Den Präsidenten der Landwirtschaftskammer Österreich, ansonsten alemannische Gelassenheit und Ruhe in Person, bringt dann und wann doch etwas aus der Fassung. "Spendensammel-Umfragen unter Ahnungslosen zu zentralen Landwirtschaftsthemen dürfen keine Entscheidungsgrundlage sein", poltert er dann, wenn ihm die Begehrlichkeiten von NGOs und Zurufe von außen gar zu viel werden. Die Landwirtschaft ist dabei so etwas wie das Paradeopfer. Wie kaum eine andere Branche müssen sich die Bauern mit Vorhaltungen von NGOs und allerlei anderen Gruppen auseinandersetzen, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, meist nicht über das nötige Fachwissen verfügen, sondern sich einfach herausnehmen, Diskussionen anzuzetteln und dabei gerne auf Umfragen verweisen. Und das, obwohl man in dieser Welt, von der man mitunter so viel fordert, keine Verantwortung zu tragen hat, davon oft gar nicht betroffen ist und nicht davon leben muss. Aber heute hat jeder eine Meinung zu allem und scheut sich kaum mehr, ob dafür qualifiziert oder nicht, diese hinauszuposaunen und auch noch zu verlangen, dass sie berücksichtigt wird -zumal dann, wenn sie wirtschaftlich oder politisch in die entsprechenden Kanäle geleitet wird. Von Respekt ist da nur selten etwas zu spüren.
Mitunter scheint jeder zu glauben, überall mitreden zu können. Obwohl er oder sie noch nie in einem Stall war, noch nie Verantwortung für Tiere oder Feldfrüchte hatte, so etwas wie den Wolf nur aus dem Märchenbuch kennt und für die ein Bär so etwas ist wie Winnie Pooh. Und alle spielen mit. "Der gute Wolf: 83 Prozent sehen kein Problem", posaunen die Zeitungen hinaus, was ihnen NGOs vorsagen. Wie es den Bauern geht, welche Bemühungen es von Seiten der Landwirtschaft gibt und was man sonst alles versucht, spielt keine Rolle. Das Urteil steht fest. "Drei von vier Österreicher:innen denken anders als Minister Totschnig."Bei anderen Themen, die die Landwirtschaft betreffen, ist es nicht anders. Alle reden mit - und das mit inbrünstiger Überzeugung. "Bevölkerung will raus aus der Massentierhaltung", brachten Umfragen als Ergebnis. Und: "Überwältigende Mehrheit missbilligt Methoden der konventionellen Landwirtschaft." Diese Tonart ist Regel geworden. Alles besser wissen, überall dreinreden und immer das Maximum wollen. Ohne Kompromisse.
Wo die Landwirtschaft wirklich steht, welche Bemühungen es gibt und welche Hürden -keine Rede davon. Schon gar nicht davon, dass es dann das Schnitzel nicht um ein paar wenige Cent gäbe. Den Vogel schoss der Umweltdachverband ab, der erhob, dass "90 Prozent der Befragten es für wichtig halten, dass Landwirt:innen Maßnahmen ergreifen, um ihre Tiere vor natürlichen Risiken wie Unwettern, Unfällen, Krankheiten oder Übergriffen von großen Beutegreifern zu schützen". Ganz so, als ob die "Landwirt:innen" das nicht täten.
An diesem Muster, das nicht wenige für ein Geschäftsmodell von NGOs und anderen Gruppierungen bis hinein in die Welt der politischen Parteien halten, leiden auch viele andere Bereiche. Bei Straßenprojekten reden nicht nur Betroffene mit, wenn es darum geht, sie zu verhindern, sondern Hinz und Kunz, wo immer sie wohnen. Bei Bahn-Projekten ist es nicht anders. Und bei vielen anderen Themen auch nicht.
Längst geht es nicht mehr darum, politische Einstellungen abzufragen. Mit Umfragen Politik zu machen, ist Usus geworden. Damit zu täuschen auch. Unvergessen die EU-Umfrage zur Zeitumstellung, bei der sich 80 Prozent der Teilnehmer für eine ganzjährige Umstellung auf Sommerzeit ausgesprochen haben. "Mehrheit will Zeitumstellung abschaffen", wurde damals geschrieben. Davon, dass nur 4,6 Millionen von mehr als 450 Millionen EU-Einwohnern daran teilgenommen haben, war keine Rede. Und dennoch hat nicht viel gefehlt, dass die Zeit wirklich umgestellt worden wäre.
Die, man mag es "Umfragokratie" nennen, ist längst zu einer Gefahr geworden. Umfragen dienen kaum mehr der Meinungsfindung, sondern sind zu einem politischen Instrument und auch wirtschaftlichen geworden -und damit zu einer Gefahr für die Demokratie, aber auch, siehe Landwirtschaft, für die Wirtschaft. Sie werden nach Gutdünken für Ziele eingesetzt, die oft kaum erkennbar sind. Regeln gibt es nicht. Und auch keine Transparenz. Und damit ist für alles und jedes die Tür offen. Nur nicht nur für die, gegen die sie eingesetzt werden.