Donnerstag, 27. Februar 2025

Die bedrückende Wirklichkeit der Irrwitzigkeiten

Wir haben, wie es aussieht, eine neue Regierung. Immerhin das. Wie immer man diese neue Regierung bewerten mag, in Zeiten wie diesen kann es kein Schaden sein, zumindest wieder Aussichten auf geordnete politische Verhältnisse im Land zu haben. Und auch in Deutschland zeichnet sich nach dem vergangenen Sonntag eine Wende zum - hoffentlich - Besseren ab. Das kann uns guttun. Und das kann Europa guttun. Wir wissen, wir brauchen es. Denn abgesehen davon bleiben immer noch jede Menge Unsicherheit, Ungewissheit und Ratlosigkeit und Verunsicherung. Trump stellt die Welt auf den Kopf, wie wir es nie geglaubt hätten. Und wir, nicht nur die Politik, sondern wohl jeder Einzelne auch, wissen nicht, wie damit umgehen.

Wir müssen umlernen, wir müssen umdenken. Spätestens seit der Rede des US-Vizepräsidenten Vance vor zwei Wochen in München ist nicht nur in den europäischen Regierungskanzleien Feuer am Dach. Für viele ist klar, dass all das, was wir seit Wochen aus und von Washington hören, das Ende der transatlantischen Beziehungen bedeutet, wie wir sie seit 1945 erlebt haben. Von tektonischen Verschiebungen in der Weltpolitik ist die Rede und vom Ende der alten Nachkriegsordnung.

Die Welt ist eine andere und wir sind nur Passagiere. Europa, Österreich und die Ukraine. Die Ukraine sowieso. "Das Geld regiert nun tatsächlich die Welt" schreibt der Schriftsteller Peter Rosei in der "Presse" am Samstag. Und das so augenscheinlich wie kaum je zuvor.

Man mag nicht glauben, was Trump sagt und wie er agiert. Seine Gestik, seine Worte lassen einen nur fragen, wie konnte so ein Mann nur so weit kommen. Warum versagten alle und versagen alle Kontrollmechanismen? Man kann nur staunen und man beginnt sich zu fürchten. Hoffnungen schwinden, Ängste werden wach. Was passiert da rund um den Globus? Was passiert zwischen Amerika, Europa und Russland. Und was immer mehr Sorgen macht -was passiert in der Ukraine?

Es ist schlimm zuschauen zu müssen, wie die reichsten Menschen der Welt ohne jede demokratische Legitimation in der Politik mitmischen und sie sich zu Diensten machen. All diese Irrwitzigkeiten, denen ein Ernst innewohnt, den anfangs niemand glauben wollte. Grönland übernehmen, den Panamakanal zurückholen, den Gaza-Streifen zur Riviera des Nahen Ostens zu machen. Oder wie zigtausende Jobs von heute auf morgen gestrichen werden. Gar nicht zu reden von der Anbiederung an Putin, der sich angesichts des Irrwitzes in Washington nur ins Fäustchen lachen kann.

Es ist erstaunlich, wie Trump einen ganzen Staat, ja die ganze Demokratie, abräumen kann. Ohne viel Gegenwehr. Das Land, das sich gerne als die stärkste Demokratie der Welt abzeichnet. Man fragt sich, wie es in den USA so weit kommen konnte. Man versteht nicht, dass Trump und Konsorten nicht in den Griff zu bekommen sind. Die Demokraten in den USA sind in der Versenkung verschwunden, die Republikaner von Trump in die Tasche gesteckt. Gegenwehr kommt allenfalls von den Gerichten.

Es ist wenig Hoffnung zu sehen, dass dieser Wahnsinn in den USA zu einem raschen Ende kommt. Was viele auch in Europa herbeigewünscht haben, erwies sich schnell als Bumerang. Wir müssen für die politischen Versäumnisse, die Treuseligkeit und Bequemlichkeiten, denen wir uns in den vergangenen Jahren gerne hingegeben haben, wohl büßen.

Europa ist ratlos und hat keine Antworten auf Trump. Das hat wohl viel damit zu tun, dass Europa in seiner Selbstverliebtheit international ins Abseits gerutscht ist. Man hat kein Pfand in der Hand, das in diesem Irrsinn, wie wir ihn erleben, von Relevanz wäre. In den vergangenen Tagen war viel davon zu lesen, dass sich Europa nun stärken muss. Das wird wohl so sein. Dafür müsste man freilich wissen, wo und wie man sich stärkt und was man tun soll, damit man schnell stark wird. Da ist einstweilen nichts zu erkennen.

Es steht eher zu befürchten, dass die Politik nicht anders reagiert wie unsereiner. Man versucht sich mit den neuen Verhältnisse zu arrangieren. Man redet sich den Irrsinn klein und man ist dabei, Trump, Musk und auch Putin in den Alltag einzufügen. Die sind halt so.

Das sind schlechte Vorzeichen dafür, dass die Bereitschaft in Europa wirklich groß genug sein wird, all die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die jetzt als notwendig gelten, um nicht unterzugehen. Denn die verlangen auch Opfer von den Bürgern. In welcher Form auch immer. Und die werden nicht angenehm sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Februar 2025

Donnerstag, 20. Februar 2025

Sehnsucht nach Politik

Zuerst seit Monaten das Elend um die Bildung einer neuen Regierung, das immer noch kein Ende finden mag. Jetzt auch noch das Attentat von Villach. Und über allem ein irrlichtender Präsident in den USA, der mit dem Vorschlaghammer die Nachkriegsordnung zertrümmert und Europa in Unsicherheit und Hilflosigkeit stürzt. Es mag und mag nicht besser werden. Übersichtlicher schon gar nicht. Die Zeiten sind schlimm. Und zu allem Überfluss ist die politische Führung mit anderem beschäftigt als dem, was dieses Land jetzt bräuchte.

Da ist nichts zu sehen und zu hören, was Vertrauen geben könnte. Da gibt es keine Ideen und kaum gemeinsame Ziele. Und nichts, was Halt geben könnte. Und das nicht nur, weil man mit der Regierungsbildung nicht vorankommt.

Nichts spiegelt die Situation besser als der Auftritt des Innenministers am vergangenen Samstag in Villach. "Anlasslose Massenüberprüfungen" kündigte er dort an. Und mehr Befugnisse für die Polizei verlangte er. Das mag gut klingen in den Ohren vieler, zumal vor dem Hintergrund des grausamen Attentats -bloß, es ist nichts anderes als die Manifestation der Hilflosigkeit und auch der Ideenlosigkeit, das Problem wirklich in den Griff zu bekommen. Mit Worthülsen wie diesen, die rechtliche und faktische Gegebenheiten außer Acht lassen, reagiert man -in Abwandlungen freilich -seit Jahren in solchen Schockmomenten. Wirksame Fortschritte und erfolgreiche Maßnahmen sind freilich kaum je gefolgt.

Diesmal wird es nicht anders sein. Verfassungsrechtler warnen schon und der Beamtenapparat auch. Wie will man es schaffen 81.000 Menschen aus Syrien und Afghanistan, die in den vergangenen Jahren in Österreich Schutz suchten, zu überprüfen? Wie will man sie im Fall des Falles abschieben, wenn sie niemand nehmen will? Und gar nicht zu reden von denen, die sich gut integriert haben, von Leuten, wie jenem Syrer, der den Attentäter in Villach mit dem Auto niedergefahren hat, um noch mehr Unglück zu verhindern. Allein dieses Beispiel zeigt, wie problematisch es ist, jeden einfach unter Verdacht zu stellen, wie das viele gerne hätten. Ganz abgesehen davon -was kommt nach anlasslosen Massenüberprüfungen von Syrern und Afghanen? Welche Gruppen sind die nächsten?

Was da wegen Villach jetzt in Rede steht, ist, wie so vieles andere in der Politik in Österreich, keine Lösung, die angesichts der Größe und Komplexität des Problems Erfolg verspricht, sondern lediglich politische Kosmetik. Und das hat viel damit zu tun, dass man es selbst in solchen Notlagen kaum schafft zusammenzurücken, die Reihen zu schließen und gemeinsam vorzugehen. Selbst da geht es immer noch zuvorderst um den eigenen Vorteil, um die Schlagzeile und um den Sager, mit dem man glaubt, sich gegenüber den anderen profilieren zu können.

Das Muster ist nicht nur bei uns zu sehen. Auch Europa leidet darunter, dass die Politik und die handelnden Personen überfordert sind. In Deutschland sieht man das in diesen letzten Tagen vor den Bundestagswahlen in geradezu beklemmender Dimension. In Frankreich liefert Macron seit Jahren eine Hängepartie und in anderen Staaten ist es nicht viel anders und selbstredend auch nicht in der Europäischen Union. Trump führt diese Schwächen Europas gerade in diesen Tagen gnadenlos vor Augen.

Es ist nachvollziehbar, dass die Leute das nicht mehr wollen und dass Rechtspopulisten überall leichtes Spiel haben, auch wenn sie und ihre Forderungen um nichts weniger von Hilflosigkeit zeugen. Da nimmt nicht wunder, dass immer wieder vom "Multiorganversagen der Politik" die Rede ist und die Wähler in Umfragen den Politikerinnen und Politikern allenfalls die Note "vier minus" geben, wie jüngst bei einer Umfrage für Puls 4.

Man sehnt sich nach Führung und man sehnt sich nach Ruhe. Man will, dass die Politik Probleme gemeinsam angeht. Man mag es kaum glauben, aber diese Zeiten hat es auch bei uns gegeben. Bei allen Differenzen. Unvorstellbar heute, dass, wie seinerzeit im Vorfeld der EU-Volksabstimmung, der damalige Landwirtschaftsminister Fischler (VP) und Finanzminister Lacina (SP) gemeinsam bei Informationsveranstaltungen auftraten, um für die Sache, den EU-Beitritt, zu werben.

Damals ist man auch trotz aller Polit-Gefechte, die man sich lieferte, danach noch miteinander fortgegangen. Oft freilich auch, um gemeinsam zu trinken.

Vielleicht sollten das die Damen und Herren der Politik auch heute wieder tun. Zumindest ab und an.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Februar 2025

Mittwoch, 12. Februar 2025

Zwischen Pest und Cholera

Das wird nichts mehr, und wenn, dann wird es nichts G'scheites mehr." Die Erwartungen, dass aus dem "Regierungsgebastel", wie es ein Kommentator dieser Tage nannte, noch etwas wird oder gar etwas G'scheites, werden rasant seltener. Österreich erlebt bange und auch beschämende Tage. Mit immer größerer Verärgerung schaut man zu, wie Volkspartei und Freiheitliche es nicht schaffen, eine Regierung zu bilden. Die Stimmung ist nicht nur bei manchen Parteigranden sondern auch bei den VP-Parteigängern am Kippen. "Sag mir, was ich machen kann, damit das nicht kommt", ist inzwischen selbst von eingefleischten Parteimitgliedern zu hören. Sogar der Wirtschaftsbund warnt mittlerweile vor einer Festung Österreich und Wirtschaftskammerboss Mahrer ist voller Bedenken. Auch rundherum wird der Druck auf die ÖVP stärker. Die Warnungen nehmen zu und werden lauter, die Häme auch. 

Es zeichne sich allenfalls eine "Koalition zweier Partner ab, die sich möglicherweise für die gesamte Dauer der Zusammenarbeit spinnefeind gegenüberstehen", schreibt der Chefredakteur der "Presse". Eine "Verlängerung des Elends" befürchtet sein Kollege vom "Standard". Und Anneliese Roher, Doyenne der heimischen Politik-Journalisten, schreibt, "verwunderlich" sei, dass die ÖVP nach den Ereignissen der vorigen Woche "überhaupt noch" an eine mögliche Zusammenarbeit mit der FPÖ denke. Die ÖVP, die "angebliche Partei des Hausverstands", sehe nicht, dass bei der Verachtung der Freiheitlichen für sie "eine gedeihliche Regierungsarbeit einfach nicht möglich sein wird". Kurzum -"diese innenpolitische Quälerei sollte ein Ende haben". 

Ganz abgesehen von diesen Einschätzungen und Forderungen und den Motiven, die dahinter stehen mögen - es ist immer noch nichts Rechtes zu sehen, was da das Land weiterbringen könnte mit einer großen Koalition. 150 km/h auf der Autobahn sind es wohl nicht. Und auch nicht, dass man die ORF-Haushaltsabgabe abschaffen oder Kinder bereits mit zwölf Jahren für strafmündig erklären will, oder, wie auch zu lesen ist, an eine Staatsbürgerschaft für Südtiroler denkt. Und da ist noch gar keine Rede von den wirklich schwerwiegenden Brocken wie der geplanten Kehrtwende in der Klimapolitik oder beim Skyshield, Bösartigkeiten wie die medizinischen Leistungen für Migranten zu kürzen oder so peinlichen Ideen, wie an den Unis nur mehr Abschlussarbeiten auf Deutsch zuzulassen. Das geleakte Verhandlungspapier ist voll von Vorschlägen ähnlicher Qualität. Und nicht nur das. Viele sehen darin den Plan für einen Radikalumbau der Republik.

Kann es das wirklich sein, was da auf das Land zukommen soll? "Bullshit-Politik" nennen manche das und es ist ihnen recht zu geben. 

Antworten und Ideen für die großen Themen, die das Land plagen und hinunterziehen, indes sind kaum zu erkennen, nicht einmal strukturelle Anpassungen. Zu sehr scheint man mit dem Einlösen von politischem Kleingeld beschäftigt. Gut, die Senkung der Lohnnebenkosten ist offenbar ein Thema und auch die Schaffung von Anreizen für die Mehrarbeit. Aber was ist mit einer großen Pensionsreform? Einer Gesundheitsreform? Einer Reform des Bildungswesens? Oder des Föderalismus? Wie soll man die überbordenden Sozialausgaben in den Griff bekommen? Und, das vor allem -wie will man Österreich voranbringen? 

Die Verhandlungen ziehen sich nicht nur - ihnen fehlt offenbar auch jede Perspektive. Es ist nichts von großen Zielen zu erkennen, die man erreichen will, von einer Richtung, in die es gehen soll. Nichts von einer Vision. Es fehlt der Plan, es gibt keine Ziele. Keine Leuchttürme, keine Visionen. Eine "Festung Österreich", wie das die FPÖ will, kann es wohl nicht sein. Und darf es auch nicht sein. 

Österreich hat großen Handlungsbedarf. Da sollte man sich keine Politspielereien mehr leisten. Die waren schon in den vergangenen Jahren wesentlicher Grund dafür, dass das Land jetzt so dasteht, wie es dasteht. Österreich braucht Schwung und Aufbruch -und nicht weitere Jahre der Lähmung. 

Die handelnden Personen, vor allem die in der ÖVP, sind nicht zu beneiden. Sie haben, bei Licht betrachtet, nur die Wahl inzwischen Pest und Cholera. Nichts anderes sind für sie eine Koalition mit der FPÖ oder ein Aufstehen vom Verhandlungstisch mit all seinen Folgen. 

Freilich -zu verantworten hat man die Situation selbst. Zu groß sind die Versäumnisse der vergangenen Jahre gewesen. Zu oft hat man sich in die eigene Tasche gelogen. Und zu oft ist es um die eigene Machterhaltung und nicht um gute, wirksame und zielführende Politik gegangen. Die Partei steht jetzt am Endpunkt einer Entwicklung, die über Jahre ging -und der man nichts entgegenzusetzen hatte. Und das auch gar nicht wollte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Jänner 2025

Freitag, 7. Februar 2025

„Uns fehlen schlicht die Leute“

Der Österreicher Thomas Brunner führt in der Ukraine eine Landwirtschaft mit 1200 Hektar und 5500 Schweinen. Bei der Mitarbeitersuche tue er sich selbst als kritische Infrastruktur schwer.

Hans Gmeiner 

Salzburg. „Zum Glück sind wir zu 95 Prozent fertig, so ist die Auswirkung überschaubar.“ Thomas Brunner, Agrarunternehmer aus Oberösterreich, der seit mehr als 20 Jahren in der Ukraine lebt und eine Landwirtschaft betreibt, hat Glück gehabt. Dass US-Präsident Trump die Auslandshilfen für Projekte weltweit eingefroren und Mittel gesperrt hat, trifft ihn nicht mehr. Das Futtersiloprojekt samt Futtermischanlage, das er seit dem Vorjahr auf seinem Betrieb mit Schweinehaltung und Ackerbau 250 Kilometer südöstlich von Kiew mit Mitteln aus dem US-Hilfsprogramm für die Ukraine verwirklichte, ist so gut wie fertig. Die Silos sichern nicht nur für Brunners Betrieb, sondern auch Landwirtschaften in der Umgebung die Versorgung mit Futter.

Ein Lichtblick für die Ukraine in immer härteren Zeiten. „Das vergangene Jahr war anstrengend.“ Sein Betrieb entwickle sich „eigentlich gut“, sagt Brunner. Die Situation sei dennoch schwierig, „man muss viele Abstriche machen“. Kriegsmüdigkeit mache sich breit. Man erlebe „eine gewisse Ohnmacht“. Bestimmte Dinge ließen sich kaum mehr steuern, etwa das Personalproblem. „Die Leute werden einfach zum Militär eingezogen“, erzählt Brunner. Bisher hat ihm geholfen, dass sein Betrieb zur kritischen Infrastruktur zählt und wichtig für die Versorgung ist. Daher kann er auch Männer im wehrfähigen Alter zwischen 25 und 60 Jahren für jeweils ein halbes Jahr einstellen. „Das muss dann immer wieder erneuert werden.“ Eben das wird schwieriger. Seit einigen Monaten fahren Behörden und Militär einen schärferen Kurs. Lücken zwischen dem Auslaufen der alten und der Genehmigung der neuen Freistellung werden vom Militär genutzt, um die Männer einzuziehen.

„Die machen schnell Nägel mit Köpfen“, sagt Brunner. Das Erneuern der Freistellung im elektronischen System dauere in der Regel drei Tage, „genau in diesen drei Tagen wurden Leute von mir zur Stellungskommission bestellt und durften nicht mehr weg. Den Frauen wurde gesagt, sie sollen die Sachen bringen.“ Obwohl Brunner die Genehmigung nach drei Tagen vorlegen konnte, hieß es nur, „da kann man jetzt nichts mehr machen“.

Für seine Landwirtschaft ist das eine Herausforderung, „gut eingearbeitete Mitarbeiter sind nicht so einfach zu ersetzen“. Wenn plötzlich Leute in der Futtervorbereitung fehlen und man mit der Aufbereitung nicht nachkomme, habe man ein Problem. Damit ist Brunner nicht allein. Die Zeit der billigen Arbeitskräfte ist in der Ukraine vorbei, aber der Fokus verschiebe sich. Freistellungen, wie er sie für seinen Betrieb anbieten könne, seien wichtiger als das Gehalt, „trotzdem fehlen überall Leute. Viele verstecken sich, weil sie nicht an die Front wollen.“ Es gebe Firmen, bei denen von 50 Mitarbeitern zehn eingezogen worden seien, „die kamen einen Monat später in Särgen zurück“.

Auch in der Landwirtschaft hat sich das Umfeld geändert. Brunners Haupteinnahmequelle ist jetzt der Ackerbau, da habe es zum Glück gute Preise gegeben. Anders als bei der Schweineproduktion. Dort habe die Afrikanische Schweinepest den Markt aufgeräumt, sagt Brunner.

Insgesamt bewirtschaftet er mit 45 Mitarbeitern 1200 Hektar Land. In den Ställen stehen 5500 Schweine, davon 450 Zuchtsauen, die zum Teil aus Oberösterreich importiert werden. Nach wie vor erzeugt Brunner unter der Marke Tomaso Prosciutto und Würste für den Kiewer Markt, „in kleinerem Rahmen“.

Insgesamt sei die Situation der Landwirtschaft heute eine andere als vor zwei Jahren, als zuerst die Bauern in den Nachbarländern der Ukraine und dann auch die Landwirte in Westeuropa auf die Straßen gingen. „Die Odessa-Häfen sind jetzt frei“, sagt Brunner. Seither habe man wieder Weltmarktpreise und das Getreide fließe über die alten Handelsströme vor allem nach Afrika und allenfalls nach Spanien.

An einen Rückzug aus der Ukraine denkt Brunner nicht. „Die Russen kommen nicht wirklich weiter“, übt er sich in dem Zweckoptimismus, den er überall im Land ortet. „Aber es wird nicht aufhören, wenn die Ukraine keine Garantien bekommt.“ Was Trump tun werde, sei schwer vorauszusehen, aber die Ukraine müsse in die Nato. Mehr Sorgen macht ihm, dass es in Kiew zu einem Umsturz durch prorussische Kräfte kommt und „irgendwelche Säuberungen anfangen“.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 7. Februar 2025

Donnerstag, 6. Februar 2025

Der Tanz auf der Nase - und seine Folgen

Es gibt Sachen, da entfährt einem regelrecht "Sachen gibt's, die gibt's gar nicht". Die aber gibt es, wir wissen es, zuhauf. Und man staunt dennoch immer wieder. Wie etwa, vielleicht haben Sie es auch gelesen, bei der Meldung "Gerichtsstreit: Mann will als Frau früher in Pension gehen", die vor ein paar Wochen durch die Medien ging. Ein 1962 geborener Wiener änderte sein Geschlecht im "Zentralen Personenstandsregister", meldeten die Zeitungen, "und pocht jetzt auf das für Frauen niedrigere Pensionsalter". Und das ganz ohne sich die im Falle einer solchen beabsichtigten Transformation verlangte Psychooder Hormontherapie antun zu wollen und auch ohne sonst äußere Zeichen der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht zu zeigen. Der gute Mann ist offenbar hartnäckig. Nachdem die PVA den Antrag ablehnte, bekam er vom Arbeits-und Sozialgericht recht. Dieser Spruch wiederum wurde dann vom Oberlandesgericht Wien aufgehoben. Lange Rede, kurzer Sinn -der Fall ist inzwischen beim Obersten Gerichtshof und hat da und dort Spekulationen ausgelöst, was an dem Fall noch alles dranhängen könnte. Etwa, wie das bei der Wehrpflicht wäre, beim Bundesdienst, in dem man ein Frauenförderungsgebot kennt, oder in Aufsichtsräten börsenotierter Unternehmen, wo es eine Frauen-Quote gibt.

Man staunt und schüttelt den Kopf.

Sachen, die es gar nicht gibt, sorgten dieser Tage auch in Oberösterreich für fette Schlagzeilen. Ein Brüdertrio -13,14 und 17 Jahre alt -verbreitet dort als "Schrecken der Autohäuser" Angst, bricht ein, stiehlt und zerstört Autos, überfällt Trafiken und hat auch sonst allerlei Sachbeschädigungen auf dem Kerbholz. Man kennt die Burschen, man weiß, wo sie leben, man weiß, dass sie reihenweise Straftaten begehen, man wird ihrer auch habhaft -aber man kann sie nicht belangen. Der Jüngste, weil er noch nicht strafmündig ist, und die beiden Älteren, weil ihnen ein Gutachten "verzögerte Reife" attestiert. "Anstatt die jugendlichen Serienkriminellen einzusperren, kann die Polizei sie nach der Tat nur zurück in ihre Betreuungseinrichtungen chauffieren", heißt es in den Zeitungen.

Man staunt und schüttelt den Kopf.

Die beiden Fälle sind freilich nicht die einzigen. Der Bogen reicht bis hin zu den nunmehr an den Flaschen fixierten Schraubverschlüssen bei PET-Flaschen, zu allerlei EU-Verordnungen, bis hin zu René Benko, der der Justiz jahrelang die lange Nase zeigen konnte. Und das alles und noch viel mehr, obwohl wir -und mit uns eigentlich die ganze Welt -über Überregulierung und Bürokratie jammern und klagen. Dennoch gibt es immer wieder erstaunliche Schlupflöcher in dem System, in dem wir leben, und erstaunliche Volten. Sie lösen bei der Bevölkerung nicht nur Staunen, sondern immer öfter auch Wut aus. Verstehen mag das kaum noch jemand.

All die Regeln, Gesetze und Vorschriften, die der Gesellschaft längst Qual und Hemmschuh sind, haben offenbar nicht gereicht, um all das zu verhindern. Und all die Bürokratie schon gar nicht, die oft nicht viel mehr als Selbstzweck zu sein scheint. Ersonnen von Leuten, die in ihren Kämmerchen offenbar oft nichts anders im Sinn haben, als sich die Beschäftigung zu sichern.

Da nimmt nicht wunder, dass sich viele fragen, wo wir hingekommen sind, dass man Grenzen verlangt, dass viele nach Law and Order rufen und nach einem stärkeren Durchgreifen.

Der Apparat -und damit auch die Gesellschaft - ist offenbar überfordert mit all den Vorschriften, die er selbst gemacht hat, um möglichst alles und jedes zu berücksichtigen, um das Leben und seine Gefahren, Unwägbarkeiten und Unstetigkeiten, die das Leben auf allen Ebenen mit sich bringt, in Buchstabenform zu bringen. Längst stellt man sich damit selbst in Frage. Die Gesellschaft wird damit nicht mehr Herr ihrer selbst.

Dieser Weg erzeugt längst Widerstand. Und nicht nur das. Er bereitet das Land auch auf für all die Simplifizierer und all die Kickls und Weidels, die so wie der argentinische Präsident Milei mit der Kettensäge zum politischen Erfolg kommen wollen, oder wie Donald Trump und Elon Musk, indem sie sich über alle Konventionen, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, hinwegsetzen. Und das immer rücksichtsloser und ohne lange Rechtfertigung.

Sie können sich des Zuspruchs dennoch sicher sein -auch weil Leute wie der Wiener, der als Frau in Pension gehen möchte, oder drei junge Burschen oder auch Benko allen so auf der Nase herumtanzen können.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Februar 2025
 
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