Samstag, 7. August 2010

Preishoch weckt alte Ängste




Die Getreidepreise explodieren. Und schon geht die Angst vor teurem Essen um.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Preise für agrarische Rohstoffe, die den Bauern im Vorjahr ein Einkommensminus von fast 30 Prozent bescherten, ziehen seit Monaten kontinuierlich an, bei Getreide explodieren sie regelrecht. Auf den internationalen Getreidemärkten purzeln seit Wochen die Rekorde. An der für Europa maßgeblichen Warenterminbörse Euronext in Paris notieren Weizen, Mais und Raps deutlich höher als Anfang August 2007, als eine bis dahin beispiellose Preisrallye einsetzte, die dann 2008 in überdurchschnittlichen Teuerungen bei Lebensmitteln und Hungerrevolten mündete.

Der für die Branche entscheidende Novemberkontrakt für Mahlweizen schoss nach Bekanntwerden der russischen Getreideexportsperre Donnerstag auf 224 Euro je Tonne. Das waren um 20 Prozent mehr als in der Woche zuvor. Spätestens seither ist vielen Beobachtern mulmig zumute. Denn damit wurde der bisherige Höchstwert aus 2007 um mehr als fünf Prozent übertroffen. Damals notierte der gleiche Kontrakt für Mahlweizen bei 211,50 Euro. Allein seit Anfang Juli beträgt der Preisanstieg fast 60 Prozent. Welche Dimension die aktuelle Preisrallye hat, zeigt ein Blick auf das Vorjahr. Damals lag die Notierung für Novemberweizen in der ersten Augustwoche mit 126 Euro je Tonne fast um die Hälfte niedriger als heuer.

Maispreis auf Rekordkurs
An der Wiener Getreidebörse, die für das Preisniveau in Österreich maßgeblich ist, hat die Euronext-Entwicklung noch nicht voll durchgeschlagen. Der Weizenpreis zog zwar in dieser Woche um gut zehn Prozent an, liegt mit 183 Euro je Tonne markant über dem Vorjahreswert (140 Euro), aber immer noch deutlich unter den Rekordwerten von 2007.

Aber nicht nur die Weizenpreise haben deutlich angezogen. Mit 209 Euro pro Tonne ist der Novemberkontrakt bei Mais um rund 70 Prozent teurer als vor einem Jahr. Stark angezogen haben auch die Rapspreise. Auch sie liegen mit 388 Euro je Tonne deutlich höher als 2007. Gerste hingegen blieb fast auf den Vorjahrespreisen sitzen.

Aber nicht nur bei Getreide steigen die Preise. Auch Milch wurde im vergangenen Jahr um 20 Prozent teurer. Erstmals kamen die Bauern heuer seit längerer Zeit ohne die sonst üblichen Preisrückgänge über den Sommer.

Angetrieben werden die Preise vor allem von einer geringeren Agrarproduktion. Bei Milch ist es die Rücknahme der Produktion, bei Getreide sind es die schlechten Ernteaussichten. Waren es zunächst Kälte und Nässe, die die Erwartungen dämpften und die Preise antrieben, so ist es seit Anfang Juli die Hitze im Norden und Osten Europas. Bei Mais treibt vor allem die Nachfrage aus China die Preise. Der Rapspreis wird vom Rohölpreis bestimmt.

Hinter der Preisentwicklung steckt aber auch die Rückkehr der Spekulanten auf die Rohstoffmärkte. Seit Monaten gelten Rohstoffe wieder als attraktive Anlagemöglichkeit. Schon im Vorjahr gab es eine Preisrallye bei Zucker. Zuletzt sorgten die Kakaopreise für Schlagzeilen. Ein einziger
Manager eines englischen Hedgefonds kaufte alle nur verfügbaren Handelskontrakte zusammen und trieb den Preis für die Kakao bohne damit in Rekordhöhen. Nun versprechen die Anlageberater „Weizen macht Sie reich!“ und tragen damit das Ihre zum Anstieg der Preise bei.

Die Branche versucht, die Nerven zu bewahren. „Der Weltmarkt für Weizen ist heute weit ausgeglichener als vor drei Jahren“, stellte die Welternährungsorganisation FAO Mitte dieser Woche fest. „Aus heutiger Sicht sind Ängste vor einer neuerlichen globalen Ernährungskrise nicht gerechtfertigt.“ Nach zwei Jahren mit weltweiten Rekordernten seien die Reserven wieder aufgefüllt.

Nach Angaben des Internationalen Getreiderats (IGC) liegen rund 30 Prozent eines Jahresbedarfs an Weizen auf Lager. Durch die heurigen Ernteaussfälle würden die Reserven lediglich auf 29 Prozent sinken. Als kritisch sieht man erst ein Absinken auf 20 Prozent an, wie es vor drei Jahren der Fall war. Ob das einen neuerlichen Preisschub bei Lebensmitteln verhindern kann, ist fraglich. „Der Rohstoffboom geht erst richtig los“, ist von den Börsen zu hören.

„Die Versorgung mit Getreide ist in Österreich auf jeden Fall gesichert“, sagte Freitag Franz Stefan Hautzinger von der Agrarmarkt Austria. Die Mühlenindustrie kündigte dennoch bereits an, „als Erster in der Wertschöpfungskette mit entsprechenden Preisanpassungen reagieren zu müssen“.

Auch die Bäcker reden bereits von einer Preiserhöhung in der Größenordnung von mindestens fünf Prozent im kommenden Herbst. Damit geht das Schwarze-Peter-Spiel Landwirtschaft gegen Lebensmittelverarbeiter und Gewerbe in eine neue Runde. Die Bauern halten eine derartige Anhebung der Preise für nicht gerechtfertigt. Der Getreidepreis macht nur zwei Prozent des Brotpreises aus.

Die Bauern selbst haben derzeit noch kaum etwas vom Höhenflug der Weizenpreise. Die Abnehmer wollen kaum Preise nennen. Aber auch die Bauern warten zu. Sie lagern selbst ein oder liefern zwar ab, rechnen aber noch nicht ab. Kolportiert werden etwa in Oberösterreich Preise von rund 170 Euro pro Tonne.

Auch wenn das derzeitige Preisniveau überzogen ist, ist man sich in Fachkreisen einig, dass die Agrarpreise steigen werden. Erst im Juni bekräftigen OECD und FAO ihre Prognosen, dass Weizen und Mais bis 2020 um durchschnittlich 15 bis 40 Prozent teurer werden.

Das gibt der Landwirtschaft Rückenwind. Für Experten wie den ehemaligen Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer, der neuerdings für die Europäische Volkspartei maßgeblich bei den Verhandlungen zur EU-Agrarreform mitmischt, ist klar: „Die agrarische Produktion und die landwirtschaftliche Nutzfläche gewinnen an Bedeutung.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft 7. August 2010

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