Dienstag, 11. Juli 2023

Ukraine-Tief auf dem Getreidemarkt

Die „grüne Brücke“, die der Ukraine helfen sollte, sorgt für Unmut bei den Bauern. Die Getreidepreise sind unter Druck wie schon lange nicht mehr.

Hans Gmeiner

Salzburg. Die Stimmung war feierlich, als Anfang Mai vorigen Jahres die erste Getreidelieferung aus der Ukraine per Bahn in Wien ankam. Die damalige Landwirtschaftsministerin, der ÖBB-Generaldirektor und der ukrainische Botschafter posierten für ein Foto. Über sogenannte „grüne Brücken“, also den Landweg, sollten Mais, Getreide und Soja auf den Weltmarkt gebracht werden, um die internationale Versorgung zu sichern.

Doch schon die erste Lieferung landete in einem heimischen Mischfutterwerk. Daran hat sich seither nichts geändert. Die Märkte für Getreide, Mais und Soja sind in Österreich und im übrigen Westeuropa gesättigt, die Preise seit Monaten auf Talfahrt und die Bauern entsprechend sauer. Die Gerüchteküche heizt die Stimmung an. Vereinbarte Mengen aus heimischer Produktion würden nicht abgeholt, hört man, Grenzwerte für giftige Rückstände erhöht und wahllos Gentechnikware importiert.

Große Verarbeiter wie Agrana und Jungbunzlauer sowie Händler und Mischfutterwerke werden verdächtigt, die „grüne Brücke“ für Mais-, Getreide- und Sojaimporte zu nutzen, um auf Österreichs Landwirtschaft Druck zu machen. Fotos werden herumgereicht, viele wollen etwas gesehen und gehört haben. Beweisen kann niemand etwas. Agrana jedenfalls versichert: „Wir beziehen nur geringe Mengen an Wachsmais aus der Ukraine, den wir für spezielle Produktionen brauchen, sonst aber nichts.“

Die Datenlage ist dürftig und unübersichtlich. Aus den Importzahlen der Statistik Austria geht nur hervor, dass die direkten Importe aus der Ukraine einzig bei Mais markant angestiegen sind. Wurden im Zeitraum März 2021 bis Februar 2022, also vor dem Überfall Russlands, lediglich 968 Tonnen importiert, so schnellte die Menge im darauffolgenden Jahr auf mehr als 156.000 Tonnen. Im Vergleich dazu spielen Weizen mit einer Importmenge von 4300 Tonnen und auch Gerste mit 740 Tonnen keine Rolle.

„Was mit dieser Ware passiert ist, wissen wir nicht“, sagt Christian Gessl, Marktexperte der Agrarmarkt Austria. Und man weiß auch nicht, wie viel Getreide, Mais und Soja über Drittstaaten aus der EU nach Österreich gekommen ist. „Da gibt es eine Freigrenze zwischen 150.000 und 200.000 Euro pro Lieferung, die nicht gemeldet werden muss“, sagt Gessl.

Aber nicht nur für ihn und andere Marktbeobachter ist klar, dass bisher große Mengen an Weizen und vor allem Mais auf dem Landweg nach Europa gekommen sind. „Diese Importe aus der Ukraine haben den EU-Markt natürlich durcheinandergewirbelt, auch weil zur gleichen Zeit der Konsum schwächelte und weniger Getreide gebraucht wurde.“ Spätestens seit die unmittelbaren Nachbarstaaten keine ukrainische Ware mehr übernehmen, sondern nur die Durchschleusung erlauben, ist der Druck auch in Westeuropa besonders groß.

Die Biobauern kämpfen mit denselben Problemen. Vor allem über die Niederlande, Frankreich, Deutschland und Spanien kommen beträchtliche Mengen aus der Ukraine in die EU und drücken auf die Märkte. Obwohl ukrainische Bioware auch über Österreich in andere EU-Staaten gehandelt wird, ist im heimischen Biofutter davon nichts zu finden. „Wir haben bei Bauern, Mischfutterwerken und Händlern Proben genommen und nichts gefunden“, sagt Hermann Mittermayr von Bio Austria.

Die Preise bei Getreide, Mais und Soja sind seit Monaten sowohl im konventionellen Bereich als auch bei Bio im Sinkflug. Die Kurse an den Warenterminbörsen liegen etwa bei konventionell erzeugtem Weizen nur mehr knapp über der Hälfte der Rekordwerte des Vorjahres. Bei anderen Produkten ist die Entwicklung ähnlich. 

Der Markt ist auf das Niveau vor dem Krieg zurückgekehrt. Zudem sind die Ernteaussichten nicht nur in Österreich gut. „Der gesamte Getreidemarkt steht, es bewegt sich nichts“, sagt Helmut Feitzlmayr von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich. Zudem stehe eine sehr gute Ernte an. Das gilt auch für Biogetreide. „Alle wissen, dass es eine gute Ernte gibt, das hat Folgen für die Preise“, sagt Mittermayr und macht sich keine Illusionen.

„Die Verarbeiter lehnen sich zurück, keiner kauft, alle warten, was passiert“, sagt Feitzlmayr. Das schmerzt die Bauern heuer besonders. Denn sie erwischt diese Entwicklung auf dem falschen Fuß. Die Kosten für die Produktion der Feldfrüchte, die sie nun billig verkaufen müssen, war so teuer wie kaum je zuvor. Bei Diesel, Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln war von Kostensenkungen kaum etwas zu spüren. „Eine fatale Situation“, sagt Feitzlmayr. Franz Sinabell vom Institut für Wirtschaftsforschung sagte schon vor einem Monat, dass in der Getreidewirtschaft heuer mit geringeren Einkommen zu rechnen sein wird. Wenn Russland aber das Getreideabkommen mit der Ukraine platzen lässt, kann alles sehr schnell anders sein. Für eine gewisse Zeit zumindest.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. Juli 2023

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1