Donnerstag, 29. November 2018

Landwirtschaft 4.0 überall



Lange hat es gedauert. Aber spätestens seit der Austro Agrar in Tulln kann man sich auch in Österreich nicht mehr erwehren. Landwirtschaft 4.0 überall. Mit einem Mal. Sogar die Landwirtschaftsministerin hat eine Plattform „Digitalisierung der Landwirtschaft“ vorgestellt. Endlich, möchte man hinzufügen. Höchste Zeit war es für so etwas jedenfalls, um dem allerorten grassierenden Wildwuchs rund um dieses Thema Struktur zu geben.

Denn so sehr man jetzt aufs Tempo zu drücken scheint, so sehr hat man die Jahre vorher die Entwicklung völlig verschlafen. Die Digitalisierung der Landwirtschaft war weder in der Politik, noch in der Beratung ein Thema. Man ließ die Bauern, die sich dafür interessierten, meist alleine mit der neuen Technik und den Anbietern und ihren oft kaum erfüllbaren Versprechungen das Feld. Dementsprechend enttäuscht wurden oft die Erwartungen, als teuer wie nutzlos erwiesen sich oft die Investitionen. Und mit dem, was Landwirtschaft 4.0 wirklich kann, hatte das meist wenig zu tun.

„Hilf dir selbst sonst hilft dir keiner“ war und ist hierzulande die Devise. Und das war und ist nach wie vor nicht einfach. Einschulungen gibt es kaum, sondern meist nur schnelle Erklärungen. Die Handbücher sind von Technikern geschrieben, deren Hauptanliegen es zu sein scheint, bis ins letzte Detail zu erklären, was die neuen Dinger theoretisch alles können. Bedienerfreundlichkeit ist dort genauso ein Fremdwort wie Anwenderorientierung.

Um mindestens ein Jahrzehnt hinkt man bei der Bedienerführung hinter dem her, was man heute von jedem Smartphone gewohnt ist. Um Einstellungen zu ändern, muss man sich vielfach auch heute wie weiland auf den ersten Computern noch durch Menus, Untermenüs und Unteruntermenüs arbeiten und dann heilfroh sein, da wieder herauszukommen, ohne dass die ganze Maschine stillsteht. 

Einfach jedenfalls ist anders. Und bedienerfreundlich auch. Ganz abgesehen davon, dass sich bei vielen der Anwendungen, die derzeit propagiert werden und als der letzte Schrei gelten, der Nutzen kaum erschließt. Das wohl auch, weil viele Händler damit überfordert sind und kaum über das entsprechende Fachpersonal verfügen. Und wohl auch, weil man noch weit entfernt ist, mit all den Daten, die die neuen System produzieren, wirklich etwas für den Betrieb anzufangen.

So nimmt nicht Wunder, dass die Einsparungen, die man gerne verspricht, um die Brieftaschen der Bauern zu öffnen, nur ganz selten darstellbar sind. Zu teuer sind die Gerätschaften und zu gering meist die Möglichkeiten, dadurch wirklich viel zu sparen, zumal bei Betriebsgrößen, wie sie in Österreich üblich sind. Da muss man noch Wege finden.

Zu wünschen ist, dass das Thema Landwirtschaft 4.0 und alles was dazu gehört auch bei uns bald Strukturen bekommt. Und noch mehr ist zu wünschen, dass die Voraussetzungen dafür nicht vergessen werden. Der Ausbau der Glasfasernetze ist gerade in ländlichen Gebieten eine Katastrophe. Und eine gute Verbindung mit einem Mobilnetz ist auch in vielen Landesteilen immer noch eher Glückssache. Gerade auf vielen Bauernhöfen muss man immer noch viel zu oft ins Freie gehen, um telefonieren zu können. 

Und das im Jahr 2018. 

Gmeiner meint - Blick ins Land 12/18, 29. November 2018

Die falschen Profiteure



Man sollte es wahrscheinlich nicht so sagen, weil es in den Augen mancher wohl nicht der Political Correctness entspricht. Aber, dass die Eisenbahner am Montag dieser Woche gestreikt haben und dass zuvor die Metaller mit der Ankündigung eines "heißen Herbstes" spielten und lange um Lohnerhöhungen verhandelten, tat nachgerade gut angesichts der ewigen "Kopftuchthemen", die die heimische Politik beherrschen, seit Türkis-Blau am Ruder ist. Endlich wieder einmal "richtige" politische Themen, die in die öffentliche Diskussion kommen. Und nicht bloß Themen, die von anderen Problemen ablenken sollen. Oder wie der Chefredakteur einer großen Bundesländerzeitung treffend schrieb "Wenn der Hut brennt, kommt das Kopftuchverbot" und einen Leitartikel lang der Regierung attestierte, eine "Meisterin im Ablenken" zu sein.

Die Lohnverhandlungen bieten solchen mittlerweile nachgerade ungewohnten Stoff. Ob das Lohnniveau in Österreich zu hoch oder zu niedrig ist, darüber kann man vortrefflich streiten. Es gibt jede Mengen Statistiken und Meinungen, die für das eine sprechen, und jede Menge, die das andere stützen. Mit den heuer so kämpferisch geführten Lohnverhandlungen rückten aber auch wieder einmal die Lohnnebenkosten ins Scheinwerferlicht. Und über die kann man nicht streiten. Die nämlich sind kaum sonst wo so hoch wie bei uns. Und sie machen die Metaller trotz dem, was sie als ihren Verhandlungserfolg feiern, im Vergleich zu anderen Einrichtungen, die indirekt Nutznießer der Lohnverhandlungen sind, zu Verlierern.

"Der Durchschnittsmetaller, dem brutto 3,46 Prozent mehr zugestanden werden, bekommt nur 2,8 Prozent mehr aufs Konto", rechnete "Die Presse" dem kleinen Metallarbeiter vor, der versuchte, sich über den Verhandlungserfolg seiner Gewerkschafter zu freuen. "Der Arbeitgeber muss für diesen Durchschnittsmetaller um 1.641 Euro im Jahr mehr ausgeben, dessen Nettoeinkommen steigt aber nur um 716 Euro", weil die kalte Progression den Finanzminister auch noch über Gebühr mitschneiden lässt. Und als ob das noch nicht genug wäre, setzte man gleich noch nach: "Die Steuern und Abgaben, die er an Finanz und Sozialversicherung zu leisten hat, steigen aber um üppige 4,2 Prozent." Als ob man davon Abstand nehmen wollte, den Ärger nicht noch weiter zu steigern, verzichtete man gleichsam gnädigerweise darauf, darauf hinzuweisen, dass auch die Arbeiterkammerbeiträge wohl nicht niedriger werden würden.

Dem kleinen Metallarbeiter, respektive der Metallarbeiterin, muss es angesichts dieser Zahlen eigentlich die Tränen in die Augen treiben. Tränen der Wut und des Ärgers, sind doch die, die vorgeben sie zu vertreten, zu einem Gutteil dafür verantwortlich, dass es so ist, wie es nun ist. Dass sie weit mehr haben könnten, als sie tatsächlich haben. 1.641 Euro statt der 716, die es nun wirklich sind. Dabei haben ihre Partei und ihre Interessenvertreter jahrzehntelang in diesem Land das Ruder in der Hand gehabt und geschaltet und gewaltet, wie sie wollten. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass just sie maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass Österreich ein veritables Problem mit den hohen Lohnnebenkosten hat und bei den Lohnempfängern im Vergleich zu anderen Ländern netto ziemlich wenig vom brutto ankommt.

In die Pflicht ist aber auch die aktuelle Regierung zu nehmen. Nicht nur weil die Türkisen auch für die VP-Regierungsjahre Verantwortung tragen und damit auch dafür, dass wir ein Lohnnebenkosten-Problem haben, mitverantwortlich sind. In die Pflicht zu nehmen sind sie auch, weil sie bisher nichts unternommen haben, um dieses Problem zu lösen.

So wie die Regierung allem Anschein nach nicht nur bei den Lohnnebenkosten nicht hingreifen will, zögert sie auch, viele andere Probleme anzugreifen, an denen dieses Land seit Jahren und Jahrzehnten leidet. Man denke nur an die Generationenfrage und die Probleme mit der Zukunft der Pensionen und an manche andere.

Dort, wo Politik im klassischen Sinn gefragt ist, wo es Problemlösungen braucht, dort hat man auch nach einem Jahr im Amt nicht wirklich viel zu bieten.

Nicht zuletzt deshalb versucht man das Volk wohl lieber mit anderen Themen bei Laune zu halten. Wie schrieb der bereits zitierte Chefredakteur? "Dann wird wieder ein Zuckerl für die Allgemeinheit ausgepackt. Und schwuppdiwupp ist die leidige Geschichte aus dem Blickfeld."


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. November 2018

Donnerstag, 22. November 2018

"Digi-Toll" ist anders



In der einen Ortschaft der Gemeinde hat das Warten ein Ende und man ist begeistert und schwärmt von den neuen Internet-Geschwindigkeiten, die der Anschluss ans Glasfasernetz ermöglicht. Ein Dorf weiter steht gleich neben den Gartentüren bei jedem Haus ein kleines Schild, auf dem der Energieversorger auf den Glasfaseranschluss verweist. Aber das interessiert dort keinen, weil niemand das schnelle Internet braucht. Und wieder ein Dorf weiter, aber immer noch in derselben Gemeinde, können vor allem Freiberufler, aber auch Private das Gerede von "Power" und "Speed" und wie "Digi-toll" das sei, nicht mehr hören, mit dem großspurig Werbung gemacht wird und bekommen bei dem Thema einen dicken Hals. Denn dort bricht die Netzverbindung alle paar Stunden zusammen, tröpfeln die Daten wie vor 20 Jahren durch die Leitung und wartet man dennoch seit Jahren auf den Anschluss an die digitale Zukunft. Und dabei wird es wohl bleiben. Denn trotz politischer Interventionen ist es immer noch nicht gelungen, zumindest in den Ausbauplan aufgenommen zu werden.

Der Ausbau des Glasfasernetzes ist eine desaströse Geschichte in diesem Land. Trotz gegenteiliger Beteuerungen drängt sich der Eindruck auf, dass oft die Linke nicht weiß, was die Rechte tut, dass sich Anbieter das Land in alter Manier aufgeteilt haben, um sich nicht zu konkurrieren, und dass man meist am Bedarf vorbeigräbt, wenn man die Leitungen verlegt. Dass dann das Kabel oft dort liegt, wo es niemand braucht, dass aber dort nichts geht, wo man seit Jahren darauf wartet und darum bettelt, ist nur logische Folge davon.

Kein Wunder, dass die Klagen immer lauter werden. Österreich zählt in der EU beim Ausbau des Glasfasernetzes zu den Schlusslichtern. Gerade einmal 71.300 Anschlüsse gibt es im ganzen Land. Mit 1,1 Prozent liegt Österreich bei den Haushalten mit Glasfaseranschluss EU-weit abgeschlagen an letzter Stelle. Noch ein gutes Stück hinter der Slowakei, Irland und Kroatien, die es auch auf keine zwei Prozent schaffen. Und Welten entfernt von Ländern wie Lettland, Schweden oder Litauen, deren Anschlussquoten weit jenseits der 40 Prozent-Marke liegen.

Dabei brennt das Thema vielen Österreichern und vor allem vielen Unternehmen längst unter den Nägeln. Der Ausbau der Telekommunikation wird insbesondere in der heimischen Wirtschaft bereits höher bewertet als der Ausbau von Schiene und Straße. Erst kürzlich zeigte der Infrastrukturreport auf, dass zwei von drei Unternehmern gerade den Ausbau der Telekommunikation für besonders ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes halten.

Gehört wird das nicht. Auch wenn schon die rot-schwarze und nun die türkis-blaue Regierung in ihr Programm geschrieben haben, dass Österreich Vorreiter in Sachen Digitalisierung werden müsse, gilt nach wie vor, was einmal in einer Analyse so zusammenfasst wurde. "Die Mobilfunknetze werden wegen Überlastung immer langsamer, beim Glasfaserausbau sind wir in Europa blamables Schlusslicht und beim 5 G-Netz klopfen wir flotte Sprüche, während rund um in der Welt schon gearbeitet wird."

Der Ausbau der Kommunikationsnetze ist nicht das einzige Thema, das für Verärgerung sorgt. Auch in anderen Infrastrukturbereichen muss Österreich zuschauen, nicht den internationalen Anschluss zu verlieren. Die Verkehrsnetze sind überlastet, in den ländlichen Regionen ist man über Konzepte und schöne Worte zum Thema Infrastruktur oft nie hinausgekommen und im Umgang mit den Bedürfnissen der Wirtschaft wirkt man immer noch sehr viel öfter bösartig und hilflos, als bereit, zu gangbaren Wegen zu finden. Im Großen wie im Kleinen. Da müssen Unternehmen um Straßenanschlüsse kämpfen und werden ihnen bei Bauvorhaben mit immer neuen Auflagen immer neue Prügel hingeworfen, und wenn es eine plötzlich erkannte angebliche Hochwassergefahr ist - bis sie ernsthaft daran denken, gleich ganz abzusiedeln, weil sie nicht einsehen, schlechter behandelt zu werden als das Unternehmen auf der anderen Seite der Straße. 


Der Frust, der sich breit macht, ist nicht unverständlich. Es fehlt in den verantwortlichen Stellen am nötigen Bewusstsein und oft auch am Wollen. Dabei gäbe es viele Stellen, die sich mit der Weiterentwicklung der Infrastruktur beschäftigen sollten. Sogar ein eigenes Ministerium. Aber dort scheint man mit der Ausweitung der 140 km/h-Testzonen auf den heimischen Autobahnen ausgelastet zu sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. November 2018

Donnerstag, 15. November 2018

Weinerliche Verhältnisse



Geht es nach den Sozialen Medien, vor allem nach Twitter und dem, was dort geschrieben und diskutiert wird, steht das Land am Abgrund und sind die Leute verzweifelt. Weil, was ist, geht ja gar nicht. Es ist jedem unbenommen, das zu meinen. Vieles ist auch zu verstehen und vieles kann in der Tat Sorge machen. Aber die Realität scheint eine andere zu sein.

Denn stimmen die Umfragen, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden, ist die Bevölkerung nicht nur mit der Regierung zufrieden, sondern haben die Österreicherinnen und Österreicher an ihrem Leben kaum je so großen Gefallen gefunden -kurzum war man zwischen Bodensee und Neusiedler See kaum je so sehr mit sich und der Welt im Reinen und freut sich des Lebens. Trübsal bläst man jedenfalls nicht. Jedenfalls nicht die Mehrheit. Laut der Europäischen Wertestudie der Universität Wien sind 56 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher derzeit zufrieden damit, wie das politische System funktioniert, deutlich mehr als vor zehn Jahren. Der Regierung vertrauen heute 42 Prozent, 2008, als die große Koalition am Ruder war, waren es nur 17 Prozent.

Und nicht nur das. 71 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind mit ihrem Leben insgesamt zufrieden. Deutlich mehr Menschen als noch vor Jahresfrist schauen optimistisch in die Zukunft und jeder zweite sieht seine eigene Lebenssituation für die nächsten zehn bis 15 Jahre positiv. Selbst wer ideologisch eher in der Mitte oder gar links steht, scheint derzeit nicht ganz unglücklich zu sein, haben die Meinungsforscher herausgefunden. Diese Menschen vertrauen weniger der Regierung, dafür aber umso mehr Institutionen wie den Gewerkschaften oder dem Parlament, die sie als Gegengewicht sehen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Studien. "Die Mehrheit der Österreicher ist mit der Arbeit der Regierung zufrieden und glaubt, dass das Land auf dem richtigen Weg ist", heißt es auch dort. Heute denkt gut die Hälfte der österreichischen Bevölkerung so, im Sommer des Vorjahres waren das gerade einmal 20 Prozent. Was bei den Leuten zählt, ist, dass die Blockade vorbei ist, erhoben Meinungsforscher.

Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass die Parteien in der Wählergunst stabil liegen. Die ÖVP unter Kurz liegt heute sogar etwas besser als bei den Wahlen im Herbst vorigen Jahres. Und auch die FPÖ kann sich, mit kleinen Einbußen, halten, während die Oppositionsparteien bisher keinerlei Zugewinne für sich verbuchen konnten. Auch das spricht dafür, dass die veröffentlichte Meinung wenig mit der Meinung der Bevölkerung zu tun hat.

Und nicht nur das. Es zeigt auch, dass die Opposition nach wie vor nicht den Zugang zu den Österreicherinnen und Österreichern und dem, was die brauchen und was sich sie wünschen, gefunden haben. Untergangsszenarien jedenfalls schauen anders aus. Und politische Wendeszenarien auch. Allem Twitter-Gezwitscher und allen Protesten all derer, die das Land den Bach hintergehen sehen zum Trotz.

Sollten sie recht haben mit all dem, was sie befürchten und vor dem sie warnen, dann müssen sie mehr zeigen, als sie bisher gezeigt haben, wenn sie es wirklich verhindern wollen. Da müssen sie Bewusstsein schaffen und Alternativen anbieten. Und die Menschen erreichen.

Das freilich scheinen sie heute genauso wenig zu können wie vor den letzten Wahlen.

Es heißt ja nicht, dass gut und richtig ist, was die Umfragen spiegeln und dass es gilt nicht aufzupassen, vor allem auf die Schwachen. Aber es wäre ein erster wichtiger Schritt, diese Umfrage-Ergebnisse als Realität zu begreifen und ernst zu nehmen und damit aufzuhören, sich in nichts denn in Aufregung zu ergehen und sich selbst in den Sack zu lügen. Es ist auch so schwierig genug.

"Demokratisches Bewusstsein bedeutet, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch einmal diejenigen, deren Meinung ich nicht teile, mehrheitsfähig sind", sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Er sieht bei vielen ein "weinerliches Verhältnis zur Demokratie".

Aber davon will man nichts wissen. Da

schwelgt man lieber in selbstverliebter Aufgeregtheit. Dabei empfiehlt inzwischen sogar schon der Bundespräsident sich einzukriegen.

Das würde auch der notwendigen Wachsamkeit gut tun -und wohl auch der Veränderung, die man sich wünscht.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. November 2018

Donnerstag, 8. November 2018

Ist die Mücke der Elefant - oder ist es umgekehrt?



Im Land tobt ein großer Streit, weil sich die Regierung Kurz/Strache aus dem Migrationspakt der UNO verabschiedet. Die Wogen gehen hoch. Viele fürchten, dass sich Österreich international isoliert und in die Welt der Orbans und Trumps abdriftet. Kurz und Strache verteidigen ihr Vorgehen mit dem Verweis darauf, dass man sich klar zum Multilateralismus bekenne. Aber was soll man wirklich davon halten? Wem soll man glauben? Oder haben doch jene recht, die in dem ganzen Getümmel nichts denn Symbolpolitik sehen, bei dem es darum geht, innenpolitisch zu punkten.

Bei der Beurteilung der Debatte um den 12-Stunden-Tag ist das kaum anders und auch nicht, wenn es um die Zusammenlegungen der Sozialversicherungen geht, um die Mindestsicherung, die BVT-Geschichte, um den Umgang mit Migranten, um Umweltthemen, um die Landwirtschaft oder um die Bildungspolitik. Und nicht anders ist es auch, wenn man versucht die Lage in den USA einzuschätzen, oder Putins Politik oder gar, was vom neuen brasilianischen Präsidenten zu halten ist. Ist die Mücke der Elefant, als der sie daherkommt, oder ist es umgekehrt? Man tut sich schwer, zu einer Meinung zu finden und bleibt verunsichert. Es ist heute so schwer, sich ein Bild zu machen. So leicht an Informationen zu kommen wie heute, war es noch nie, aber es war noch nie so schwierig, sich zu informieren.

Nichts ist mehr so wie es war. Es gibt kaum mehr Informationen ohne Spin, ohne den gewissen Dreh, damit etwas erreichen zu wollen und nicht mit dem Ziel, bloß Information zu bieten. Information wird heute schier überall als das Werfen von Nebelgranaten begriffen, auf das der Betrachter möglichst schnell die Orientierung verliert. Und das alles nicht nur in Fernsehen und Zeitungen, sondern auch auf Facebook, Twitter und Co. Und rund um die Uhr.

Es fehlt an Instanzen, die Orientierung bieten. Und es fehlt an Vielfalt und Expertise. Es scheint, als ginge es nur mehr darum, Interessen zu transportieren und durchzudrücken. Um Ausgewogenheit mag man sich heute gar nicht mehr bemühen. Verschwunden sind die Zwischentöne aus den öffentlichen Debatten, wenn man sie denn überhaupt noch so nennen mag. Es gibt nur mehr, so scheint es meist, schwarz und weiß und nichts dazwischen. Kaum je geht man noch auf Argumente ein, schon gar nicht so, dass irgendeine Form der Wertschätzung erkennbar wäre, viel öfter zählt nichts denn der eigene Standpunkt.

Politiker und Unternehmen beschäftigen heute Heerscharen von Kommunikationsarbeitern, die nichts anderes tun, als stromlinienförmige Wordings und Meinungen zu lancieren und, wenn es sein muss, auch kommunikationspolitische Minen zu legen, mit dem Ziel die Gegner möglichst früh auszuschalten und unpassende Einschätzungen und Stimmungen erst gar nicht erst entstehen zu lassen.

Heraus kommt eine glattgebürstete Informationspolitik, wie sie früher nur von PR-Agenturen üblich war. Bots, also Maschinen, die Meldungen in den sozialen Medien steuern, gehören heute zum Handwerkszeug, "Fake News" ist zu einem Wort geworden, dass man überall versteht. Immer mehr Staaten versuchen mit den neuen Methoden Einfluss auf Wahlen und die Politik in anderen Ländern zu nehmen.

Gerade die klassischen Medien stehen diesem Treiben oft hilflos gegenüber. Dabei wären sie gerade jetzt wichtig wie nie. Um die Meldungen und Ereignisse einzuordnen, um Orientierung zu geben und um eine Einschätzung zu ermöglichen. Doch dieser Aufgabe entsprechen nur mehr wenige. Viele erliegen der Versuchung, selbst Politik machen zu wollen, vielen gilt die fette Schlagzeile mehr als die Fakten, viele lassen sich instrumentalisieren.

Distanz ist heute eine Kategorie, die im Journalismus kaum mehr gepflegt wird. Und nur mehr selten gilt das Zitat, das Hajo Friedrichs, dem legendären Moderator der ARD-Tagesthemen, zugeschrieben wird -"Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache -auch nicht mit einer guten Sache, dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört."

So ein Verständnis ist heute kaum mehr zu finden. Im Verein mit der Kommunikationspolitik, wie sie in der Politik en vogue geworden ist, hat das längst ein Trümmerfeld hinterlassen. Ein Trümmerfeld, auf dem man sich kaum mehr Orientierung verschaffen kann. Und auf dem man beeinflussbar geworden ist. Spielzeug von Leuten und Mächten, und benutzt für deren Interessen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. November 2018
 
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