Geht es nach den Sozialen Medien, vor allem nach Twitter und dem, was dort geschrieben und diskutiert wird, steht das Land am Abgrund und sind die Leute verzweifelt. Weil, was ist, geht ja gar nicht. Es ist jedem unbenommen, das zu meinen. Vieles ist auch zu verstehen und vieles kann in der Tat Sorge machen. Aber die Realität scheint eine andere zu sein.
Denn stimmen die Umfragen, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden, ist die Bevölkerung nicht nur mit der Regierung zufrieden, sondern haben die Österreicherinnen und Österreicher an ihrem Leben kaum je so großen Gefallen gefunden -kurzum war man zwischen Bodensee und Neusiedler See kaum je so sehr mit sich und der Welt im Reinen und freut sich des Lebens. Trübsal bläst man jedenfalls nicht. Jedenfalls nicht die Mehrheit. Laut der Europäischen Wertestudie der Universität Wien sind 56 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher derzeit zufrieden damit, wie das politische System funktioniert, deutlich mehr als vor zehn Jahren. Der Regierung vertrauen heute 42 Prozent, 2008, als die große Koalition am Ruder war, waren es nur 17 Prozent.
Und nicht nur das. 71 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind mit ihrem Leben insgesamt zufrieden. Deutlich mehr Menschen als noch vor Jahresfrist schauen optimistisch in die Zukunft und jeder zweite sieht seine eigene Lebenssituation für die nächsten zehn bis 15 Jahre positiv. Selbst wer ideologisch eher in der Mitte oder gar links steht, scheint derzeit nicht ganz unglücklich zu sein, haben die Meinungsforscher herausgefunden. Diese Menschen vertrauen weniger der Regierung, dafür aber umso mehr Institutionen wie den Gewerkschaften oder dem Parlament, die sie als Gegengewicht sehen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Studien. "Die Mehrheit der Österreicher ist mit der Arbeit der Regierung zufrieden und glaubt, dass das Land auf dem richtigen Weg ist", heißt es auch dort. Heute denkt gut die Hälfte der österreichischen Bevölkerung so, im Sommer des Vorjahres waren das gerade einmal 20 Prozent. Was bei den Leuten zählt, ist, dass die Blockade vorbei ist, erhoben Meinungsforscher.
Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass die Parteien in der Wählergunst stabil liegen. Die ÖVP unter Kurz liegt heute sogar etwas besser als bei den Wahlen im Herbst vorigen Jahres. Und auch die FPÖ kann sich, mit kleinen Einbußen, halten, während die Oppositionsparteien bisher keinerlei Zugewinne für sich verbuchen konnten. Auch das spricht dafür, dass die veröffentlichte Meinung wenig mit der Meinung der Bevölkerung zu tun hat.
Und nicht nur das. Es zeigt auch, dass die Opposition nach wie vor nicht den Zugang zu den Österreicherinnen und Österreichern und dem, was die brauchen und was sich sie wünschen, gefunden haben. Untergangsszenarien jedenfalls schauen anders aus. Und politische Wendeszenarien auch. Allem Twitter-Gezwitscher und allen Protesten all derer, die das Land den Bach hintergehen sehen zum Trotz.
Sollten sie recht haben mit all dem, was sie befürchten und vor dem sie warnen, dann müssen sie mehr zeigen, als sie bisher gezeigt haben, wenn sie es wirklich verhindern wollen. Da müssen sie Bewusstsein schaffen und Alternativen anbieten. Und die Menschen erreichen.
Das freilich scheinen sie heute genauso wenig zu können wie vor den letzten Wahlen.
Es heißt ja nicht, dass gut und richtig ist, was die Umfragen spiegeln und dass es gilt nicht aufzupassen, vor allem auf die Schwachen. Aber es wäre ein erster wichtiger Schritt, diese Umfrage-Ergebnisse als Realität zu begreifen und ernst zu nehmen und damit aufzuhören, sich in nichts denn in Aufregung zu ergehen und sich selbst in den Sack zu lügen. Es ist auch so schwierig genug.
"Demokratisches Bewusstsein bedeutet, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch einmal diejenigen, deren Meinung ich nicht teile, mehrheitsfähig sind", sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Er sieht bei vielen ein "weinerliches Verhältnis zur Demokratie".
Aber davon will man nichts wissen. Da
schwelgt man lieber in selbstverliebter Aufgeregtheit. Dabei empfiehlt inzwischen sogar schon der Bundespräsident sich einzukriegen.
Das würde auch der notwendigen Wachsamkeit gut tun -und wohl auch der Veränderung, die man sich wünscht.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. November 2018
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