Donnerstag, 10. Januar 2013

Das verlorene Maß




In diesen Tagen ist das österreichische Wahlvolk angehalten, die Einigung auf ein Gesetz gegen Spekulation mit öffentlichen Geldern anerkennend zu beklatschen. Wird doch zum Staatsziel im Verfassungsrang gemacht, dass Bund, Länder und Gemeinden künftig nur mehr risikoarm finanzieren und veranlagen dürfen. Das ist doch was.

Ein paar Wochen zuvor war es das Antikorruptionsgesetz, für das die heimische Politik Anerkennung einforderte und davor ein Transparenzgesetz. Und selbst für so Selbstverständliches wie dafür, dass die Wirkung von Gesetzen auf Jugendliche bei deren Gestaltung zu berücksichtigen ist, brauchte es eine eigene Vorschrift.

Das Selbstverständliche zu tun ist in Österreich längst nicht mehr selbstverständlich. Das Land ist dabei, das Maß zu verlieren und seine Verlässlichkeit. Nichts scheint mehr unmöglich zu sein, Handschlagqualität ist zur Rarität geworden, Verantwortung auch und Ehrlichkeit. Eitrigen Wimmerln von Pubertierenden gleich schießen immer neue Malversationen auf, die man nie für möglich gehalten hätte.

Die Politik hat längst die Kontrolle über diese Entwicklung verloren. Die politische Arbeit wird mittlerweile in einem hohen Maß von Anlassgesetzgebung bestimmt.

Man reagiert, weil man reagieren muss, man hat aber das Gesetz des Handelns längst aus der Hand geben müssen. Mit immer neuen Vorschriften und Gesetzen sieht sich die Politik in Bund und Ländern gezwungen, vermeintlich Selbstverständliches abzusichern. Mit immer mehr Verästelungen im Regelwerk aus Gesetzen und Verordnungen sucht man der bösartigen List und der Schwächen der Kollegenschar und auch der Beamtenschaft Herr zu werden, die dieses Land in immer neuen Volten überziehen und in oft fassungsloses Erstaunen versetzen.

Aber auch das gemeine Volk trägt nach Kräften dazu bei, dass das Regelwerk immer umfangreicher und immer feiner wird, und dass die Grenze zur Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger oftmals längst überschritten ist. Ansprüche und Rechte werden allzu oft und sehr oft mit Unterstützung von gefinkelten Anwälten und mit dem Beistand von großzügigen Versicherungen im Hintergrund bis auf das letzte Komma ausgereizt - man hat ja nichts zu verschenken und ein Recht auf das Recht.

Die Folgen sind mitunter so haarsträubend wie im vergangenen Jahr in Oberösterreich. Dort wurden in einer Gemeinde, natürlich anonym, Pfarre, Musikkapelle, eine Bank und die Gemeinde selbst bei der Datenschutzkommission angezeigt, weil sie Daten für ein Fest für Paare, die silberne oder goldene Hochzeit feierten, sammelten und weitergaben. Der oberösterreichische Landtag sah sich daraufhin genötigt, die Misere mit einem eigenen Gratulations-Gesetz zu lösen.

Kein Wunder ist vor diesem Hintergrund, dass die Gesetzesflut schier ungebremst anwächst. Allein zwischen 2000 und 2008 wurden in Österreich alleine 7000 Bundesgesetze mit mehr als 70.000 Seiten verabschiedet. Ungezählt sind die Paragraphen und Absätze dieser Gesetzwerke, die das Leben in diesem Land regeln sollen, ungezählt die Kosten dafür, die Bürokratie und die Arbeitsplätze, die dieser Aufwand verlangt.

Dabei ist in diesem Land seit Jahren so viel von einer Verringerung der Bürokratie die Rede und von mehr Eigenverantwortung. Die Verärgerung über Bürokratie gehört zu den Standardsätzen eines jeden Politikers, der sich für modern hält. Und die Wut über die immer neuen Gesetze, Regeln und Vorschriften sorgt nicht nur an den Stammtischen dieses Landes für erhitzte Gemüter.

Und dennoch ist die Entwicklung nicht zu stoppen. Das schwindende Verantwortungsgefühl, die allerorten grassierende Gier, ein angesichts der Krise und ihrer möglichen Auswirkungen immer dreisteres Anspruchsdenken sorgen dafür, dass sich die Spirale in immer größeren Tempo weiterdreht. Die Politik ist machtlos. Längst sind der Bedarf und die Notwendigkeit, selbst einstmals Selbstverständliches zu regeln, zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.

Gesetze greifen da nicht mehr. Sie sind nichts anderes als ein hilfloser Versuch die Entwicklung in den Griff zu bekommen. Denn Verantwortung, zumal Eigenverantwortung, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit kann man nicht per Gesetz dekretieren. Da braucht es andere Wege. Die freilich sind in Österreich kaum in Sicht. Nicht zuletzt deswegen, weil es an Vorbildern fehlt. Nicht nur, aber eben vor allem auch an Vorbildern in Politik und Wirtschaft.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Jänner 2013

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