Mittwoch, 29. Mai 2024

Österreich in einer Nussschale

Man muss die junge Dame nicht mögen, aber es tut schon richtig weh, was wir da Tag für Tag ungefragt serviert bekommen. Nicht einmal die Scherze, die durch die Social-Media-Kanäle wabern, funktionieren mehr richtig. "Was kostet es, um die Grünen um fünf Prozent zu schrumpfen? 1 Schilling" wirkt müde.

Seit Wochen dreht sich alles hierzulande nur mehr um eine junge Frau, die von den Grünen als Spitzenkandidatin für die Wahlen zum Europäischen Parlament von den Demo-Barrikaden in der Lobau geholt wurde.

Was wir seither erleben müssen, ist kaum mehr erträglich. Seichte Chats. Ein in der Öffentlichkeit sattsam bekanntes Ehepaar eher zweifelhaften Rufs, das nicht genug von Medienauftritten bekommen kann. Medien, die ihre Rolle verwechseln und sich zu Akteuren der Politik machen, über die sie eigentlich berichten sollen. Ein Wiener Biotop, oder wie es Neudeutsch heißt, ein Blase, die bisher vor allem durch Selbstgerechtigkeit auffiel, in der man plötzlich aufeinander losgeht und sich nichts schenkt -coram publico natürlich. Geht dort ja nicht anders.

Dabei ist es nichts anderes als eine Kulmination eines Nichts, die wir ertragen müssen. Völlig überzogen, völlig unverhältnismäßig, über die Maßen aufgeblasen. "Die Spitzenkandidatin der Grünen für die EU-Wahl wird behandelt, als wäre sie aussätzig und hätte schwere Verbrechen begangen", schrieb der Chefredakteur der "Salzburger Nachrichten" vorige Woche in einem viel beachteten Leitartikel. Vor der Haustüre gebe es Kriege, Millionen Flüchtlinge drängten auf den Kontinent und vieles andere mehr. "Doch was tun wir?" fragt er, "Wir diskutieren darüber, ob die 23-jährige Spitzenkandidatin der Grünen zurücktreten muss oder nicht."

Was wir erleben, ist, wie man im englischen Sprachraum sagen würde, "Austria in a nutshell", "Österreich in einer Nussschale". Es ist alles da, was Österreich ausmacht und was das Land zu ertragen hat. Eitelkeit, Tratschsucht, Bosheit, Eifersucht, Intrigen und das grundsätzliche Bedürfnis, einen schlecht zu machen, herabzuwürdigen, anzuzweifeln und, wenn es sein muss, zu beschädigen. Aus welchen Gründen auch immer, schon gar, wenn es um Wahlen und um Politik geht. Es ist alles dabei, was Stimmung und Land seit Jahren beschädigt und beeinträchtigt und einem das Leben verleiden kann.

Mit Nebensächlichkeiten, die nie und nimmer das Gewicht haben, das man ihnen gibt, wird das Land über Wochen beschäftigt. Das beschädigt nicht nur das Ansehen der Politik weiter. Das ganze Land wird gelähmt und von Wichtigtuern in Geiselhaft genommen, die längst die Relationen aus den Augen verloren haben, nur weil sie einer missliebigen Person und den Grünen Schaden zufügen wollen.

Aber nicht nur darüber sollte endlich ein Diskurs in Gang kommen. Geredet werden sollte auch über die Blase, in der sich all der Streit abspielt, und über ihre Rolle in den Medien, ja im ganzen Land. Und geredet werden sollte endlich auch über die Medien und ihr Selbstverständnis. Wie das Thema Schilling von einer Zeitung angetrieben wurde, hat eine neue Qualität. Eine Qualität, vor der einem bange werden kann. Wer ist der oder die Nächste, der durch die Mangel gedreht wird in einer Intensität, die man bisher nicht kannte.

Es täte dem Land, seinen Medien und seinen Politikern gut, nicht nur in der Causa Schilling den Ball flacher zu halten, um ein Bild aus dem Fußball zu bemühen. Es ist nur Lena Schilling, 23, Kandidatin der Grünen für die EU-Wahl, eine junge Frau ohne politische Funktion im Land. Eine von hunderten Kandidatinnen und Kandidaten, die in diesen Wochen in ganz Europa darum werben, ins Europäische Parlament gewählt zu werden.

Von ihr hat sich wohl inzwischen jeder selbst ein Bild gemacht. Und von den Vorgängen rund um sie auch. Dabei gäbe es so vieles anderes, was rund um die EU-Wahlen diskutiert werden könnte. Ganz abgesehen von all den großen Themen. Etwa was die aktuellen Abgeordneten erreicht und wie sie sich geschlagen haben. Der großmäulige Vilimsky, der unsichtbare Schieder, die VP-Abgeordnete aus der oberösterreichischen Provinz, die ihr zuweilen auffälliges Stimmverhalten schlicht und unbedarft damit erklärt, sich bei der Abstimmung vertippt zu haben. Oder der Bauernbündler aus Niederösterreich, der die Entwaldungsverordnung, von der sich nun Forstwirte und Bauern bedroht fühlen, durchwinkte, und der jetzt dafür Stimmen bekommen will, weil er jetzt dafür ist, dass sie noch gestoppt wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Mai 2024

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