Montag, 12. August 2024

Acker versus Liegewiese? „Das birgt Konflikte“

Wifo-Agrarexperte Franz Sinabell über das gespaltene Verhältnis der Österreicher zur Landwirtschaft, die Stärken der heimischen Bäuerinnen und Bauern und die entscheidende Frage, ob wir auch künftig noch Fleisch essen.

Hans Gmeiner

SN: Die Landwirtschaft gilt als Branche mit Zukunft, die bald zehn Milliarden Menschen ernähren soll. Eigentlich sollten das beste Voraussetzungen für die Zukunft sein. Warum sehen die heimischen Bauern trotzdem häufig schwarz?

Franz Sinabell: Die Bauern sehen, dass der Markt wächst. Auf der anderen Seite stellt die Gesellschaft immer engere Ansprüche an die Landbewirtschaftung und das beschränkt die Produktionsmöglichkeiten. Das ist der Zielkonflikt, mit dem die Bauern sich jeden Tag herumschlagen müssen.

Muss man sich Sorgen machen um die heimische Landwirtschaft?

Nein. Alles in allem gilt: Die Landwirtschaft ist gut aufgestellt. Wir haben eine gute Kapitalausstattung, hohes Eigenkapital, starke Unternehmen im vor- und nachgelagerten Bereich und viele Abnehmerinnen und Abnehmer direkt vor der Haustür. Die österreichische Landwirtschaft ist wettbewerbsfähig in Europa und damit auch weltweit - und das mit vergleichsweise kleinen Betriebsgrößen und trotz hoher Produktionskosten.

Wie sehen Sie das Verhältnis Österreichs zu seiner Landwirtschaft?

Zunehmend spannungsgeladen. Man merkt es, wenn man mit Bauern redet bzw. mit Nachbarinnen und Nachbarn von Bauern. In der Generation, in der ich groß geworden bin, hat es im Ort praktisch nur Bauern gegeben. Aber auch die Arbeiter hatten zwei, drei Kühe oder Schweine und haben auch Felder bewirtschaftet wie die Bauern. Jetzt ist die Landnutzung gespalten. Die Bauern sind für die Landwirtschaft zuständig, der Rest dient der Erholung. Das birgt Konflikte. 

Welche Landwirtschaft braucht Österreich?

Die Art der Landwirtschaft, wie es sie hier gibt, passt gut zu Österreich. Wir brauchen genau diese Art von Landwirtschaft, die Möglichkeiten zum Nebenerwerb gibt und Erwerbskombinationen. Es braucht dabei einen starken Fokus auf Berglandwirtschaft, wir brauchen aber auch wettbewerbsorientierte, leistungsfähige und schlagkräftige Vollerwerbsbetriebe.

Die Bauern hadern oft mit den Ansichten und Forderungen der Nichtbauern. Landwirte sagen, im Vergleich sei man weit vorn und umweltfreundlich.

Wenn man Umweltindikatoren vergleicht, ist Österreichs Landwirtschaft insgesamt besser als in Ländern wie Deutschland, Italien, Spanien und unseren Nachbarländern. Es ist aber nicht so, dass bei uns alles pipifein ist. So gab es bei uns bis zum Vorjahr stets Zunahmen beim Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln. Insbesondere wegen Kohlendioxid, das gegen Lagerverluste eingesetzt wird, und wegen Kupferpräparaten, die auch im Biolandbau verwendet werden.

Der Widerstand der Landwirtschaft gegen den Green Deal wird kritisch gesehen und für übertrieben gehalten. Das Verständnis für die Forderungen und Sorgen der Landwirte scheint begrenzt. Können Sie das nachvollziehen?

Man muss die Landwirtschaft schon verstehen, denn bei den Bauern kommt alles zusammen. Der Umweltminister überlegt sich dies, der Landwirtschaftsminister das, der Konsumentenschutzminister redet mit und auch die Biodiversitätsbehörde. Und allen soll der Land- und Forstwirt gerecht werden. Überall wird irgendwo eine neue Restriktion eingezogen. Das führt zu noch mehr Bürokratie. Es sind ja nicht nur die Aufzeichnungen, die der Betrieb führen muss. Da kommen auch Inspektoren, die überprüfen, ob die Aufzeichnungen mit dem übereinstimmen, was auf den Feldern und in den Ställen passiert. Das alle verursacht höhere Produktionskosten und mehr Arbeitszeit, die man aufwenden muss. Und wer hat das zu tragen? Es sind die Bauern. Sie werden oft überfrachtet mit Forderungen, die eigentlich für die gesamte Gesellschaft gelten. Das ist frustrierend.

Das ist auch in anderen Branchen so.

Mag sein. Das Thema ist, dass all die Bürokratie ja in der Substanz nichts ändert. In 90, 95 Prozent der Fälle wird nur bestätigt, dass ohnehin alles in Ordnung ist. Und da muss man sich auch als Ökonom fragen: Wo ist der Mehrwert? Ich bin skeptisch, dass vieles, was jetzt zusätzlich geprüft, bestätigt und abgestempelt wird, irgendwas bewirkt.

Kann es sich Österreich leisten, die Produktion durch Umweltprogramme etc. einzuschränken? Wie sicher ist die Versorgung? Die Auslandsabhängigkeit ist ja jetzt schon groß.

Allein wegen der Flächeninanspruchnahmen zwischen 2000 und 2020 können wir 5,4 Prozent weniger Menschen ernähren in Österreich. Das heißt, wir sind mehr auf Importe angewiesen. Pläne wie die umstrittene Renaturierungsverordnung verschärfen den Trend, auch wenn dadurch keine maßgeblichen produktiven Flächen aus der Produktion genommen werden. Nicht nur wegen der Flächenverluste ist die Selbstversorgungslage nicht so großartig. Man muss sich auch anschauen, wo der Dünger herkommt, der Traktor, der Treibstoff oder die Genetik etwa beim Geflügel, bei Getreide und bei Gemüse.

Was wird getan für Resilienz und Versorgungssicherheit?

Ich sehe, dass das Thema in der Wirtschaftspolitik präsent ist und nicht einfach ignoriert wird. Die Phase, wo man sagt, wir versorgen uns am Weltmarkt und verzichten auf die Produktion vor der Haustür, die ist vorbei. Ich glaube, jetzt wird einmal darüber geredet und es werden Studien beauftragt, um entsprechende gesetzliche Regelungen vorzubereiten, weil ja gar nicht sicher ist, wie man das am besten macht - ob man die internationalen Netzwerke ausbaut und vermehrt Freihandelsabkommen abschließt mit Ländern wie Brasilien, Australien, Neuseeland, Südkorea wie das die EU forciert. Oder ob man versucht, wichtige Produktionszweige wieder ins Land zurückzuholen, was allerdings die Produktionskosten und auch die Preise erhöhen würde.

Wo gibt es dennoch Chancen für die österreichische Landwirtschaft? Wo soll es hingehen?

Ich staune immer wieder über die neuen Ideen und Produkte der Bauern. Das ist atemberaubend. Das beginnt bei Feigen, geht über Reis und viele andere Produkte. Die Bäuerinnen und Bauern sind da sehr aufgeschlossen und neugierig und investieren sehr viel Zeit und Energie in neue Produkte. Und sie investieren auch sehr viel Zeit in neue Produktionsweisen wie bodenschonende Praktiken, die Bodenleben und Klima schützen sollen. Ich finde das sehr ermutigend. Gefordert ist auch eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Und es gilt die Chancen, die sich aus der Energiewende ergeben, aktiv zu nutzen.

Was braucht es, um die österreichische Landwirtschaft voranzubringen? Was muss sich in der Branche ändern?

Sie braucht Zugang zu zeitgemäßen Produktionsmitteln. Das bedeutet auch Zugang zu gentechnischen Methoden, zu entsprechendem Saatgut und im tierischen Bereich zu entsprechendem genetischen Material, um mit dem Klimawandel zurechtzukommen.

Da gibt es aber in der Gesellschaft großen Widerstand.

Wenn es ums Insulin geht, gibt es überhaupt keinen Widerstand, wenn es ums Essen geht, gibt es aber einen sehr pointierten und fokussierten politischen Widerstand. Da werden irrationale Ressentiments in der Gesellschaft geschürt und dadurch politischer Druck aufbaut. Die Landwirtschaft selbst ist gespalten. Vor allem in der Biolandwirtschaft wird das abgelehnt. Dabei sagen auch dort Vorreiter: "Hallo, die Welt dreht sich weiter, ihr müsst euch da weiterentwickeln."

Was ist neben dem Klimawandel der größte Unsicherheitsfaktor für die Bauern?

Ob die Menschen tatsächlich von der tierischen Ernährung vermehrt auf pflanzliche Ernährung umsteigen. Pro-Kopf-Verbrauch von Rindfleisch und Schweinefleisch sinkt bereits, nur der von Geflügelfleisch steigt noch. Derzeit wird das noch überdeckt, weil die Bevölkerung wächst. Ich halte es für möglich, dass da ein plötzlicher Ruck durch das Konsumverhalten geht. Das ist für mich das große Fragezeichen.

Was muss Politik machen, um die Zukunft der Landwirtschaft abzusichern?

Die europäische Politik soll, was die Agrarpolitik betrifft, das Augenmerk verstärkt auf die Versorgungssicherheit der Weltbevölkerung und die Chancen, die sich bieten, lenken und weniger auf die Ressourcenbeschränkung in Europa. Die heimische Politik sollte aufgeschlossen sein für neue Technologien. Und sie soll die Landwirtschaft dabei unterstützen, mit den Herausforderungen Ukraine, Klimawandel und auch ungünstige Weltmarktpreise zurechtzukommen.

Was raten Sie einem jungen Bauern, einer jungen Bäuerin?

Es ist gut, sich die Landwirtschaft in verschiedenen Ländern anzuschauen und wenn möglich ein Auslandspraktikum zu machen. Denn eine positive Zukunft gibt es absolut. Nicht nur ich möchte auch in 25, 30 Jahren Essen haben, das nicht in irgendeinem Labor mit viel Strom und chemischen Ingredienzien erzeugt wurde, sondern von Feldfrüchten und Tieren kommt, die auf Äckern und Wiesen im Umland gedeihen.

Franz Sinabell

ist Ökonom am Wifo und Lektor an der Universität für Bodenkultur.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 12. August 2024


 

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