Donnerstag, 20. Juni 2024

Demokratie muss man auch aushalten

In Italien haben die Rechten gewonnen und in Frankreich, in den Niederlanden und in Österreich auch. Diese Wahlergebnisse bei den EU-Wahlen machen seither vielen Sorgen. Sorgen vor einem Rechtsruck nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Manche fürchten, dass "Europa kippt", wie das Nachrichtenmagazin "profil" formuliert, was wohl viele denken. Man fürchtet eine Machtverschiebung und einen Politikwechsel nicht nur in Österreich, sondern auch in ganz Europa. Viele machen sich diese Sorgen nicht nur wegen Themen wie Sozialpolitik, Minderheitenpolitik, Migration und Umweltpolitik, sondern um die Demokratie insgesamt.

Damit mögen sie durchaus recht haben und vieles ist nachvollziehbar. Was man in der Diskussion allerdings übersieht oder gar nicht sehen will -das, was die einen als "Rechtsruck" fürchten und vor dem sie nicht genug warnen können, ist für die anderen ein Durchbruch, ein Sieg, für viele wohl auch ein Triumph. "Gott sei Dank haben endlich wir die meisten Stimmen", denkt man dort, "endlich müssen wir nicht mehr hinnehmen, was die anderen wollen.""Endlich gibt es Aussicht, dass Politik nach unseren Vorstellungen gemacht wird."

Sie sind es jetzt, die in manchen Ländern die Mehrheit stellen. Sie kommen jetzt wohl immer öfter an die Schalthebel der Politik. Und so wie in den vergangenen Jahren sie damit leben und ertragen mussten, was Politiker anderer politischer Richtungen beschlossen haben, haben nun jene mit ihrer Politik zu leben und sie zu ertragen, die sie nicht gewählt haben und für die sie nicht selten nachgerade ein Feindbild waren.

Freilich kann -und viele meinen: muss -man das schlimm finden. Aber es unterscheidet sich kaum davon, dass zumindest ebenso viele Menschen linke und auch grüne Parteien und deren Politik schlimm und unerträglich finden und überzeugt sind, dass es mit solchen Leuten an der Regierung nur eine Richtung gibt -bergab.

Was wir erleben und was so viele besorgt, ist nichts anderes als Demokratie. So ist Demokratie eben. Solang es nicht -auf beiden Seiten sei hier angefügt -um extreme Positionen geht und solange Parteien zugelassen sind und ihre Politik rechtlich gedeckt ist, muss die Gesellschaft mit einem Kippen sowohl auf die rechte Seite als auch auf die linke Seite zurechtkommen, ohne dass gleich der politische Zusammenbruch ausgerufen wird und gar Panik ausbricht.

Ungeachtet der zuletzt immer schwächer gewordenen politischen Mitte -vor allem die, die sich jetzt so besonders fürchten vor rechter Politik und alles rechts von ihnen meist oft auch gleich für rechtsextrem halten, sollte man sich fragen, warum die Verhältnisse jetzt so sind. Ein selbstkritischer Ansatz schadet dabei sicherlich nicht. Denn ihre zuweilen abgehobenen Positionen, ihre Selbstherrlichkeit und ihre an Hoffärtigkeit und Verachtung grenzende Abneigung, sich wirklich ernsthaft mit den Ansichten und Sorgen der Leute auseinanderzusetzen, ist ein ganz wesentlicher Grund für den Rechtsruck, den jetzt alle fürchten. Diese Leute sollten sich die Frage stellen, die die konservative Schweizer Weltwoche stellte -"Warum wählen Millionen Menschen diese Parteien?" Dass sie Populisten auf den Leim gehen, dass sie zu wenig Verständnis aufbringen, dass sie gar zu dumm sind oder dass die Medien schuld sind, reicht dabei, das sei von vorneherein gesagt, viel zu kurz.

Vielmehr muss man sich fragen, ob man wirklich ehrlich auf die Leute zugegangen und ob man wirklich versucht zu verstehen. Oder ob man ihre Ansichten und Wünsche und Sorgen nicht viel zu oft viel zu schnell ins rechte Eck gestellt und ihnen gar keine Chance gelassen, ihnen gar nicht zugehört und sich nicht um sie bemüht hat und damit das Spielfeld für Populisten aller Art freigegeben hat.

Und dann bleibt da noch eine große Frage, über die man überhaupt nicht reden mag, vor allem jene aus der Linken, die sich besonders gerne über rechte Wähler mokieren -was ist zum Beispiel mit all denen, die früher die SPÖ gewählt haben, jetzt aber bei der FPÖ ihr Kreuzerl machen? Da sind nicht wenige, vor allem in der Arbeiterschaft. Sind sie plötzlich Rechte oder wie manche meinen, gar Nazis geworden? Und was wären sie dann, wenn sie wieder SPÖ wählen?

Allein dieses Gedankenspiel zeigt, dass die Situation wohl sehr viel komplexer ist. Und dass es sehr viel zum Nachdenken, zum Korrigieren und zum Bessermachen gibt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Juni 2024

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