Mittwoch, 30. April 2014

Herren im besten Alter



Die Männer auf dem Bild im Motorteil einer großen österreichischen Tageszeitung wirken frisch und gut gelaunt. "Sechs Herren im besten Alter geben sich abenteuerlustig, erfüllen sich einen Traum und werden im Ziel zu Helfern", steht darunter im Bildtext. "Austrian Orient Rookies" nennen sie sich und nehmen ab 2. Mai die Allgäu-Orient-Rallye unter die Räder. "Der Begriff Rallye stimmt ja im motorsportlichen Sinn gar nicht", wird einer der Teilnehmer zitiert. "Das ist eher eine Schnitzeljagd mit Spaß, Abenteuer und sozialem Engagement." Eine feine Sache also, werden doch am Ende der Fahrt die Fahrzeuge für einen guten Zweck in Jordanien versteigert. Und wer will den Herren dieses Art von Hilfe verargen.

Ein Traum vieler Männer. Mit dem Auto von Oberstaufen über das Burgenland, Temesvar, Sofia und Istanbul nach Ankara, Diyarbarkir, Iskenderun, Haifa und durch Israel nach Jordanien. Das würde viele reizen - hätten sie die Zeit.

Über letzteres können zumindest drei der sechs Abenteurer nicht klagen. Sie sind in Pension. In ÖBB-Pension, wie im Text vermerkt ist. 55 ist der jüngste der abenteuernden Pensionisten laut Zeitung, 59 der zweite und 62 der dritte. In der Tat "Herren im besten Alter", wie es ganz zu Recht im Bildtext heißt. Und sie wirken auch so. Aber sie arbeiten nicht mehr. Sind im Ruhestand. Mit 55 und mit 59. Der Herr mit den 62 Jahren am Buckel nimmt sich da nachgerade als wirklich alt aus, obwohl auch er eigentlich noch drei Jahre vom Regelpensionsalter entfernt ist.

Das Bild der "Austrian Orient Rookies" ist nichts anderes als ein Sittenbild des österreichischen Sozialstaates. Dass es just in der Woche erschien, als der Gesetzesentwurf zur Entschärfung der Luxuspensionen von Experten in der Luft zerrissen wurde, ist wohl nichts als Zufall. Stimmig ist es dennoch. Wiewohl im Gesetzesentwurf nicht gemeint, sind viele Pensionen, wie jene der wackeren Abenteurer von der Eisenbahn, nichts anderes als Luxuspensionen. Für die, die im Luxus stehen, sie zu genießen und im Alter von gut 50 sich Hobbies wie Abenteuerfahrten widmen zu können, sowieso. Sie sind aber auch ein Luxus für die, die sie zahlen müssen. Für all die vor allem, die nicht mit 55 ihre Pension mit Freizeitaktivitäten verplanen können, sondern die in diesem Alter noch auf einen weit entfernten Pensionstermin hinarbeiten und fest einzahlen müssen. Die fragen immer lauter und mit wachsender Wut, warum müssen wir uns diesen Luxus leisten?

Sie fragen völlig zu Recht. Und sie ärgern sich völlig zu Recht. Erst jüngst warnte die OECD, dass Österreich die Krise des Sozialsystems noch bevorstehe. Als besonders problematisch sieht man, was zwar auch in Österreich mittlerweile jeder weiß, was aber niemand zu Kenntnis nehmen will, das Pensionssystem. Dass schon in dreißig Jahren statt derzeit drei Erwerbstätige nur mehr zwei Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten müssen, wird seit Jahren ohne große Folgen diskutiert. Mehr als kosmetische Maßnahmen hat man sich bisher nicht abgerungen. Nicht bei der Neuordnung des Systems insgesamt, und schon gar nicht bei den Frühpensionen, die in Österreich eine besondere Last sind.

"Andere mögen Weltmeister in Wissenschaft und Forschung sein, wir sind Weltmeister bei den Frühpensionen", ätzte erst dieser Tage ein renommierter Kommentator der heimischen Innenpolitik-Szene. Dass nur 0,5 Prozent der Postbediensteten und nur 3,9 Prozent der Eisenbahner bis zum gesetzlichen Pensionsalter arbeiten, wird als normal angesehen. Nicht anders ist es damit, dass in der Stadt Wien das Durchschnittsalter der in Frühpension gehenden Männer bei 53 Jahren (die Zahlen sind aus 2012) liegt.

Diese Beispiele, die in den vergangenen Wochen bekannt wurden, wären wohl in jedem anderen Land politischer Sprengstoff. In Österreich sind sie es nicht. Der Grund dafür ist einfach. In die Frühpension wollen alle und gehen fast alle. Nicht so früh, wie bei den ÖBB und bei der Post vielleicht, aber vor der Zeit jedenfalls. Ganz gleich, ob das die Bauern sind oder andere Berufsgruppen. Frühpension gilt vielen Österreicherinnen und Österreichern als Lebensziel.

Und das nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil man nicht zu den Draufzahlern zählen möchte, wenn man in der Zeitung blättert und ein Bild von "Herren im besten Alter" sieht, die auf Abenteuer gehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. April 2014

Samstag, 26. April 2014

Das Kreuz mit den Milchpreisen



In den Brief­ta­schen der Bau­ern wir­ken sich Preis­sen­kun­gen hef­tig aus, in je­nen der Kon­su­men­ten oft gar nicht.
 
Hans Gmei­ner

Die Un­ter­schrif­ten un­ter den neu­en Milch­lie­fer­ver­trä­gen mit den Mol­ke­rei­en wa­ren noch nicht tro­cken, da senk­ten ei­ni­ge gro­ße österreichische Milch­ver­ar­bei­ter mit Be­ginn des neu­en Milch­wirt­schafts­jah­res am 1. April die Prei­se um ein bis zwei Cent je Ki­lo­gramm auf knapp un­ter 40 Cent. „Sai­son­be­dingt“, lau­te­te die Be­grün­dung. Wenn es fri­sches Fut­ter gibt, ge­ben die Kü­he mehr Milch. Zu­dem er­höh­ten vie­le Bau­ern we­gen der gu­ten Prei­se in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten die Milch­pro­duk­tion. Bei­des drückt die Prei­se. Die Kon­su­men­ten spü­ren da­von frei­lich nichts. „Milch ist oh­ne­hin sehr güns­tig“, heißt es bei den Mol­ke­rei­en, de­ren Er­trags­la­ge an­ge­spannt ist und die je­den Cent brau­chen. „Un­se­re Mol­ke­rei-Ab­ga­be­prei­se san­ken in den ver­gan­ge­nen Jah­ren, wäh­rend der Ver­brau­cher­preis­in­dex an­stieg.“ Vie­le Pro­duk­te sei­en so­gar bil­li­ger als vor 20 Jah­ren.

Für die Bau­ern hin­ge­gen hat es auch die­se re­la­tiv ge­rin­ge Preis­sen­kung in sich. Denn in ih­ren Brief­ta­schen wirkt sie sich recht hef­tig aus. „Bei ei­nem durch­schnitt­li­chen Milch-Spe­zi­al­be­trieb mit 17 Kü­hen ma­chen die jüngs­ten Preis­sen­kun­gen man­cher Mol­ke­rei­en ein Ein­kom­mens­mi­nus von rund neun Pro­zent aus“, sagt Bran­chen­ex­per­te Leo­pold Kir­ner von der Hoch­schu­le für Ag­rar- und Um­welt­pä­da­go­gik. „Das ist pro­zen­tu­ell mehr als dop­pelt so viel, wie die Sen­kung der Er­zeu­ger­milchp­rei­se aus­mach­te, und zeigt, dass die Pro­dukt­prei­se trotz der Aus­gleichs­zah­lun­gen und För­de­run­gen für die bäu­er­li­chen Ein­kom­men von enor­mer Be­deu­tung sind.“ Der Wis­sen­schaf­ter ist über­zeugt da­von, dass die Prei­se noch wich­ti­ger wer­den.


Wäh­rend die öf­fent­li­chen Gel­der in der Hö­he von rund 18.000 Eu­ro beim Durch­schnitts­milch­bau­ern un­ver­än­dert blei­ben, blei­ben nach der jüngs­ten Preis­sen­kung di­rekt aus der Milch­pro­duk­tion statt rund 8000 nur mehr 5700 Eu­ro. „Un­term Strich wird da­mit aus der Sen­kung des Er­zeu­ger­milch­prei­ses um drei, vier Pro­zent für die Bau­ern ein dop­pelt so ho­her Ein­kom­mens­rück­gang“, rech­net Kir­ner vor. „Es sei denn, auch das Fut­ter wird um den glei­chen Pro­zent­satz bil­li­ger, was frei­lich nie gleich­zei­tig der Fall ist.“

In an­de­ren Pro­duk­ti­ons­zwei­gen läuft es nach dem glei­chen Mus­ter. Prak­tisch über­all schla­gen sich Preis­sen­kun­gen in über­pro­por­tio­na­len Ein­kom­mens­ver­lus­ten nie­der. Das macht ver­ständ­lich, wa­rum die Bau­ern trotz der Aus­gleichs­zah­lun­gen und För­de­run­gen bei den Ver­ar­bei­tern und beim Le­bens­mit­tel­han­del auf gu­te Prei­se po­chen.


Den­noch re­la­ti­viert Kir­ner. Der Preis sei nur ein Fak­tor von vie­len. „Ei­nen gro­ßen Ein­fluss auf den wirt­schaft­li­chen Er­folg et­wa bei Milch­bau­ern ha­ben auch die Pro­duk­ti­ons­tech­nik, die Grund­fut­ter­qua­li­tät und die Ab­schrei­bun­gen“, sagt er. Güns­ti­ges Bau­en, bil­li­ge Tech­nik und ho­hes Maß an Ei­gen­leis­tung zei­gen sich laut Kir­ner als die wich­tigs­ten Er­folgs­fak­to­ren in der Milch­wirt­schaft. „Der Un­ter­schied macht oft Wel­ten aus.“ Be­triebs­aus­wer­tun­gen er­ga­ben, dass un­ter ver­gleich­ba­ren Be­din­gun­gen den gut wirt­schaf­ten­den Mil­cher­zeu­gern dop­pelt so viel bleibt wie ih­ren Kol­le­gen.


Die an­ste­hen­de Li­be­ra­li­sie­rung des eu­ro­päi­schen Milch­mark­tes wird je­den­falls ei­ne Rie­sen­he­raus­for­de­rung. „Denn im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich ha­ben un­se­re Mil­cher­zeu­ger ei­ne sehr ge­rin­ge Ar­beits­pro­duk­ti­vi­tät“, sagt Kir­ner.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 26. April 2014

Donnerstag, 24. April 2014

Besorgniserregende Sorglosigkeit



Krise? Ist da was? Ganz offensichtlich nicht. Man scheint allerorten Frieden mit sich und der vor wenigen Jahre noch als so bedrohlich empfundenen Währungs-und Weltwirtschaftskrise gemacht zu haben. Man hat gelernt damit zu leben, zumal dann, wenn sie einen, wie in Österreich die meisten, kaum berührt. Was soll man auch tun? Ärgern vielleicht, protestieren auch, sich den Weltuntergangspropheten hingegeben. Aber im täglichen Leben? Da sind die Möglichkeiten beschränkt. Wie soll man auf etwas reagieren, was man nur aus dem Fernsehen kennt, aber nicht aus dem eigenen Leben und Erleben? Also am besten so weitermachen wie bisher, weil zu Tode gefürchtet, heißt es doch so schön, ist auch gestorben.

Wenn das die Menschen in Neusiedl tun, die in Kötschach-Mauthen und die in Flirsch am Arlberg ist das verständlich und akzeptabel. Wenn das aber die Verantwortlichen in Politik und Finanz in Wien, Frankfurt und Brüssel tun, dann wohnt dem freilich eine ganz andere Brisanz inne.

Und zuweilen scheint der Unterschied in den Verhaltensmustern tatsächlich marginal zu sein. Achselzucken ist die Reaktion, der man sich auch dort verschrieben zu haben scheint, wo eigentlich die Macht läge, gegenzusteuern. Ratlosigkeit ist zur akzeptierten Strategie geworden. Schönreden. Und Aussitzen. Das vor allem.

Man hat immer noch kein nachhaltiges Rezept gegen die Krise gefunden und weiß nicht, wie man sie in den Griff kriegen könnte. Die Milliarden verpuffen, die niedrigen Zinsen bewirken keinen Aufschwung, die Wirtschaft fasst kein Vertrauen und keinen Mut. Dass die Welt noch steht und auch Europa, scheint zu genügen.

Man hat sich ganz offensichtlich arrangiert. Gut, Griechenland und die Menschen dort hat es erwischt, bei einigen, wie Italien und Frankreich weiß man nicht recht, wie's weitergeht. Aber andere, wie Irland und Portugal haben es ja geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und sogar Griechenland ist es gelungen, wieder eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt zu platzieren. Die unzählbar gewordenen Milliarden an Haftungen und Verbindlichkeiten, die sich dabei angehäuft haben, die ebenso unzählbar gewordenen Milliarden, die man in das marode Finanzsystem gepumpt hat, um es am Leben zu halten? Das rührt niemand mehr. Und die Ukraine? Auch die nicht. Es wird schon nichts passieren.

Selbst die Wutbürger haben sich verlaufen. Statt Angst und Panik macht sich längst wieder Sorglosigkeit breit. In Europa und in Österreich auch.

Mehr als acht Prozent Arbeitslosigkeit rühren niemand mehr, man freut sich riesig, wenn das BIP um Nullkommairgendwas wächst und wenn die Entwicklung der Staatsschuld keine so grausigen Werte liefert, wie die der maroden EU-Staaten im Süden Europas. Das Verständnis für Spar-Maßnahmen, man verfolge nur die jüngste Diskussion um das Schulwesen oder Heer, hat sich längst wieder verflüchtigt. Man gibt sich allemal wieder lieber dem hin, was man seit jeher gewohnt ist. Man hat keine Scheu immer neue Forderungen aufzustellen und setzt, wie über Jahrzehnte üblich geworden, alle Kraft darein, Reformen hinauszuschieben. Am besten bis zum St. Nimmerleinstag - ganz so, als ob alles in bester Ordnung wäre. Der Staatshaushalt, die Wirtschaftslage, der Arbeitsmarkt.

Da nimmt nicht wunder, dass die Sorge über diese rasant wachsende Sorglosigkeit wächst. Vor allem in Wirtschaftskreisen, vor allem in den Chefetagen von international tätigen Unternehmen. voestalpine-Chef Wolfgang Eder schlug - wieder einmal -Alarm, OMV-Chef Gerhard Roiss tat es und viele andere auch. "Es ist unglaublich, wie man in den vergangenen Jahren gelernt hat, selbst große Probleme einfach unter den Teppich zu kehren", wunderte sich etwa ein hochkarätiger Manager aus der Textilindustrie. "Heute redet man bereits von Wachstum, wenn das Bruttoinlandsprodukt um eine halbes Prozent zulegt, früher hätte man da von Krise gesprochen."

Auch in der Wissenschaft wachsen die Sorgen über die Sorglosigkeit. "Es gibt kein Anzeichen, dass es wirklich aufwärts geht, das ist alles Fantasie" sagt der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck in einem Interview. "Wir haben ja die Rezession noch nicht überwunden", sagt er dort. Und die Frage, ob wir das Schlimmste bereits hinter uns hätten oder ob noch was komme, beantwortet er ohne Umschweife mit "Letzteres".

Aber das rührt wohl niemanden. Wohl, weil es der bequemen Sorglosigkeit quer käme.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. April 2014

Dienstag, 22. April 2014

Die Bauern kämpfen um ihre Position



Der neue Landwirtschaftskammer-Präsident Hermann Schultes gilt als Mann mit Kanten. „Ich will mir die Landwirtschaft nicht schlechtmachen lassen“, sagt er.

Hans Gmeiner

Sie waren Obmann des Distelvereins, der schon vor Jahrzehnten den Umweltgedanken in die Agrarproduktion einzubringen versuchte. Jetzt gibt es ein neues Umweltprogramm. Wäre die Gelegenheit nicht günstig, jetzt auf Ihrem Betrieb auf bio umzusteigen?

Schultes: Thema könnte bei uns eher sein, wieder in die Rinderhaltung einzusteigen, aber bio ist nicht das Thema.

Die Biobauern halten sich für die höchste Stufe der Landwirtschaft. Sie sind damit nicht allein, konventionelle Landwirtschaft steht in keinem guten Ruf. Hat man da nicht etwas versäumt?

Schultes: Wir haben in Österreich nach wie vor die hochwertigste Landwirtschaft Europas. Ich lasse mir von niemandem die konventionelle Landwirtschaft schlechtreden. Der österreichische Konsument sagt jeden Tag, was er will. Die Umsätze im Lebensmittelhandel zeigen, dass 93 Prozent der Konsumenten die konventionelle Landwirtschaft schätzen und sieben Prozent der Konsumenten bio wollen. Und beides verträgt sich nebeneinander recht gut.

In Österreich wird dennoch immer öfter eine Art Hobbylandwirtschaft fernab der Realität auf den Märkten zur idealen Form, Stall und Felder zu bewirtschaften, verklärt. Viele Bauern leiden darunter. Wie will man das ändern?

Schultes: Meine feste Überzeugung ist, dass wir nur über Produktion unsere Zukunft begründen können. Und wir stehen da im Wettbewerb mit vielen anderen Produzenten in Europa. Eine Art Hobbylandwirtschaft würde da in die Sackgasse führen. Aber Bauern, die unter erschwerten Bedingungen wirtschaften, wollen wir auf jeden Fall in der Produktion halten. Das braucht besondere Ausgleichszahlungen.

Können Sie Kritik an der Landwirtschaft nachvollziehen?

Schultes: Objektiv und nach Fakten ist die österreichische Landwirtschaft unter den Besten. In der Öffentlichkeit entsteht mitunter vielleicht ein anderer Eindruck, weil wir die sachliche Diskussion schon lang verloren haben und die emotionale Diskussion von jedem so gestrickt wird, wie sie ihm gerade nützlich ist.

Wie kann die Landwirtschaft diese emotionale Diskussion wieder in den Griff bekommen?

Schultes: Ich bin der Meinung, dass diese Diskussion über die Landwirtschaft stark damit zusammenhängt, dass die Menschen nicht mehr wissen, wie wichtig es ist, dass es eine verlässliche Landwirtschaft mit einer sicheren Produktionsgrundlage im eigenen Land gibt. Wir leben in einer Gesellschaft, die vergessen hat, das zu schätzen.
Das gilt nicht nur für die Lebensmittel, sondern auch für die Energie aus Biomasse, die von der Landwirtschaft kommt und einen hohen Anteil an der Energieversorgung hat.

Zuweilen hat man den Eindruck, dass die Landwirtschaft in ihren ureigensten Bereichen die Hoheit verloren hat und Nichtregierungsorganisationen und der Handel die Linien vorgeben.

Schultes: Diesen Eindruck habe ich nicht. Tatsache ist, dass sowohl die NGOs als auch die Handelskonzerne kommerzielle Unternehmen sind, die nach Business- und Marketingplänen arbeiten. Da gibt es Bereiche, in denen sie zusammenarbeiten, in denen sie sich ergänzen und in denen sie gute Geschäfte mit dem Thema Landwirtschaft und oft auf Kosten der Bauern machen.

Ein hoher Teil der Bauerneinkommen kommt von öffentlichen Geldern. Die Bauern hängen also stark von der Politik ab. Sehen Sie einen Weg, um da einmal rauszukommen?

Schultes: Wer glaubt, dass die billigen Lebensmittel und Leistungen ohne die staatlichen Zusatzgelder möglich sind, lügt sich selbst an. Es gibt diese Bühne, die die Bauern den Österreichern bieten, nur dann, wenn die Österreicher zu den billigen Weltmarktpreisen das an Ausgleichszahlungen dazulegen, was diese Leistungen wert sind.

In Österreich fließen jährlich rund 1,9 Mrd. Euro in die Landwirtschaft. Der Strukturwandel geht dennoch unvermindert weiter. Fragt man sich da als Interessenvertreter und Politiker nicht, ob man auf dem richtigen Weg ist?

Schultes: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat viele Gründe. Ausgleichszahlungen spielen in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle. Auch Größe ist kein Kriterium. Vielmehr hängt der Wandel von der Diskussion und der Situation in den Familien selbst ab. Auch gut geförderte Betriebe in sogenannten Gunstlagen werden nicht weiter Bestand haben, wenn die Motivation verloren geht.

Angesichts knapper werdender Fördermittel wächst der Druck auch in der Bauernschaft. Nie sind die einzelnen Produktionssparten und -regionen so aufeinander losgegangen wie in den vergangenen Monaten im Zuge der Geldverteilung im Rahmen der Agrarreform. Macht Ihnen das Sorgen?

Schultes: Mich irritiert stark, dass es Mode geworden ist, die Zukunft der Landwirtschaft an eine bestimmte Höhe von Ausgleichszahlungen zu hängen. Fünf Euro mehr oder weniger pro Hektar sind bei den meisten Betrieben weniger bedeutend als eine nur kleine Veränderung in der Marktentwicklung. Dieses Auseinanderdividieren über die Ausgleichszahlungen schadet sehr.

Wie sehen Sie die Position der Landwirtschaft innerhalb der Sozialpartner? Empfinden Sie die Arbeiterkammer, die zu den heftigsten Kritikern der Landwirtschaft zählt, als Partner?

Schultes: Wir haben einfach viel zu diskutieren. Die Arbeiterkammer hat mit ihren Umlagen ein Budget, das ungefähr dem halben Budget unserer ländlichen Entwicklung entspricht. Ich hoffe, dass sie damit so viel leistet für Österreich wie die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft kann selbstbewusst in der Sozialpartnerschaft auftreten.

Wie geht es Ihnen mit dem neuen Landwirtschaftsminister und seinen Aussagen?

Schultes: Unser neuer Landwirtschaftsminister hat viele neue bunte Botschaften gebracht. Weil ich ein Mensch bin, der gern diskutiert, finde ich jede neue politische Debatte interessant. Was zum Schluss herauskommt, wird sich zeigen.

Sie gelten als Mann mit Kanten. Für manche in Westösterreich sind Sie ein rotes Tuch, auch unter den Kammerpräsidenten.

Schultes: Ich weiß nicht, warum dieses Bild aufgebaut wurde. Aber ich glaube, dass ich gerade dort inzwischen anders wahrgenommen werde.

Was soll einmal von Schultes an der Spitze der Landwirtschaftskammern bleiben?

Schultes: Ich bin zufrieden, wenn in der österreichischen Bevölkerung der Stellenwert und die Arbeit der Bauern mehr geschätzt werden und die Leute stolz drauf sind, dass sie ein gutes Schnitzel am Teller haben, und die österreichischen Bauern an dem Schnitzel was verdienen dürfen.


HermannSchultes
Als Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich ist der aus Zwerndorf im Marchfeld stammende Schultes (60) seit Ende Februar oberster Interessenvertreter der Bauern. Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete, NÖ-Kammerpräsident und ehemalige Präsident der Rübenbauern zählt seit Jahren zu den einflussreichsten Agrarpolitikern.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 22. April 2014

Donnerstag, 17. April 2014

Panoptikum Österreich



Österreich, böse Zungen wissen es schon immer, nimmt sich zuweilen wie ein Panoptikum, wie eine Zusammenstellung von Schrulligkeiten und Abstrusitäten, aus. Da muss das staunende Publikum etwa zur Kenntnis nehmen, dass hierzulande für Schulbusfahrerinnen und -fahrer kein Alkoholverbot am Steuer gilt. Die Verkehrsministerin fühlte sich erst jüngst bemüßigt, anzukündigen, das jetzt doch einzuführen. Künftig soll auch dort ein Alkohol-Limit von 0,1 Promille gelten wie bei "echten" Bus-und Berufskraftfahrern, richtete sie via Medien aus. Genau das hätten wohl schon jetzt 100 von 100 Österreicherinnen und Österreichern angenommen.

Aufschlussreich, was Merkwürdigkeiten im Panoptikum Österreich anlangt, sind immer wieder auch die Berichte des Rechnungshofes. Obwohl seit gefühlten hundert Jahren in Österreich über die Beseitigung von Privilegien aller Art und insbesondere von Pensionsprivilegien geredet wird, hält sich der Fortschritt bei der Umsetzung dieser Vorhaben in überschaubaren Grenzen. In der Nationalbank etwa liegen, hieß es dieser Tage in den Gazetten, die Durchschnittspensionen immer noch höher als die Aktivgehälter, die mit 86.300 Euro jährlich einen Durchschnittsverdiener ohnehin vor Neid erblassen lassen.

Im österreichischen Panoptikum einen festen Platz hat inzwischen natürlich auch die Hypo Alpe Adria und all die Vorgänge rundherum, die die Bank in die Pleite und den Staat Österreich in eine veritable finanzielle Krise brachten.

Diese Liste kann wohl jeder Österreich schier nach Belieben weiterführen. In ganz, ganz vielen Winkeln der Gesellschaft und des Landes nisten immer noch eine Vielzahl zumeist teurer Privilegien und Sonderrechte, die von zuweilen durchtriebenen, zuweilen listigen und zuweilen sehr machtbewussten Zeitgenossen durch die Zeiten gerettet werden. Zuweilen nehmen sich die Bemühungen und Tricksereien wie ein Räuber und Gendarm-Spiel aus. Wer seine Vorteile am besten versteckt und verschleiert, ist in diesem Spiel der Sieger und kann sich am längsten seiner privilegierten Regelungen erfreuen.

Und dass die Liste lang und Österreichs Panoptikum groß ist, hat auch damit zu tun, dass Änderungen oft nur sehr schwer durchzusetzen sind. Die Nationalbank etwa tut sich schwer, in bestehende Regelungen einzugreifen. Da etwas anzutasten und zu ändern ist in einem Rechtsstaat wie Österreich schier unmöglich. Ausgerechnet die Rechtssicherheit, die in der Regel nicht hoch genug einzuschätzen ist, erweist sich in Situationen wie diesen als Bumerang.

Das gilt etwa auch für die Bemühungen der Post, Personal und Kosten abzubauen. Weil viele der Bediensteten Beamtenstatus haben und als solche nicht gekündigt werden können, bleibt nichts anderes, als sie in Frühpension zu schicken, um Geld zu sparen. Die Folgen sind eine fatale Optik und eine schlechte Nachrede, müssen sich doch die Postler vorhalten lassen, mit knapp 54 Jahren in Pension zu gehen, während andere Bundesbedienstete Nämliches erst im Schnitt mit 60 Jahren tun. Was freilich hinwiederum auch noch ein gutes Stück unter den 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männern liegt, die in Österreich eigentlich als Pensionsantrittsalter gelten und mithin auch als Ausstellungsstück im Panoptikum steht.

Beispiele wie die zitierten haben Österreich längst in einen Teufelskreis gebracht, aus dem zu entrinnen immer schwieriger wird. Den großen Schnitt zu machen, wie immer wieder gerne und mitunter dröhnend gefordert wird, ist alles andere als einfach. Und was dazu kommt - es wagt niemand ihn zu wagen, weiß er doch, dass das seinem politischen Todesurteil gleichkommen würde. Darum nimmt nicht wunder, dass es von keiner Seite und aus allen politischen und gesellschaftlichen Lagern nicht an Lippenbekenntnissen fehlt, die an Treuherzigkeit und mitunter triefender Sorge kaum zu überbieten sind, denen aber jede Ernsthaftigkeit fern ist.

Schließlich haben doch alle aus ihrer ganz spezifischen Sicht, aus welchen Gründen auch immer, Angst davor, benachteiligt zu werden und zu den Draufzahlern zu zählen, die auf Kosten anderer auf etwas verzichten müssen - eine Konstellation, die garantiert, dass das Panoptikum Österreich wohl auch in Hinkunft reichlich bestückt sein wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. April 2014

Donnerstag, 10. April 2014

Österreichs Milcherzeuger rüsten auf



HANS GMEI­NER Wien (SN). Noch ge­nau ein Jahr dau­ert es, bis der eu­ro­päi­sche Milch­markt li­be­ra­li­siert wird. Der wird seit Jahr­zehn­ten über ein kom­pli­zier­tes Pro­duk­ti­ons­quo­ten­sys­tem für EU-Staa­ten und Bau­ern ge­re­gelt. Die Vor­be­rei­tun­gen auf die­sen Tag, den 1. April 2015, lau­fen so­wohl bei den Mol­ke­rei­en als auch auf den Bau­ern­hö­fen auf Hoch­tou­ren. Vie­le der gut 33.000 Milch­bau­ern sind da­bei, die Vieh­be­stän­de auf­zu­sto­cken um gegen den erwarteten Preisdruck gewappnet zu sein. „Der Trend geht in Rich­tung 60 Kü­he pro Land­wirt“, sagt Leo­pold Kir­ner von der Hoch­schu­le für Ag­rar- und Um­welt­pä­da­go­gik, der als Wis­sen­schaf­ter die Bran­che kennt wie kein an­de­rer. Die be­vor­ste­hen­de Markt­li­be­ra­li­sie­rung ha­be für ei­nen re­gel­rech­ten Mo­der­ni­sie­rungs­schub ge­sorgt um die Produktionskosten zu senken. „In Ober­ös­ter­reich gibt es be­reits mehr als 100 Melk­ro­bo­ter“, sagt Kir­ner. Bei klei­ne­ren Be­trie­ben sei aber Un­si­cher­heit zu spü­ren.

Auf Hoch­tou­ren lau­fen auch die Vor­be­rei­tun­gen in der Mol­ke­rei­wirt­schaft. Mehr als 100 Mill. Eu­ro wer­den dort ins­ge­samt in­ves­tiert, um für die neu­en Wett­be­werbs­ver­hält­nis­se nach der Markt­li­be­ra­li­sie­rung ge­rüs­tet zu sein. Die Bran­chen­rie­sen Berg­land­milch und Gmund­ner­milch nah­men schon im Vor­jahr neue An­la­gen in Be­trieb, die Salz­burg­Milch bau­te um 20 Mill. Eu­ro ei­nen neu­en Milch­hof in Salz­burg und in­ves­tier­te zu­dem 45 Mill. Eu­ro in den neu­en Kä­se­hof in Lam­prechts­hau­sen.

„Wir rech­nen da­mit, dass die An­lie­fe­rung in den kom­men­den sie­ben Jah­ren um 15 Pro­zent auf 3,5 Mill. Ton­nen Milch jähr­lich stei­gen wird“, sagt Hel­mut Pet­schar, Chef der Kärnt­ner­milch und Spre­cher der ge­nos­sen­schaft­li­chen Mol­ke­rei­en Ös­ter­reichs. Die zu­sätz­li­chen Men­gen hof­fen die Milch­ver­ar­bei­ter im Ex­port un­ter­zu­brin­gen. Pet­schar setzt ins­be­son­de­re auf Chi­na und Russ­land. „Wenn die gro­ßen eu­ro­päi­schen Mol­ke­rei­en dort er­folg­reich sind, gibt es für un­se­re Qua­li­täts­milch mehr Platz in Eu­ro­pa.“

Der­zeit schei­nen die Vo­raus­set­zun­gen da­für, dass so­wohl Bau­ern als auch Mol­ke­rei­en mit der Markt­li­be­ra­li­sie­rung zu­recht­kom­men wer­den, gut zu sein. „Der Milch­markt ist sta­bil, die Nach­fra­ge auf dem Welt­markt gut“, sagt Pet­schar. Auch wenn es per Mo­nats­an­fang leich­te Preis­kor­rek­tu­ren gab, la­gen die Bau­ern­milchp­rei­se in den ers­ten Mo­na­ten deut­lich jen­seits der ma­gi­schen 40-Cent-pro-Ki­lo-Gren­ze und da­mit so hoch wie zu­letzt vor dem EU-Bei­tritt.
Vom Preis­ni­veau, das sie zu­min­dest zum Teil über ih­re Pro­duk­te wei­ter­ge­ben konn­ten, pro­fi­tier­ten auch die Mol­ke­rei­en. Ihr Ge­samt­um­satz er­höh­te sich 2013 um 5,9 Pro­zent auf 2,33 Mrd. Eu­ro. Das Er­geb­nis war mit 0,8 Pro­zent des Um­sat­zes po­si­tiv.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. April 2014

Böses Erwachen



Österreich laufen, wie es heißt, die guten Leute davon. Und zurückkommen mögen sie immer seltener. Brain Drain, wie dieser Verlust an Leuten mit Köpfchen, genannt wird, wird zu einem wachsenden Problem. In den vergangenen zehn Jahren, schätzt die OECD, verließen jährlich zwischen 20.000 und 25.000 Österreicherinnen und Österreicher das Land. Nur 15.000 kehrten zurück. Zwei Dinge sind es, die immer mehr Sorgen machen. Die meisten derer, die Österreich den Rücken kehren, sind kaum älter als 35 - und die meisten von ihnen sind gut gebildet.

Nun ist ja nichts einzuwenden dagegen, dass immer mehr junge Leute hinausschnuppern wollen in die weite Welt, um dort Erfahrungen zu sammeln, sich fortzubilden und etwas zu erlernen. Das kann man ihnen gar nicht hoch genug anrechnen. Man kann die jungen Leute von heute nur bewundern, wie groß ihr Interesse und ihre Neugier sind und ihre Leistungsbereitschaft oft sind. Das war nicht immer so. Heute ist es für viele Junge selbstverständlich in den USA zu jobben, in Asien ein Praktikum zu machen, und in Deutschland Geld zu verdienen. Man ist wesentlich flexibler als früher und in einem wesentlich höheren Maß bereit, etwas auf sich zu nehmen, um voran zu kommen. Noch keine 30, haben sie oft deutlich mehr internationale Erfahrungen und entsprechendes Wissen als andere mit 60.

Aber statt diesen Leuten den roten Teppich auszulegen, lässt man sie grußlos ziehen, als ob man sie gar nicht wolle. Statt sich ihrer anzunehmen, gibt man sich allemal lieber und inniglicher den Gemeinheiten hin, diesen Leuten Prügel in den Weg zu legen. Der Katalog der Fiesheiten ist umfangreich. Er reicht von den oft unsäglichen Bedingungen, unter denen Studenten hierzulande oft arbeiten müssen, über ewige Praktikums-statt ordentlicher Jobangebote bis hin zu steuerlichen Misshandlung jener, die etwas erreichen wollen.

Dazu kommt die zwischen Neusiedler See und Bodensee nach wie vor weit verbreitete Kultur, ehrgeizige und gute Leute allemal lieber einmal ausrutschen zu lassen, als ihnen unter die Arme zu greifen. Gar nicht zu reden von der dem österreichischen Geist meist innewohnenden leistungsfeindlichen Haltung, die sich nicht nur auf einen selbst bezieht, sondern die auch alles daran setzt, diese in der Umgebung zu verbreiten.

Ganz abgesehen von all den anderen Hürden. Dazu zählt das im internationalen Vergleich oft niedrigere Gehaltsniveau ebenso wie die überbordende Bürokratie im Land, die vor allem in der Forschung oft wenig attraktive Ausstattung präsumtiver Arbeitsplätze und das mühselige Agieren einer in sich selbst und ihren Wirrnissen verfangenen Politik, der jeder Reform-Mut fehlt.

Guten und hoch qualifizierten Menschen zu helfen ist in diesem Land nicht hoch angesehen. Man könnte ja selbst dabei draufzahlen. In der Bildung geht es sehr viel eher um die Schaffung gleicher Chancen, als darum, jenen, die mehr können, unter die Arme zu greifen. Der Begriff Elite hat einen schlechten Beigeschmack. Und jemanden bei seiner Karriere behilflich zu sein, gilt als anrüchig. Statt mit dem Thema offen umzugehen, lebt man allerorten den österreichischen Weg. Mit allen damit verbundenen Folgen. Karriere macht man hierzulande sehr viel eher über Beziehungen, über die Mitgliedschaft bei Einrichtungen wie dem CV oder dem BSA. Das Resultat ist oft entsprechend.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass 5000 bis 10.000 dieser hochqualifizierten, weltoffenen und neugierigen Leute, die jährlich in die große Welt hinausgehen, um mehr aus sich zu machen, nie mehr zurückkommen.

"Erst verabschieden sich die gescheiten Leute, dann folgen die qualifizierten Arbeitsplätze", warnen Experten nun immer eindringlicher und greifen, wie der Wiener Physiker und Wirtschaftswissenschafter Stefan Thurner, gleich zu einem einprägsamen Bild. "Es sind nicht die Mozartkugeln und die Swarowski-Glasperlen, die unseren Reichtum schaffen, es sind die innovativen Klein- und Mittelbetriebe."

Die Gefahr ist groß, dass es Tradition wird, gescheite Leute aus dem Land zu schicken. Der Bequemlichkeit halber, der Einfachheit halber und der Ruhe wegen. Bis es zu spät ist. Und das könnte bald sein. voestalpine-Chef Wolfgang Eder sagt: "Die Lücke bei den Hochqualifizierten bringt uns im internationalen Wettbewerb in eine dramatische Situation." Gehe es so weiter, "werden wir in fünf Jahre ein böses Erwachen erleben".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. April 2014

Freitag, 4. April 2014

Verbrannte Erde




Die Agrarreform steht. Alle Verantwortlichen machen auf Friede, Freude, Eierkuchen. Dabei hat kaum einer einen Grund dafür. Nie hat es so viele Verlierer gegeben. Und kaum jemals zuvor hat es im Gebälk der heimischen Agrarpolitik so geknirscht, kaum je ist man sich zuweilen so offen nachgerade feindselig gegenübergetreten wie in den vergangenen Monaten. Ost gegen West, Berg gegen Tal, groß gegen klein und bio gegen konventionell. Es gab keine Front, an der nicht gekämpft wurde. Und das durchaus oft sehr untergriffig.
 
Die Risse gehen, wie es scheint, weit hinein in die Bauernschaft. Da wurden Haltungen offenbar, die man dort bisher nicht kannte. Da war in den Diskussionen kaum mehr etwas von Solidarität und gegenseitigem Verständnis zu spüren. Und auch nicht von Respekt. Da kämpfte man mit allen Mitteln ums Geld. Da verlor man zuweilen in der Kritik jedes Augenmaß. Da hatte man keine Scheu, die anderen schlecht zu reden und madig zu machen, nur um seine Haut zu retten. Die Biobauernvertreter taten sich dabei besonders hervor und auch die Vertreter der Bauern in den Berggebieten. Wer am lautesten schreit gewinnt, schien das Motto zu sein.

Zuweilen machte die Diskussion Erschrecken. Wie manche ohne mit der Wimper zu zucken forderten, über andere drüber zu fahren, ließ staunen. Dass etwa bei der Umstellung von den so genannten "historischen Förderungen" auf die Regionalförderung viele Bauern 20, 30 und mehr Prozent an Geldern verlieren, nahm man ohne Rührung hin. Dabei steht man sonst nicht an, jedes Prozent, das wo wegkommt, zum Weltuntergang zu erklären. "Das geschieht nur zu recht" wollten die Lautesten Blut sehen. Dass es dabei um Existenzen geht, schien ihnen egal, dass die nunmehr als "historisch" geltenden Förderungen nicht auf Gaunereien basierten, wie sie zuweilen glauben machen wollten, sondern auf sehr detaillierten Berechnungen, schien ihnen einerlei.

Aber nicht nur der immer rauer werdende Umgang der bäuerlichen Gruppierungen miteinander macht Staunen. Staunen macht auch, was im Zuge der Ausverhandlung der Agrarreform alles bekannt wurde. Dazu zählt etwa, dass viele Bauern in Tälern Westösterreichs in den Genuss der Bergbauernförderung kamen, obwohl sie als Talbauern mit den Bergen nur vom Hinschauen zu tun hatten. Verwunderlich sind auch die Zustände und Prämien-Optimierungskünste, die rund um die Almenmisere bekannt wurden. "Die Almen wurden ja nie vermessen", gab etwa ein Tiroler Bauer in einer öffentlichen Diskussion unumwunden zu. Der gute Mann hat immer das verschlossene Kuvert mit dem AMA-Antrag zu seiner Kammer getragen. "Ich haben denen gesagt, wieviel Vieh ich aufgetrieben habe und die haben dann die Fläche hingeschrieben". Und was die Biobauern bisher alles durften und was ihnen die neue EU-Bioverordnung nun verbieten will, lässt einen auch den Kopf schütteln.

Auch wenn sich die heimische Bauernschaft in den vergangenen Monaten ziemlich zerzaust hat, wer wirklich draufzahlt und wer wirklich gewinnt, steht noch nicht fest. "Wir müssen sparen", sagt der neue Landwirtschaftsminister. Und er hat es allem Anschein nach so hingekriegt, dass es keine allzu großen Ungleichgewichte gibt. Der Preis dafür ist freilich, dass für die österreichische Landwirtschaft keine Richtung erkennbar ist, in die es in Zukunft gehen soll. Aber vielleicht ist das das Gute. Es wäre zumindest eine Voraussetzung dafür, dass die Bauern wieder zusammenhalten. Denn genau das war es, was ihnen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Stärke verliehen hat.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 4. April 2014

Donnerstag, 3. April 2014

Sehr österreichisch



Die Landwirtschaft wird oft, gerne und von vielen Seiten wegen ihres beinahe ständigen Rufens nach öffentlichem Beistand gegeißelt. Die Bundesbahnen werden es auch. Und auch viele andere.

Dabei ticken die, die sich da gerne alterieren, um keinen Deut anders als die Adressaten ihrer Häme und Vorhaltungen. Man lese nur was Zeitungsherausgeber ins Treffen führen, wenn es um die Presseförderungen geht. Auch viele Wirtschaftsführer arbeiten durchaus mit doppeltem Boden, wenn es darum geht, die gerne vor sich hergetragene wirtschaftliberale Haltung, deren Kern meist die Geringschätzung staatlicher Aktivitäten ist, mit dem Wunsch nach staatlicher Unterstützung in Einklang zu bringen.

Exemplarisch dafür steht derzeit Baumax-Chef Essl mit den Bemühungen seinen Konzern zu retten. 70 Millionen Euro hätte er gerne für seine Kunstsammlung. Vom Staat, der dem Vernehmen nach ohnehin schon für 70 Millionen bürgt. Das lässt viele in diesem Land staunen, dabei kann man es dem guten Mann nicht verargen. In diesem Land sind schon viele gut gefahren, wenn sie sich in ihrer vermeintlich letzten Not an die öffentliche Hand, respektive, jene, die sie finanzieren, die Steuerzahler, wandten. Und da muss man noch gar nicht die Hypo Alpe Adria ins Treffen führen.

Viele Firmen sind so dem Konkursrichter gerade noch von der Schaufel gesprungen. Und auch viele aus dem gewöhnlichen Volk, ja ganze Berufsgruppen. Ein ganzes Land lebt gerne so. Die Gewinne privatisiert man am liebsten und steckt sie ein. Die Verluste hingegen versucht man zu sozialisieren. Dabei tut man sich umso leichter, je größer und weitreichender die Folgen werden könnten.

Auch wenn Essl sein Geld löblicherweise in eine öffentlich zugängliche Kunstsammlung gesteckt hat, nimmt sich das Ansinnen, der Staat möge die Sammlung nun übernehmen, befremdlich aus - zumal er mit seinem Baumax einmal toll verdient haben musste, weil sonst eine Sammlung in derartiger Dimension kaum finanzierbar gewesen wäre.

Befremdlich nimmt sich auch aus, wie Künstler und ihre Galeristen, die sich ansonsten gerne als Freigeister abseits wirtschaftlicher Notwendigkeiten und Zusammenhänge gerieren, damit umgehen. Wenn es um die Sicherung der Preise ihrer Werke und damit ihrer Einkommen geht, ist in deren Argumentation zuweilen das von ihnen oft ob seiner Schlichtheit belächelte Stammtischniveau nicht tief genug. So war sich der untadelige Christian Ludwig Attersee nicht zu schade dafür, den Satz zu sagen, der sich in Österreich immer größerer Beliebtheit erfreut, wenn es gilt, zu Geld-Futtertöpfen zu kommen. "Wenn der Staat schon so viel Geld hat, um alle Bankenaffären zu bezahlen, dann bin ich dafür, dass man einmal auf die Kunst schaut."

Die Stirn für einen solchen Satz muss man erst einmal haben, zumal in Österreich, dass gerade erst erkunden muss, wieviel Geld im Burgtheater fehlt. Gar nicht zu reden von dem, was anderswo - Stichwort Staatsoper - immer wieder fehlt und das man sich gerne von öffentlichen Haushalten ersetzen lässt. Da kehrt man die hohen Gagen und Preise, die man selbst einstreift, gerne unter den Teppich oder vergisst mitunter seinen Obulus an den Fiskus abzutreten.

Vor diesem Hintergrund nimmt auch nicht die Sorge darum wunder, dass ein unkontrollierter Verkauf der Sammlung Essl auf dem freien Markt eben jenen aus dem Ruder laufen ließe - mit allen Folgen wie etwa massivem Preisverfall. Der Kunstminister will sich dieses Problems annehmen. Das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Denn eigentlich müsste es dem gestandenen Sozialdemokraten nur Recht sein, wenn nicht nur - wie es Strategie seiner Partei ist - Lebensmittel und viele andere Güter des täglichen Bedarfs billiger werden, sondern auch Kunst. Allein, um breiteren Kreisen zugänglich zu werden.

Aber sei's drum, wenn's um das eigene Fortkommen geht, ticken die Uhren anders. Da gilt auch bei den freisinnigen Künstler, was bei so vielen anderen gilt - man will sich die Suppe nicht versalzen lassen. Die bildenden Künstler nicht und die Kabarettisten nicht, die sich großartig drauf verstehen, ihre eigenen Gagen auszublenden, wenn sie sich auf der Bühne an "den Abkassierern" abarbeiten. Und auch nicht die Autoren und Buchhändler, für die die Buchpreisbindung das Selbstverständlichste der Welt ist - auch wenn sie in ihren Werken noch so sehr mehr Freiheiten und Liberalität verlangen. Eigentlich enttäuschend. Aber sehr österreichisch.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. April 2014
 
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