Donnerstag, 18. April 2019

Kühler Kopf im heißen Klima



Österreichs Landwirte, zumal die nördlich der Alpen, machen sich bereits Sorgen, dass auch das heurige Jahr so wie das vorige wieder ein Dürrejahr wird. Die Felder und Wiesen sind schon wieder trocken. Wenn es denn doch regnen sollte, dann in Mengen, die nur in Zehntellitern zu messen sind. Und die Prognosen lassen erwarten, dass sich das bis weit über Ostern hinaus nicht ändern wird.

Die Medien wärmen sich für ein neues Panik-Stakkato bereits auf. "Klimaforscher erwarten kein Ende der extremen Wetterphänomäne", schließt man allerorten aus den jüngsten Daten des europäischen Klimaberichtes, demzufolge der Sommer 2018 der heißeste seit Messbeginn und die vergangenen fünf Jahre die heißesten in Europa waren. "Wie über die gesamten vergangenen vier Jahrzehnte setzte sich der klare Trend in Richtung Erwärmung auch im vergangenen Jahr fort", schrieben die Zeitungen. Und: "Am ausgeprägtesten fiel die Frühlings-und Sommerhitze in Zentraleuropa mit rund 2,5 Grad Celsius über dem Temperatur-Schnitt aus." Inzwischen geht man davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, solche Jahre künftig relativ häufig zu erleben, durchaus groß ist. Manche reden gar davon, dass die Alpen in 80 Jahren fast eisfrei sein könnten.

Die Aufregung über diese Entwicklung ist allenthalben groß. Noch größer ist die Zahl der Vorschläge und Forderungen, wie man dieser Entwicklung beikommen könnte. Das Spektrum reicht von radikalen Maßnahmen wie Beschränkung des Individualverkehrs, Ausbau der E-Mobilität, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote bis hin zu technischen Lösungen, die an Science Fiction gemahnen. In regelmäßigen Abständen trifft sich die internationale Politik und verabschiedete mit großer Geste immer neue CO2-Ziele und Konzepte gegen den Klimawandel, neuerdings gehen gar Schüler freitags auf die Straßen, um zu protestieren.

Und trotz allem, trotz der Aufgeregtheit und trotz der vielen Versprechen, der vielen Konzepte und der vielen Ziele, die einzuhalten man immer wieder gelobt, ist der Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel sehr überschaubar geblieben. Manche sehen genau in diesem Alarmismus rund um den Klimawandel den Grund dafür. Längst sind selbst die extremsten dramatischsten Warnungen normal geworden und sind dabei sich totzulaufen. "Trotz allem haben uns die Jahrzehnte der Panikmache kaum weitergebracht", schrieb dieser Tage der dänische Professor Björn Lomborg unter dem Titel "Globale Erwärmung -eine überhitzte Debatte" in der Tageszeitung "Der Standard". "In der westlichen Welt haben Jahrzehnte der

Übertreibung in Bezug auf den Klimawandel verängstigte Kinder, fiebrige Überschriften und großartige, nicht eingelöste politische Versprechen hervorgebracht", meint er.

Lomborg ist kein Leugner des Klimawandels, aber er nimmt sich heraus, die Ansicht zu vertreten, dass die globale Erwärmung ein Problem, aber keine Katastrophe ist und fordert, was in der zunehmend überhitzten Diskussion fehlt -einen kühlen Kopf zu bewahren.

Was der dänische Professor kritisiert, ist eine Entwicklung, an der nicht nur der Kampf gegen den Klimawandel, sondern die gesamte Gesellschaft und damit auch die Politik leidet. Denn es ist wie überall. Die ständige Überspitzung, die ständige Skandalisierung und die immer noch schrillere Aufregung sind dabei, oft mehr zur Verhinderung von Problemlösungen beizutragen, als solche Lösungen zu beschleunigen. Sie bauen Widerstände auf, wo Zusammenarbeit nötig wäre, sie reißen Gräben auf, wo Brücken Sinn machen würden. Sie bremsen und verhindern oft mehr, als sie Lösungen beschleunigen. Und sie sind oft mehr von geschäftlichen und politischen Interessen bestimmt als von der Sorge um die Sache selbst.

Emotionen sind fraglos wichtig, aber ein kühler Kopf ist es oft noch mehr. Und der hat es in diesem aufgeheizten Umfeld immer schwerer, sich durchzusetzen. Das fehlt in unserer Zeit zusehends, in der immer weniger Unterschiede gemacht werden, in der die Nuancen verloren gegangen sind und die Schattierungen. In der viel zu oft nur aggressiv schwarz-weiß gezeichnet wird -weil man meint, sonst nicht gehört und ernst genommen zu werden. Das mag inzwischen wirklich notwendig sein, um Gehör zu finden -der Sache selbst ist es just deshalb aber nicht immer dienlich. Nicht nur beim Kampf gegen den Klimawandel.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. April 2019

Donnerstag, 11. April 2019

Grenzen lösen sich auf



Die österreichische Innenpolitik ist voller Merkwürdigkeiten. Türkis-blau ist fixiert auf die Abwehr von Flüchtenden und lässt sich nicht davon abbringen, obwohl die Zahl der Asylsuchenden inzwischen weit niedriger ist als in den Jahren vor dem Beginn der Syrienkrise und der großen Migrationsbewegung im Jahr 2015. Man will an Grenzkontrollen festhalten und, wohl aus politischem Kalkül, auch am Bedrohungsszenario und hat keine Hemmungen die Paranoia, die bei vielen im Land herrscht, weiter zu füttern. Die SPÖ-Chefin ruft in Interviews, wohl um dem Innenminister zu schaden, ein Sicherheitsproblem aus, das das Land habe, während in den Medien zu lesen ist, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher noch nie so sicher fühlten wie heute. Und die FPÖ geriert sich als die Arbeiterpartei, die die SPÖ noch immer zu sein vorgibt, obwohl sie das längst nicht mehr ist.

Diese Reihe lässt sich schier nach Belieben fortsetzen. Die politische Ordnung samt dem Koordinatensystem, das Orientierung ermöglichte, scheint durcheinander gekommen zu sein.

Positionen sind oft nicht mehr zuordenbar. Politisches Kalkül und Pragmatismus sind dabei, ideologische Grenzen aufzulösen. Wohl auch, weil die damit verbundenen Rezepte von seinerzeit nicht mehr für die Lösung der Probleme von heute geeignet scheinen.

Längst spekulieren selbst Kommentatoren wie Andreas Koller von den Salzburger Nachrichten oder Christoph Kotanko von den OÖN, die unverdächtig sind, zum Hyperventilieren zu neigen, dass "die alten politischen Grenzlinien nicht mehr gelten", wie es in einer Zeitung unlängst hieß. Die "holzschnittartige Annahme", dass SPÖ und Grüne links stehen und die ÖVP und die FPÖ rechts, sei in dieser Form nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Da und dort versteigt man sich sogar zu der Behauptung, dass türkis-blau, in Teilen zumindest, gar klassische sozialdemokratische Politik macht und hat dafür durchaus auch Argumente. Den Familienbonus nennt man dann, oder die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für Schlechtverdiener. Auch den Papamonat zählt man dazu. "Samt und sonders steuerfinanzierte Wohltaten, die einem roten Regierungsprogramm entstammen könnten", merkt man süffisant an.

Sogar in der Wirtschaftspolitik nimmt türkis-blau Positionen ein, die einst zentrales Gedankengut der Sozialdemokratie waren. Kurz und Strache wollen wieder den Einfluss des Staates in den staatsnahen Betrieben verstärken. Mit der Privatisierung, mit der ihre Vorgänger die Unternehmen der Verstaatlichten aus dem oft unseligen Einfluss des Staates befreiten, haben sie wenig Freude. Sie wollen wieder mehr mitreden und mehr Einfluss nehmen. Auf der anderen Seite nimmt sich die SPÖ inzwischen Themen an, die immer den Konservativen zugeschrieben wurden. Oder wie ist anders zu erklären, dass man sich mit einem Mal Sorge um die Mitglieder der evangelischen Kirche machte, die am Karfreitag nicht mehr die Vormittagsmesse besuchen können? Oder dass sich die Parteivorsitzende um die Geheimdienste des Landes und ihre internationale Isolierung als Folge des BVT-Skandals besorgt zeigt? Und es fügt sich in diese Linie, dass ausgerechnet die Sozialdemokraten bei der Sozialversicherungsreform als Hüter jahrzehntealter Strukturen auftraten. Und dazu passt, dass manche Teile der SPÖ, wie etwa Burgenlands Doskozil, aber auch andere Granden der Partei, in der Migrations-Frage Positionen einnehmen, die sich in nichts von jener der türkis-blauen Regierung unterscheiden, aber sehr wohl von dem, was lange Parteilinie war.

Noch ein Beispiel zeigt, dass die Kategorien links und rechts in der Politik nicht mehr viel gelten. Ein Kommentator formulierte das so: "Wenn 'linke' Politikerinnen öffentlich die Meinung vertreten, dass man es konservativen islamischen Familienvätern nicht verbieten dürfe, ihre Töchter mit Kopftüchern zu verhängen, kommen überhaupt sämtliche ideologische Gewissheiten ins Rutschen." Auch wenn es gewöhnungsbedürftig sein mag, damit zurechtzukommen -schlecht ist diese Entwicklung und die Diskussion darüber nicht immer. Diese Art von Pragmatismus steht diesem Land gut, das über Jahrzehnte von in ideologischen Positionen gefangenen Parteien regiert wurde -bis schlussendlich nichts mehr ging. Voraussetzung freilich ist, dass sie von ernsthaften und ehrlichen Motiven getragen ist und nicht nur vom Schielen auf Wählerstimmen. Zweifel daran müssen allerdings erst zerstreut werden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. April 2019

Donnerstag, 4. April 2019

Sind die anderen wirklich immer so ungerecht?



Zuletzt war es Bauernbundpräsident Georg Strasser, der nicht wirklich gut aussah, als er in einer TV-Diskussion antrat, um die bäuerliche Sicht in der Almdiskussion darzulegen. Ihm ging es, wie es Bauern und ihren Vertretern in solchen Fällen meist geht - bei einem Rendezvous mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit außerhalb des bäuerlichen Kosmos tut man sich schwer. 

Man fühlt sich missverstanden, verfolgt und vermisst die Wertschätzung. Oft durchaus zurecht. Die Stimmung, die gegen die Bauern gemacht wird, ist in der Tat oft unerträglich. Aber sind die anderen wirklich immer so ungerecht und machen die Bauern wirklich immer alles richtig? Oder könnte die Gesellschaft nicht auch den Bauern vorhalten, dass sie sich missverstanden fühlt und dass sie Verständnis vermisst?

Die Bauern macht das immer noch hilflos. Das mag an vielem liegen, ganz sicher aber wohl auch dran, dass man immer noch sehr schwammig ist in der Argumentation und in der Begrifflichkeit. 

Über Themen wie Pflanzenschutz, Düngung oder Tierwohl, die die Gesellschaft beschäftigen, versucht man sich etwa gerne drüberzuschwindeln. Oft wohl vor allem, um sich selbst zu beruhigen. Dazu passt, dass man bis heute Begriffe verwendet, bei denen man zumeist nur darauf spekuliert, dass sie gute Stimmung machen, von denen man aber nicht wirklich sagen kann, worin ihr Wert steht. Der „bäuerliche Familienbetrieb“ ist so einer. Was macht so einen Familienbetrieb wirklich aus? Warum soll der besser sein? Wie groß darf er sein? Was gehört sonst dazu? Man weiß es nicht.

Nicht anders verhält es sich mit dem Begriff „Regionalität“, der vor ein paar Jahren in die Schlacht geworfen wurde. Wo fängt diese Regionalität an, wo hört sie auf? Was soll daran besonders sein? Und wieso soll das gar das neue Bio sein? Um Antworten drückt man sich.

Gerne argumentiert man auch damit, dass Österreichs Agrarbetriebe im internationalen Vergleich klein sind. Also können sie nur gut sein, soll deswegen die nicht-agrarische Öffentlichkeit automatisch glauben. Gut, 90 Prozent nehmen an Umweltprogrammen teil. Aber was hat das mit der Größe zu tun oder damit, dass auch bei uns in vielen Sparten die gleichen Produktionsverfahren eingesetzt werden, wie anderswo auch?

Selbst beim ewigen Streit mit dem Handel um die Preise, die die Bauern bekommen, ist man in Diskussionen meist schlecht aufgestellt. Die Bauernpreise in Österreich liegen in Wahrheit oft über jenen in den Nachbarländern und eher selten darunter. 

Wenn da jemand etwas genauer nachfragt, gehen die Argumente rasch aus und man muss um wohlwollendes Verständnis bitten. Das schwächt die Landwirtschaft in der öffentlichen Diskussion. Und das nagt inzwischen am Selbstverständnis vieler Bauern. Statt ständig anderen die Schuld zu geben, sollte man sich in einer Art Selbstfindungsprozess damit einmal ehrlich und offen auseinandersetzen. Ohne Schuldzuweisungen und ohne die Vorwürfe kleinreden zu wollen. Sondern mit Fakten, die zu Argumenten werden und die Glaubwürdigkeit zurückbringen können.

Das kann sehr schmerzhaft sein. Es ist aber wohl auch sehr notwendig. Und wohl der einzige Weg, um im Rendezvous mit der Wirklichkeit zu bestehen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 4/April 2019

Die Bergbauern stehen unter Druck



Das Einkommen von Bergbauern hinkt trotz überdurchschnittlich hoher Förderung hinterher. Das zu ändern wird eine Herausforderung bei der EU-Agrarreform.

Hans Gmeiner

Salzburg. Rupert Quehenbergers Terminkalender ist in diesen Wochen dichter als sonst. Der Präsident der Salzburger Landwirtschaftskammer ist seit Februar Obmann der Arbeitsgemeinschaft für Bergbauernfragen und damit in Sachen EU-Agrarreform zentraler Anlaufpunkt für die Wünsche der Bauern aus dem Westen Österreichs.

„Meine Aufgabe ist es, Interessen zu bündeln und eine gemeinsame Position zusammenzubringen“, sagt der Bergbauer aus der Marcel-Hirscher-Heimatgemeinde Annaberg im Tennengau. Er weiß, dass die Bergbauern angesichts drohender Mittelkürzungen gut aufgestellt sein müssen. „Der Osten hat den Vorteil der Nähe zu Wien, was für den Westen nicht immer ganz so einfach ist“, formuliert er eine oft gehörte Kritik höflich. Viele Bauern in Westösterreich sind der Ansicht, dass sich die österreichische Agrarpolitik vor allem an den Wünschen in Niederösterreich orientiert. Er wolle aber keine Neiddebatte führen, sagt Quehenberger, „das bringt nichts, in Wahrheit muss es eine Perspektive für alle Bauern geben“. Für die Bergbauern sieht er die in der Qualität und in der Regionalität. „Wir haben eine sehr attraktive Landschaft, einen guten Zugang zu den Konsumenten und wir betreiben, bei allen Diskussionen, die es gibt, eine sehr sympathische Form der Landwirtschaft.“ Dazu kämen der Tourismus und die Möglichkeiten, die sich damit auch für die Landwirtschaft böten.

In Sachen EU-Agrarreform ist für Quehenberger wie für seine Kollegen „ein ordentlicher Finanzrahmen“ das Um und Auf. „Selbstverständlich fordere ich, dass die Bergbauern kräftig berücksichtigt werden, damit die Ertragsnachteile ausgeglichen werden, sonst wäre ich falsch in Wien.“ Er hat keine Scheu, eine interne Umschichtung der Mittel zu fordern. „Es gibt so viel Geld, das nicht abgeholt wurde“, sagt er, „warum kann man die Mittel nicht in Bereiche umlenken, in denen man sie für die Regionen braucht?“

Damit nicht genug. Die Agrarreform dürfe kein Programm der Verbote werden. „Wichtig ist für mich, dass die Bauern selbstbestimmt und eigenverantwortlich entscheiden können, wie und was sie produzieren.“ Er warnt davor, Auflagen und Ansprüche noch weiter nach oben zu schrauben. Gemeint ist nicht nur die Politik, sondern auch der Handel. Mit immer neuen Auflagen und überspitzten Vorschriften, wie etwa in der Tierhaltung, treffe man „genau die kleinbäuerlichen Betriebe, die laut Werbung angeblich so geliebt werden“.

Als möglichen Ansatzpunkt für die Gestaltung der künftigen Agrarpolitik bringt Quehenberger die Alpenkonvention ins Spiel, in der die Länder des Alpenbogens in einem internationalen Vertrag schon vor 30 Jahren auch ihre Vorstellungen zur Zukunft und zum Schutz der bäuerlichen Betriebe formuliert haben. Bis Ostern will er noch die Vorstellungen aus den Bundesländern sammeln. Daraus sollen dann konkrete Vorschläge werden. „Das passt in den Zeitrahmen für die Agrarreform“, sagt er. „Und da sollte man ja das Pulver nicht zu bald verschießen“, weiß er um die Begehrlichkeiten anderer Bauerngruppen und um die taktischen Spiele bei der Abstimmung der Position der österreichischen Landwirtschaft.


Bergbauern gibt es in Österreich nicht nur in den Alpen

Die 58.000 Bergbauern machen etwas mehr als die Hälfte der rund 110.000 Landwirtschaftsbetriebe aus, die Ausgleichszahlungen erhalten. Zu den Bergbauern zählen nicht nur jene in den Alpen, sondern auch viele im Mühl- und Waldviertel und anderen Gebieten, wo die Bewirtschaftung schwierig ist. Die Betriebsgrößen liegen unter dem Durchschnitt, sie müssen mit fordernden Produktionsbedingungen, höheren Maschinen- und Baukosten und geringeren Erträgen zurechtkommen. Bergbauern haben wie alle Bauern bei ihren wichtigsten Produkten Milch und Rindfleisch mit schlechten Preisen zu kämpfen. Wegen eines Bewertungssystems, das die Erschwernisse berücksichtigt, sind die Bergbauern in vier Gruppen erfasst. Daran orientiert sich die Höhe der Ausgleichszahlungen. Im Durchschnitt sind das laut Grünem Bericht 710 Euro pro Hektar, um gut 150 Euro mehr als der Durchschnitt aller Bauern. Dennoch sind die Einkommen der Bergbauern in der Regel um knapp 30 Prozent geringer als die von Nichtbergbauern.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 2. April 2019 

"Wir sind Vergangenheit"



Wir machen uns in diesen Wochen lustig darüber, wir ärgern uns, wir schütteln den Kopf darüber und wir wundern uns nur mehr. Und man kann das Wort schon gar nicht mehr hören. Bei allem Ärger, bei aller Häme und bei aller Verwunderung sollte man nicht außer Acht lassen, dass der Brexit für Europa, für uns in Österreich und wohl auch für die Weltwirtschaft das bedeutendste wirtschaftliche und politische Ereignis der vergangenen Jahrzehnte ist.

Österreichs EU-Abgeordneter und VP-Spitzenkandidat Othmar Karas leitete dieser Tage einen Tweet seines britischen Kollegen Richard Ashworth weiter mit der Anmerkung: "Spricht mir aus dem Herzen." Der Brexit sei eine Warnung an die Völker Europa, hieß es da. "Keine Generation hatte je so lange Frieden und so hohen Wohlstand wie ihr." Und: "Denkt niemals, das ist selbstverständlich! Schätzt das, kämpft dafür und verteidigt das -jeden Tag!", schrieb er. Der Appell kommt nicht zur Unzeit. Europa wankt und mit Sorge muss man beobachten, wie sich die Dinge entwickeln, als sei der alte Kontinent dem Todestrieb verfallen. Viel ist zusammengekommen in den vergangenen Jahren und die Europäische Union war schnell überfordert damit. Da war die Weltwirtschaftskrise vor zehn Jahren und in der Folge die Probleme mit dem Euro und allen Rettungsaktionen. Dann der Siegeszug der Rechtspopulisten, die inzwischen längst im Mainstream angekommen sind und die Politik maßgeblich mitgestalten und die Inhalte vorgeben. Und da war die Flüchtlingskrise, die an den Grundfesten der Europäischen Gemeinschaft rüttelte und begann sie zu zerreiben.

Heute muss man um die Gemeinschaft fürchten. Und man muss fürchten, dass weitblickende Politiker wie Ashworth mit ihren Einschätzungen und ihren Warnungen recht bekommen könnten. Leute wie Orban, Salvini oder Kaczyñsky bestimmen heute das Denken und Kurz und Kollegen übernehmen es viel zu oft. Selbst liberale und gar linke Kräfte nehmen heute Positionen ein, die vor wenigen Jahren noch als verpönt galten. Man hat sich von Themen fesseln lassen, von denen man nicht mehr wegzukommen scheint und hat nicht mehr Geist und Kraft, sich anderen Aufgaben zu widmen.

Auf der internationalen Bühne ist Europa dabei, den Anschluss zu verlieren. Versuche, das Steuer herumzureißen, versanden um Nu. Als der französische Präsident Emmanuel Macron vor Monatsfrist in einem offenen Brief "an die Bürgerinnen und Bürger Europas" für einen neuen Aufbruch appellierte, holte er sich überall eine Abfuhr. Deutschlands Angela Merkel und ihre präsumtive Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer ließen ihn auflaufen. Und die anderen europäischen Regierungschefs auch.

Damit wird sich wohl nichts daran ändern, dass man weiter hilflos zuschaut, wie Amerika und China immer mehr Bereiche dominieren. Die fünf größten Datenkonzerne stammen aus den USA, die europäische Autoindustrie ist dabei, ihre führende Position und damit zigtausende Arbeitsplätze an Asien zu verlieren. Statt sich zur Wehr zu setzen, um in die Offensive zu kommen, macht man sich zuweilen noch abhängiger von anderen Kontinenten. In diesen Tagen ist viel von solchen Beispielen zu hören. Davon, dass etwa Deutschland aus der Kohle aussteigt, damit aber Europa noch abhängiger wird von russischem Erdgas und zudem der Strom teurer wird. In der Landwirtschaft, wo man mit immer neuen Auflagen die Selbstversorgung aufs Spiel setzt, ist es nicht anders und in vielen anderen Bereichen auch nicht. 


Dieter Nuhr, spitzzüngiger deutscher Kabarettist, ist derzeit in den sozialen Medien ein Hit. "Die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit, im Kleinen, im Aufhören, im Verhindern und im Abschalten", sagt er laut, was sich viele angesichts der Stimmung in Europa nicht einmal mehr zu denken trauen. "Die Zukunft sitzt nicht auf dem Fahrrad und liegt nicht auf einem deutschen Bauernhof des 19. Jahrhunderts. Während der Rest der Welt an der Zukunft baut, fordern wir mehr Lastenfahrräder", ätzt er böse und schließt daraus trocken: "Wir sind Vergangenheit." 

Dabei sollte es um die Zukunft gehen. Um ein starkes Europa, das vorwärts schaut. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein auf die EU-Wahlen Ende Mai. Sie gilt manchen bereits als "Schicksalswahl über die Zukunft unseres Kontinents." Das freilich verwundert nicht, angesichts des nationalistischen und oft rückwärtsgewandten politischen Mainstreams, der nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa im Griff hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. April 2019
 
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