ukraine, wenig von Sanktionen zu halten und fand, dass "nicht alles an der russischen Argumentation falsch" sei.
Und dennoch alles vergeben und vergessen? Die kommenden Wochen und Monate werden es zeigen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen