Donnerstag, 29. Juni 2023

Rechtschreipkaterstrofe - wem stört das?

„Bei den regionalen Produzenten Gustieren und Kaufen“ lädt eine Ortsbauernschaft dieser Tage zu einem „Bauernmarkt“. „Gustieren“ großgeschrieben. Und „kaufen“ auch. Heute fallen Rechtschreibfehler wie diese kaum mehr auf. Und ernst nehmen tut man sie ohnehin nicht mehr. „Passt doch eh“ und „man versteht doch was gemeint ist“. Haarspalterei sieht man inzwischen in solchen Fällen und Kleinlichkeit. Heute seien andere Fähigkeiten wichtiger.

Es gibt viele Beispiele wie diese. Nicht nur auf Plakaten. Speisekarten sind meist voll von Rechtschreibfehlern. Dann ist da die Geschichte mit den zumeist abenteuerlichen Apostrophen-Setzungen oder die Sache mit dem Dativ und dem Akkusativ, deren Unterscheidung in diesem Land längst keine Rolle mehr spielt, seit ein ehemaliger Fußballstar und nunmehriger TV-Analyst die Verwechslung zum Kult gemacht hat. Aber, um es in seinen Worten auszudrücken, wem stört das?

Rechtschreibung und Sprache verschlampen immer schneller, ein normal nach allen Regeln aufgebauter Satz gilt kaum mehr etwas. Schon vor Jahren schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ von der “Rechtschreipkaterstrofe“. „Gemma Billa“ heißt es heute meist, wenn gemeint ist „gehen wir zu Billa“ und „gurd“ in der schnell verschickten WhatsApp, wenn man etwas „gut“ findet. Ganz so, als würden all die Regeln der zugebenermaßen schwierigen deutschen Sprache nichts mehr wert sein. Dabei kann, wie mitunter verzweifelte Deutschlehrer anmerken, Leben retten, wenn man im Satz „Wir essen jetzt Opa“ nur einen Beistrich an der richtigen Stelle setzen würde.

„Die Verwilderung der deutschen Sprache ist das Zeichen einer gewissen Verwilderung des Denkens“ befand seinerzeit schon der legendäre deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer. Man ist geneigt ihm recht zu geben. Dabei hätten Rechtschreibung und Sprache nicht nur mit Verständigung und Denken zu tun, sondern auch sehr viel mit Verbindlichkeit und mit Klarheit auch.

Die Sprache verflacht immer mehr. Und damit geht die Möglichkeit verloren zu nuancieren mahnen Experten. Nicht ohne Grund gelten Sprache und auch Rechtschreibung als die wichtigsten Kulturtechniken. Sprache ist Ausdruck der Kommunikation zwischen Menschen und in der Gesellschaft. Und dafür braucht es Vereinbarungen wie etwa die Rechtschreibregeln und die Regeln der Grammatik, dass man sich versteht. Wer sagt, wir verstehen ohne Rechtschreibung und Grammatik riskiert, dass er den Zugang zu verschiedenen Bedeutungsebenen der Sprache verliert. „Adieu, Sprache. Es war schön mit dir“ war vor Jahren der Titel eines Essays von Klaus Puchleitner im „profil“ in dem er beklagt, dass die Sprache „immer unzulänglicher, fehlerhafter und unverwendbarer“ wird. Die Werbung trägt dazu bei, die Anglizismen, die Schlampigkeit und die Schludrigkeit.

Aber das passt zu einer Entwicklung, die in den vergangenen Wochen wieder einmal für Aufsehen sorgte. Jedes fünfte Kind in Österreich gilt als schwacher Leser, schon zuvor wurde festgestellt, dass hierzulande 40 Prozent der Pflichtschulabgänger Probleme mit sinnerfassendem Lesen haben. Wenn sie es denn überhaupt können. Die PIACC-Studie, eine Art PISA für Erwachsene, brachte schon vor Jahren zutage, dass hierzulande rund 17 Prozent der 16- bis 65-jährigen praktisch gar nicht lesen können.

Die Aufregung hält sich freilich in Grenzen, die Fortschritte auch. Schon vor 25 Jahren hieß es im „profil“ „aus Gymnasien und Universitäten, der der Industriellenvereinigung bis zur Handelskammer hagelte es Kritik an Schulabgängern, deren Leistung im Rechtschreiben und Kopfrechnen ‚katastrophal‘ sei.“

Allem Anschein nach ist seither kaum etwas besser geworden. Während die einen aber unverdrossen wie immer das Schul- respektive das Unterrichtssystem in die Pflicht nehmen wollen, um das zu ändern, versuchen andere den Entwicklungen Positives abzugewinnen. Sie sprechen von einer neuen Sprache und sehen sie nicht als Verfall, sondern als Evolution. Noch nie hätten Junge so viel geschrieben wie heute, in Chats und sozialen Medien entstehe eine neue Form der Sprache, eine Mischform aus mündlich und schriftlich, in der selbst Emojis ihren Platz hätten.

Und vielleicht ist es dann auch „gurd“ „gustieren“ und „kaufen“ großzuschreiben, wann immer es beliebt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Juni 2023

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