Wifo-Agrarexperte Franz Sinabell über das gespaltene Verhältnis der Österreicher zur Landwirtschaft, die Stärken der heimischen Bäuerinnen und Bauern und die entscheidende Frage, ob wir auch künftig noch Fleisch essen.
Hans Gmeiner
SN: Die Landwirtschaft gilt als Branche mit Zukunft, die bald zehn Milliarden Menschen ernähren soll. Eigentlich sollten das beste Voraussetzungen für die Zukunft sein. Warum sehen die heimischen Bauern trotzdem häufig schwarz?
Franz Sinabell: Die Bauern
sehen, dass der Markt wächst. Auf der anderen Seite stellt die Gesellschaft
immer engere Ansprüche an die Landbewirtschaftung und das beschränkt die
Produktionsmöglichkeiten. Das ist der Zielkonflikt, mit dem die Bauern sich
jeden Tag herumschlagen müssen.
Muss man sich Sorgen machen um die heimische Landwirtschaft?
Nein. Alles in allem gilt: Die Landwirtschaft ist
gut aufgestellt. Wir haben eine gute Kapitalausstattung, hohes Eigenkapital,
starke Unternehmen im vor- und nachgelagerten Bereich und viele Abnehmerinnen
und Abnehmer direkt vor der Haustür. Die österreichische Landwirtschaft ist
wettbewerbsfähig in Europa und damit auch weltweit - und das mit
vergleichsweise kleinen Betriebsgrößen und trotz hoher Produktionskosten.
Wie sehen Sie das Verhältnis Österreichs zu seiner Landwirtschaft?
Zunehmend spannungsgeladen. Man merkt es, wenn man mit Bauern redet bzw. mit Nachbarinnen und Nachbarn von Bauern. In der Generation, in der ich groß geworden bin, hat es im Ort praktisch nur Bauern gegeben. Aber auch die Arbeiter hatten zwei, drei Kühe oder Schweine und haben auch Felder bewirtschaftet wie die Bauern. Jetzt ist die Landnutzung gespalten. Die Bauern sind für die Landwirtschaft zuständig, der Rest dient der Erholung. Das birgt Konflikte.
Welche Landwirtschaft braucht Österreich?
Die Art der Landwirtschaft, wie es sie hier gibt, passt gut zu
Österreich. Wir brauchen genau diese Art von Landwirtschaft, die Möglichkeiten
zum Nebenerwerb gibt und Erwerbskombinationen. Es braucht dabei einen starken
Fokus auf Berglandwirtschaft, wir brauchen aber auch wettbewerbsorientierte,
leistungsfähige und schlagkräftige Vollerwerbsbetriebe.
Die Bauern hadern oft mit den Ansichten und Forderungen der Nichtbauern. Landwirte sagen, im Vergleich sei man weit vorn und umweltfreundlich.
Wenn man
Umweltindikatoren vergleicht, ist Österreichs Landwirtschaft insgesamt besser
als in Ländern wie Deutschland, Italien, Spanien und unseren Nachbarländern. Es
ist aber nicht so, dass bei uns alles pipifein ist. So gab es bei uns bis zum
Vorjahr stets Zunahmen beim Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln. Insbesondere
wegen Kohlendioxid, das gegen Lagerverluste eingesetzt wird, und wegen
Kupferpräparaten, die auch im Biolandbau verwendet werden.
Der Widerstand der Landwirtschaft gegen den Green Deal wird kritisch gesehen und für übertrieben gehalten. Das Verständnis für die Forderungen und Sorgen der Landwirte scheint begrenzt. Können Sie das nachvollziehen?
Man muss die Landwirtschaft schon verstehen, denn
bei den Bauern kommt alles zusammen. Der Umweltminister überlegt sich dies, der
Landwirtschaftsminister das, der Konsumentenschutzminister redet mit und auch
die Biodiversitätsbehörde. Und allen soll der Land- und Forstwirt gerecht
werden. Überall wird irgendwo eine neue Restriktion eingezogen. Das führt zu
noch mehr Bürokratie. Es sind ja nicht nur die Aufzeichnungen, die der Betrieb
führen muss. Da kommen auch Inspektoren, die überprüfen, ob die Aufzeichnungen
mit dem übereinstimmen, was auf den Feldern und in den Ställen passiert. Das
alle verursacht höhere Produktionskosten und mehr Arbeitszeit, die man
aufwenden muss. Und wer hat das zu tragen? Es sind die Bauern. Sie werden oft
überfrachtet mit Forderungen, die eigentlich für die gesamte Gesellschaft
gelten. Das ist frustrierend.
Das ist auch in anderen Branchen so.
Mag sein. Das Thema ist, dass all die Bürokratie ja in der Substanz
nichts ändert. In 90, 95 Prozent der Fälle wird nur bestätigt, dass ohnehin
alles in Ordnung ist. Und da muss man sich auch als Ökonom fragen: Wo ist der
Mehrwert? Ich bin skeptisch, dass vieles, was jetzt zusätzlich geprüft,
bestätigt und abgestempelt wird, irgendwas bewirkt.
Kann es sich Österreich leisten, die Produktion durch Umweltprogramme etc. einzuschränken? Wie sicher ist die Versorgung? Die Auslandsabhängigkeit ist ja jetzt schon groß.
Allein wegen der Flächeninanspruchnahmen zwischen 2000 und 2020 können
wir 5,4 Prozent weniger Menschen ernähren in Österreich. Das heißt, wir sind
mehr auf Importe angewiesen. Pläne wie die umstrittene Renaturierungsverordnung
verschärfen den Trend, auch wenn dadurch keine maßgeblichen produktiven Flächen
aus der Produktion genommen werden. Nicht nur wegen der Flächenverluste ist die
Selbstversorgungslage nicht so großartig. Man muss sich auch anschauen, wo der
Dünger herkommt, der Traktor, der Treibstoff oder die Genetik etwa beim
Geflügel, bei Getreide und bei Gemüse.
Was wird getan für Resilienz und Versorgungssicherheit?
Ich sehe, dass das Thema in der Wirtschaftspolitik
präsent ist und nicht einfach ignoriert wird. Die Phase, wo man sagt, wir
versorgen uns am Weltmarkt und verzichten auf die Produktion vor der Haustür,
die ist vorbei. Ich glaube, jetzt wird einmal darüber geredet und es werden
Studien beauftragt, um entsprechende gesetzliche Regelungen vorzubereiten, weil
ja gar nicht sicher ist, wie man das am besten macht - ob man die
internationalen Netzwerke ausbaut und vermehrt Freihandelsabkommen abschließt
mit Ländern wie Brasilien, Australien, Neuseeland, Südkorea wie das die EU
forciert. Oder ob man versucht, wichtige Produktionszweige wieder ins Land
zurückzuholen, was allerdings die Produktionskosten und auch die Preise erhöhen
würde.
Wo gibt es dennoch Chancen für die österreichische Landwirtschaft? Wo soll es hingehen?
Ich staune immer
wieder über die neuen Ideen und Produkte der Bauern. Das ist atemberaubend. Das
beginnt bei Feigen, geht über Reis und viele andere Produkte. Die Bäuerinnen
und Bauern sind da sehr aufgeschlossen und neugierig und investieren sehr viel
Zeit und Energie in neue Produkte. Und sie investieren auch sehr viel Zeit in
neue Produktionsweisen wie bodenschonende Praktiken, die Bodenleben und Klima
schützen sollen. Ich finde das sehr ermutigend. Gefordert ist auch eine
Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Und es gilt die Chancen, die
sich aus der Energiewende ergeben, aktiv zu nutzen.
Was braucht es, um die österreichische Landwirtschaft voranzubringen? Was muss sich in der Branche ändern?
Sie braucht Zugang zu zeitgemäßen Produktionsmitteln. Das bedeutet auch
Zugang zu gentechnischen Methoden, zu entsprechendem Saatgut und im tierischen
Bereich zu entsprechendem genetischen Material, um mit dem Klimawandel
zurechtzukommen.
Da gibt es aber in der Gesellschaft großen Widerstand.
Wenn es ums Insulin geht, gibt es überhaupt keinen Widerstand, wenn es ums Essen geht, gibt es aber einen sehr pointierten und fokussierten politischen Widerstand. Da werden irrationale Ressentiments in der Gesellschaft geschürt und dadurch politischer Druck aufbaut. Die Landwirtschaft selbst ist gespalten. Vor allem in der Biolandwirtschaft wird das abgelehnt. Dabei sagen auch dort Vorreiter: "Hallo, die Welt dreht sich weiter, ihr müsst euch da weiterentwickeln."
Was ist neben dem Klimawandel der größte Unsicherheitsfaktor für die Bauern?
Ob die Menschen
tatsächlich von der tierischen Ernährung vermehrt auf pflanzliche Ernährung
umsteigen. Pro-Kopf-Verbrauch von Rindfleisch und Schweinefleisch sinkt
bereits, nur der von Geflügelfleisch steigt noch. Derzeit wird das noch
überdeckt, weil die Bevölkerung wächst. Ich halte es für möglich, dass da ein
plötzlicher Ruck durch das Konsumverhalten geht. Das ist für mich das große
Fragezeichen.
Was muss Politik machen, um die Zukunft der Landwirtschaft abzusichern?
Die europäische
Politik soll, was die Agrarpolitik betrifft, das Augenmerk verstärkt auf die
Versorgungssicherheit der Weltbevölkerung und die Chancen, die sich bieten,
lenken und weniger auf die Ressourcenbeschränkung in Europa. Die heimische
Politik sollte aufgeschlossen sein für neue Technologien. Und sie soll die
Landwirtschaft dabei unterstützen, mit den Herausforderungen Ukraine,
Klimawandel und auch ungünstige Weltmarktpreise zurechtzukommen.
Was raten Sie einem jungen Bauern, einer jungen Bäuerin?
Es ist gut, sich die Landwirtschaft in
verschiedenen Ländern anzuschauen und wenn möglich ein Auslandspraktikum zu
machen. Denn eine positive Zukunft gibt es absolut. Nicht nur ich möchte auch
in 25, 30 Jahren Essen haben, das nicht in irgendeinem Labor mit viel Strom und
chemischen Ingredienzien erzeugt wurde, sondern von Feldfrüchten und Tieren
kommt, die auf Äckern und Wiesen im Umland gedeihen.
Franz
Sinabell
ist Ökonom am Wifo und Lektor an der Universität für Bodenkultur.
Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 12. August 2024
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