Donnerstag, 13. Juni 2024

Von den Qualen mit den Wahlen

Dass Wahlen oft zu Qualen werden, ist nicht neu. Dass die Leiden der Wählerinnen und Wähler aber gleich so groß werden wie bei den Wahlen am vergangenen Sonntag ist es doch. Selten wohl hat man so gelitten, selten wohl hat man so viel auf sich nehmen müssen, um sich für eine Partei zu entscheiden. Und selten wohl war es vor allem für Stammwähler, denen ihre Partei ein Anliegen ist, so schwer, der Partei, der man sich seit jeher verbunden fühlt, seine Stimme zu geben. „Kaum je hat man sich so verbiegen müssen, um seine Partei zu wählen“, war am Sonntag und in den Tagen davor oft zu hören. Es fehlte an Ideen, es fehlte an Persönlichkeiten, es ging schier alles in billigem Populismus unter der zuweilen erschreckend, immer aber beschämend war.

Stammwählern, eigentlich das Rückgrat einer jeden Partei, wurde es bei diesen EU-Wahlen schwer gemacht wie nie, Stammwähler zu bleiben. Von allen Parteien. Ganz besonders aber gilt das wohl für die Parteigänger der Grünen und der Volkspartei. Man denke das Getöse rund um Lena Schilling das die Wählerinnen und Wähler der Grünen ertragen mussten und deren guter Wille in den Wochen vor den Wahlen durch das Theater um die Spitzenkandidatin nahezu jeden Tag aufs Neue auf die Probe gestellt wurde. Man denke an die Parteigänger der Volkspartei, die mit Slogans wie „Europa, aber richtig“ abgespeist wurden oder mit dem an dieser Stelle schon besprochenen Slogan einer Kandidatin aus Oberösterreich, die versprach, dass in Brüssel für sie nur dieses Bundesland zähle. Man fühlte auch mit den SP-Stammwählern mit, die mit einem blassen Langzeitpolitiker haderten, der in seinen vergangenen Jahren als Abgeordneter im EU-Parlament kaum je durch irgendetwas und im Wahlkampf auch nur durch Fotos in Wander-Adjustierung aufgefallen ist. Und zu leiden hatten wohl auch jene, die aus Tradition die Freiheitliche Partei wählen und einer freiheitlichen Gesinnung nachhängen, die längst nichts mehr mit dem zu tun hat, was die FPÖ respektive ihr Spitzenkandidat vertreten.

„Man musste sie ja nicht wählen, man hätte anders wählen können“ ist die Standard-Antwort darauf. Diese Antwort aber greift wohl zu kurz. Stammwählern bleiben wenige Alternativen. Ein Weltbild kann man nicht einfach austauschen, Ziele, die einem wichtig sind, kann man nicht einfach leugnen. Einfach eine andere Partei zu wählen, bloß weil man mit der eigenen nicht mehr zufrieden ist, ist für die meisten wohl kein Weg. Und Interessen, die man vertreten sehen will, vertreten nicht alle. Wem würde ein Wechsel nutzen? Hätte man irgendetwas davon? Würde das irgendetwas bewirken? Bewertet man die eigene Stimme und die eigene Bedeutung damit nicht gar zu hoch?

Fraglos haben schon bei zahllosen vergangenen Wahlen viele Menschen diesen Weg gewählt und ihr Kreuzerl nicht mehr dort gemacht, wo sie es zuvor immer gemacht haben. Oft einfach aus Bestemm und aus Protest. Immer mehr Menschen aber wurden zu echten Wechselwählern, machten ihre Wahlentscheidung von aktuellen Entwicklungen, von Skandalen und von Versprechungen abhängig. Sie werden von den Parteien seit je her entsprechend hofiert und umgarnt.

Freilich sind es diese Wähler, die über Sieg und Niederlage entscheiden, aber rechtfertigt das all die Zumutungen die man Stammwählern zumutet und für dass sie sich zuweilen schämen müssen? Kein Wunder, dass sie selten geworden. Dabei sind sie die Wählerinnen und Wähler, auf die sich die Parteien verlassen können, auf die sie auch zählen können, wenn es nicht gut läuft für sie. Stammwähler sind die Wähler, auf die sich die Parteien verlassen können. Sie sind aber auch die, die auf Inhalte zählen, auf Vorstellungen und Ideen. Da ist gerade vor dem Hintergrund der EU-Wahlen, und nicht nur vor dem Hintergrund dieser Wahlen, zu fragen, warum es aufgerechnet ihnen so schwer gemacht wird von ihren Parteien.

Freilich, frustrierte Stammwähler, die sich nicht noch mehr verbiegen wollen, als ihnen ohnehin schon abverlangt wird, könnten einfach nicht wählen gehen. Aber wer hätte davon etwas? Diesen Weg gehen zwar immer mehr, für viele ist er dennoch keine Alternative.

Da bleibt man wohl beim aus der eigenen Sicht kleineren Übel und gibt sich der Hoffnung hin, dass alles wieder einmal besser wird, auch wenn einem dräut, dass diese „Wieder einmal“ wohl eher ein „Irgendwann“ sein wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juni 2024

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