Donnerstag, 2. August 2012

Es gilt die Schuldvermutung





In den vergangenen Jahren hat man sich, wann immer es um politische Skandale am Rande des Kriminals gegangen ist, daran gewöhnt, sicherheitshalber die Worte "Es gilt die Unschuldsvermutung“ hinzuzufügen. Nach dem, was wir in den vergangenen Monaten erlebten und was vergangene Woche in Kärnten niederging, fragt man sich: Warum diese Vorsicht und Zurückhaltung?

"Es gilt die Schuldvermutung“ ist wohl richtiger anzunehmen. Damit scheint man hierzulande auf der sichereren Seite und vor Überraschungen eher gefeit zu sein.

Schließlich gibt es noch viele Kandidaten, die seit Jahren im üblen politischen Geruch stehen, gegen den auch Gratis-Gesichtsmasken wenig helfen und bei denen es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis auch sie ihre Schurkereien zugeben. Aber bis dahin leugnen wohl auch sie, ohne mit der Wimper zu zucken und mit oft breitem Lächeln - und tischen ungeniert die abenteuerlichsten Geschichten auf, obwohl sie nur zu genau wissen, was sie auf dem Kerbholz haben. Und das nicht nur in Kärnten.

Viele in diesem Land wissen das. Und immer mehr glauben das. Die Schuldvermutung macht sich breit. Wir ärgern uns darüber, wir schimpfen, wir haben gelernt damit zu leben. Und wir, auch das sei festgehalten, unterhalten uns damit nicht nur in nachrichtendürren Sommermonaten ganz gut.

Politisch ist das freilich loser Grund, in dem das Land und die da herrschende Moral schnell versinken. Längst scheint die Selbstreinigungskraft abhanden gekommen zu sein. Selbstkritik, Rücktritte gar oder andere Konsequenzen finden sich in Österreich in keinem politischen Werkzeugkasten. Da muss schon drei Mal der Richter befasst gewesen sein, ehe man reagiert.

Nicht nur in Kärnten sind bereits die Rechtfertigungs-Regimenter aufgezogen, denen keine Erklärung zu billig und keine Dreistigkeit zu fremd ist. Oder wie ist das anders zu bezeichnen, wenn sich der Landeshauptmann von Kärnten zum Ober-Aufklärer der Zustände in seinem Land machen will?

Dass in Wien nicht die starken Männer, die in ihren Parteien viel zu sagen hätten, sitzen, tut in dieser Situation das Übrige. Und dass der eine, der das wäre, nichts sagt und tut, passt ins Bild.

Ins Bild passt auch, dass zur schwachen Politik eine schwache, überforderte und schlecht ausgestattete Justiz kommt, die nichts weiterbringt. Und ins Bild passt auch die in Österreich nach wie vor weiter verbreitete, ja zur Kultur gewordene augenzwinkernde Verlotterung der Sitten, bei der so viele in diesem Land ungeniert mitspielen. Und diese Kultur und die Menschen, die sie leben, gibt es in allen Gesellschaftsschichten, nicht nur in der Politik. Man will ja nicht zu kurz kommen und den anderen zuschauen. Da greift man allemal lieber auch selbst zu, wenn es nur irgendwie geht.

Das ist das Schlimme in diesem Land der Schlawiner. Und das ist es, was die Vermutung der Schuld näher legt als die Vermutung der Unschuld.

Die Schuldvermutung freilich ist keine taugliche Basis für die Zukunft. Darauf kann ein Land nicht bauen. Es tut weh, dass die, die immer sofort mit einem Verdacht da sind und hinter jeder Ecke Betrug und Gaunerei vermuten, so oft Recht bekommen. Das kann mürbe machen.

Auch wenn die Ereignisse der vergangenen Monate und Jahre anderes nahe legen, muss alles getan werden, damit in diesem Land wieder die Unschuldsvermutung gelten kann. Ohne Einschränkung und ohne Augenzwinkern. Man muss einander und vor allem der Politik wieder trauen und vertrauen können und nicht überall Gaunerei vermuten müssen.

Kärnten braucht einen Schnitt. Und dem ganzen Land täte ein Schnitt gut. Die Voraussetzungen dafür sind freilich schlecht. Zu lange hat man zugeschaut, zu sehr sind Verantwortungsträger jedweder Couleur angepatzt. Längst ist die Glaubwürdigkeit den Bach hinuntergegangen. Und was seit Martinz zu hören war, ist auch nicht dazu angetan, Hoffnung zu schöpfen, ging es doch in Restösterreich praktisch nur darum, das zu einem ausschließlich Kärntner Problem zu erklären.

Österreich muss endlich herunter von der Insel, auf der man sich nur mit sich selbst beschäftigt. Darob ist man längst drollig geworden und international ein Fliegengewicht. Wahrgenommen wird das Land allenfalls durch seltsame Kriminalfälle oder eine redselige Finanzministerin.

Doch die Welt ist längst eine andere geworden. Dafür, dass Österreich einmal blöd dasteht, gilt die Schuldvermutung.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Augut 2012

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