Freitag, 14. Juli 2023

Bauern auf unsicherem Boden

Der Klimawandel hat viele Facetten und ist voller Zielkonflikte. Der Boden ist dabei im Zentrum – und macht vor allem den Bauern zu schaffen.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Vor wenigen Wochen sorgte das Scheitern der Verabschiedung der Bodenschutzstrategie für Österreich für heftige Diskussionen. In den vergangenen Tagen war es das Renaturierungsgesetz, das im Europäischen Parlament mit knapper Mehrheit beschlossen wurde. Und immer wieder gibt es fette Schlagzeilen, wenn aktuelle Zahlen von Bodenverbrauch und Bodenversiegelung in Österreich veröffentlicht werden. Gemeinsam ist all diesen Themen, dass man seit Langem weiß, was besser zu machen ist, dass bisher aber kaum Fortschritte erzielt wurden. Und gemeinsam ist all diesen Themen auch, dass sie nicht einfach zu lösen sind, sondern vielschichtig und voller Zielkonflikte.

„Boden hat zum einen ,Produktionsfunktion‘ zur Ernährungssicherung“, sagt Boden-Experte Martin Gerzabek von der Universität für Bodenkultur. „Aber eben nicht nur“, setzt er fort und nennt dazu die „Lebensfunktion“ als Faktor für die Biodiversität, die „Schutzfunktion“ zur Erhaltung des Klimas und des Wasserhaushalts und die „Abbaufunktion“ etwa für den Abbau von Schadstoffen.

Die Einschätzungen der Experten werden zunehmend dramatisch. Obwohl seit 20 Jahren davon geredet wird und das Ziel, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu senken, sogar im Programm der aktuellen Regierung steht, werden immer noch jeden Tag mehr als elf Hektar verbaut. Das sind 41 Quadratkilometer pro Jahr, was Gemeinden in der Größenordnung von Straßwalchen entspricht. Die Juristin Leonore Theurer machte bei einer Veranstaltung der Initiative „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ dafür auch die Zersplitterung der Zuständigkeiten und mangelnde Koordination der zuständigen Stellen verantwortlich.

Die Zielkonflikte machen besonders der Landwirtschaft zu schaffen. Sie ist wirtschaftlich wie kein anderer Bereich von der Nutzung des Bodens abhängig, leidet aber gleichzeitig wie kein Wirtschaftszweig sonst unter dem hohen Bodenverbrauch und den Auswirkungen der Klimakrise. Pro Jahr gehen jeweils rund 4500 Hektar Acker- und Grünland für immer verloren. Nur gut die Hälfte davon wird Wald, der große Rest verschwindet unter Beton und Asphalt. 180.000 Hektar waren es in den vergangenen 20 Jahren, sagt die Österreichische Hagelversicherung, deren Chef Kurt Weinberger sich seit Jahren des Themas annimmt.

Damit nicht genug. Schon vor Jahren zeigte eine Studie der Ages (Agentur für Ernährungssicherheit) auf, dass in Österreich bis 2050 die Bodenfruchtbarkeit und damit die Erträge um fast 20 Prozent abnehmen werden. Vor allem in Ostösterreich, einem der wichtigsten Anbaugebiete des Landes, wird dieser Einschätzung nach die Bodenfruchtbarkeit um 48 Prozent, also um knapp die Hälfte, zurückgehen.

International wird diese Entwicklung die Märkte dramatisch verändern. Russland wird bis 2065 seine landwirtschaftlich nutzbare Bodenfläche wegen der durch den Klimawandel auftauenden Permafrostböden um 50 Prozent ausweiten können und China um 30 Prozent. Mit einem Zuwachs von zehn Prozent werden die USA demnach immerhin noch im Plus liegen, während Europa (minus 15 Prozent), aber auch Südamerika, Afrika und Indien mit Rückgängen zu rechnen haben. „Man möge sich überlegen, wer dann das Sagen haben wird, sage ich jetzt einmal ganz vorsichtig“, meint Bodenexperte Gerzabek.

Dennoch tun sich die Bauern schwer, ihre Sorgen vor allem um die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln verständlich zu machen. Dass sie im EU-Parlament den Entwurf des Renaturierungsgesetzes ablehnten und auf die Vielschichtigkeit der Materie hinwiesen, stieß auf wenig Verständnis. Aber auch Gerzabek will der Landwirtschaft keinen Freibrief ausstellen. „Ein Land wie Österreich muss darauf vorbereitet sein, auch in Krisenfällen die Menschen zumindest mit Grundnahrungsmitteln versorgen zu können“, sagt er. „Aber angesichts des Klimawandels muss uns klar sein, dass wir in den nächsten Jahrzehnten die Landwirtschaft neu denken müssen.“

Nachsatz: „Wir können es uns nicht leisten, den Verlust der Ertragsfähigkeit im Osten und Südosten Österreichs einfach hinzunehmen.“


In der Landwirtschaft ernten sie Unverständnis und Kopfschütteln,...


In der Landwirtschaft ernten sie Unverständnis und Kopfschütteln, außerhalb der Bauernhöfe aber wächst das Verständnis für radikale Vorschläge, wie sie Martin Schlatzer, Wissenschafter in Diensten des Fibl (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) propagiert. Er rechnet vor, dass gegenüber derzeit üblicher Mischernährung bei rein veganer Ernährung der Flächenbedarf um rund zwei Drittel von 1832 auf 629 Quadratmeter pro Kopf zurückgehen würde.Kostenwahrheit in der Produktion und eine Einrechnung der Folgekosten in die Preise schlägt er vor. „Die Preise für Pflanzenprodukte müsste man um zwei Drittel senken, tierische Produkte entsprechend verteuern.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 14. Juli 2014

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