Mittwoch, 7. Juni 2023

Künstliche Intelligenz ist sehr viel mehr als ChatGPT

Wer auf sich hält, hat in den vergangenen Monaten mit ChatGPT herumgespielt. Hat etwas gefragt, probiert, wie das wirklich ist, wenn man etwas schreiben lässt, eine mathematische Aufgabe gestellt. Das war es aber bisher im Wesentlichen. Am aufgeregtesten waren noch die Lehrer, die sich Sorgen machten, dass ihnen die Schülerinnen und Schüler mit Texten, die von ChatGPT, dem Programm, das Künstliche Intelligenz (KI) mit einem Mal bis in die Wohnzimmer brachte, erstellt wurden, falsche Tatsachen vortäuschten. Und kürzlich ging die Meldung durch die Medien, dass Geosphere Austria mit KI optimale Standorte für Windräder berechnen will. Viel mehr war aber bisher noch nicht in Österreich zu hören. Einige Projekte, ein paar mehr oder weniger aufgeregte Artikel in den Zeitungen. Viel weiter ist man bei uns bisher nicht hinausgekommen. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft. Und schon gar nicht in der breiten Öffentlichkeit.

Das ist ein Fehler. Die Gefahr ist groß, dass wir, nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt und jeder Einzelne, völlig unterschätzen, was da vor der Tür steht und vielen als die wichtigste Erfindung seit der Dampfmaschine gilt.

International ist die Diskussion längst ganz woanders. Dabei wird immer deutlicher, was mit KI wirklich möglich ist und womit wir lernen müssen umzugehen. Mit einem Mal sind Berufe bedroht, um die man bisher nicht Sorge haben musste. Der Bogen reicht von Buchhaltern, über Journalisten und Anwälten bis hin zu Programmierern. Es geht um Millionen Arbeitsplätze rund um die Welt. Die wahre Bandbreite abzuschätzen ist schier unmöglich. KI mischt nicht nur auf dem Arbeitsmarkt die Karten völlig neu. In der Gesellschaft, in der Wirtschaft, aber auch in der Politik. Für Aufsehen sorgte die Nachricht, dass sich bei einem Test des US-Militärs eine KI-gesteuerte Killerdrohne mit einem Mal gegen ihren Operateur wendete und ihn zerstören wollte, weil sie ein Signal falsch verstand.

"Heute wissen wir nicht mehr, was die Maschinen wissen. Wir wissen nicht wirklich, warum sie in flüssiger Sprache mit uns sprechen können. Mit anderen Worten: Wir haben Zugang zu einem neuen Mysterium. Das hat enorme politische Konsequenzen", sagte jüngst Henry Kissinger, der sich trotz seines hohen Alters mit KI beschäftigt, in einem Interview aus Anlass seines 100. Geburtstages mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit".

Rund um den Globus macht sich ein "sexy Gruseln" angesichts der neuen Technologie breit, vor dem selbst ihre Erfinder und Protagonisten nicht gefeit sind. Erst dieser Tage warnten sie davor, dass KI für den Menschen das "Risiko der Auslöschung" birgt, ähnlich wie Pandemien oder Nuklearkriege, und fordern, "es sollte global priorisiert werden, dieses Risiko zu verringern".

Genau das ist wohl die zentrale Aufgabe. KI kann nicht verboten werden und sie darf auch gar nicht verboten werden, angesichts der Möglichkeiten und Chancen, die sie bietet. Denn dann hätten wir heute noch keine Autos, kein Fernsehen und vieles andere mehr. Vielmehr muss es darum gehen, einen Rahmen dafür zu schaffen, damit umzugehen. Je schneller, desto besser. Wie groß der Druck bereits ist, zeigen nicht nur das zitierte Papier der KI-Protagonisten, sondern auch ein offener Brief, in dem Prominente wie Elon Musk und KI-Spezialisten einen sechsmonatigen Entwicklungsstopp forderten.

Schroffe Ablehnung und Angst helfen nicht weiter. Was es braucht, ist eine rationale und kritische Auseinandersetzung. Wir müssen lernen, mit der Herausforderung umzugehen, und wir müssen lernen, mit KI umzugehen. Gerade Europa und erst recht Österreich. "Während einige Länder, insbesondere China und die USA, enorme Fortschritte in der Entwicklung und Anwendung von KI verzeichnen, scheint Österreich sich nur langsam in dieser Hinsicht zu bewegen", lautet die Antwort von ChatGPT auf die Frage, ob Österreich bei KI ins Hintertreffen gerät -als Selbstauskunft sozusagen. Was für Österreich gilt, gilt für Europa insgesamt. "Es ist wichtig zu erkennen, dass der Wettbewerb im Bereich KI global ist", schreibt das KI-Programm. Nachsatz: Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, müssten die Anstrengungen verstärkt werden, Entwicklung und Anwendung von KI voranzutreiben. "Die KI-Revolution hat bereits begonnen. Und es ist an der Zeit, dass Europa und Österreich auf diesen Zug aufspringen."

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Juni 2023

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