Donnerstag, 22. Juni 2023

Die härteste politische Disziplin

Man muss nicht Andreas Babler heißen, um sich als Bürgermeister, der SPÖ-Chef wird, mit Vorwürfen, in der Schulzeit ein Kreuz angezündet oder die Müllgebühr nicht gezahlt zu haben, herumschlagen zu müssen. Auch andere Bürgermeister kennen das. Gleich, ob sie der SPÖ angehören, der ÖVP, der FPÖ, den Grünen oder irgendwelchen Bürgerlisten. Bürgermeister und Kommunalpolitiker zu sein, ist in Österreich oft ein hartes Brot, die Frustration oft entsprechend hoch. Erst vor wenigen Wochen sorgte in Oberösterreich für Aufregung, als wieder ein Bürgermeister sein Amt niederlegte. "Der Frust in den Gemeindeämtern scheint zu wachsen", hieß es in den Medien, und gleich fragte man auch: "Laufen uns aus Frust bald die Ortschefs davon?"

Die Lage in manchen Gemeinden ist zuweilen prekär. "Man ist Prellbock für alles, und auch in der Freizeit hört man Klagen über dieses und jenes", wird eine Ortschefin zitiert. Das gilt freilich nicht nur für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Damit haben alle zu kämpfen, die sich auf lokaler Ebene engagieren. In keiner anderen politischen Disziplin ist der Kontakt zu den Bürgern und damit zu den Wähler so direkt und so ungefiltert. Keine politische Disziplin ist so anspruchsvoll, wenn es um den direkten Kontakt geht, und keine ist so schwierig. Viel zu oft wird unterschätzt, wie anspruchsvoll und fordernd Kommunalpolitik ist und was von den Vertreterinnen und Vertretern oft verlangt und was ihnen zugemutet wird. Persönliche Anfeindungen sind immer häufiger, die sozialen Medien senken auch draußen in den Städten und Dörfern die Hemmschwellen.

"Sie fühlen sich oft hilflos", sagt die Klagenfurter Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, die zur Lage der Bürgermeister im Auftrag des Gemeindebundes forschte. Die "steigende rechtliche Verantwortung" wurde dabei als größte Sorge der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister genannt, die "immer strengeren Gesetze" und das hohe Risiko, weil Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zuweilen auch persönlich zur Haftung herangezogen werden können.

Da verwundert nicht, dass die Schwierigkeiten wachsen, Leute zu finden, die das Amt und die Bürde auf sich nehmen wollen. "Man muss schon fast ein Wunderwuzzi sein", um sich mit Materien wie dem Baurecht, dem Schulwesen, der Kinderbetreuung oder der sozialen Verwaltung auseinandersetzen zu wollen. "Es ist sehr komplex geworden", befindet Stainer-Hämmerle.

Dabei geht es nicht nur um die Themen selbst, sondern auch darum, dass die Bürokratie immer höhere Ansprüche stellt. Neun von zehn Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern leiden Stainer-Hämmerle zufolge darunter, und 65 Prozent spüren die steigenden Ansprüche im Amt. "Die Leute sind mündiger geworden und kennen ihre Rechte besser."

Dass viele Gemeinden mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben, macht die Situation nicht einfacher. Dabei geht es nicht um Gemeinden wie das Osttiroler Matrei, die große Pleiten hinlegen, sondern viel öfter um kleine Gemeinden, die praktisch null finanziellen Spielraum haben. Für sie ist oft schon ein Fahrradständer eine riesige Herausforderung, die nicht ohne Besuch beim zuständigen Landesrat zu stemmen ist. "Oft wird der Bürgermeister zum Bittsteller degradiert und von dominanten Landespolitikern auch so behandelt", kritisieren selbst Zeitungskommentatoren.

Vor allem Gemeinden, die kaum Betriebe haben, sind zuweilen nachgerade hilflos. Dabei sind es oft sie, die am sorgsamsten mit Bodennutzung, Zersiedelung und Umwelt umgehen. Der Lohn dafür ist freilich karg. Bei der Verteilung der rund 93 Milliarden Euro, die im Zuge des derzeit in Verhandlung stehenden Finanzausgleichs verteilt werden, stehen sie meist ganz hinten.

"Die Zentralstellen in Wien haben keine Ahnung, wie das Leben am Land abläuft", tönt es zuweilen aus den Gemeindestuben. Und: "Wir haben Sorge, dass der Bund den Föderalismus nicht mehr ernst nimmt."

Dass im Verhältnis zwischen Zentralstellen in Land, Bund und Gemeinden vieles oft nicht rund läuft, ist augenscheinlich. Auch wenn man sich oft über Ideen, Pläne und Konzepte von Ortskaisern respektive Ortskaiserinnen wundern oder gar ärgern mag -die Möglichkeiten von Bürgermeistern und Gemeinden zu beschneiden und kurz zu halten, wie oft gefordert wird, heißt nicht automatisch, dass übergeordnete Stellen alles besser machen. Das Gegenteil wurde in der Vergangenheit schon viel zu oft bewiesen. Die Aussicht auf Änderung freilich ist eher gering.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Juni 2023

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1